1 Year of Donald Trump: The Right To Be White and Angry

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Ein Jahr Donald Trump: Das Recht, wütend und weiß zu sein

Donald Trump ist kein Problem, sondern Symptom einer ungerechten Weltordnung – weil die Linke es verpasst hat, eine eigene Antwort auf die Globalisierung zu entwickeln.

Eine Kolumne von Georg Diez

Vor ziemlich genau einem Jahr saß ich auf der Tribüne einer Sporthalle in New Hampshire, die angefüllt war mit Wut, Cowboyhüten und dem Willen, sich das Land zurückzuholen, das ihnen, das war das verbindende Gefühl, genommen worden war. Von den Linken, den Schwulen, den Juden, den Mexikanern, den Muslimen, den Schwarzen, den Chinesen, egal von wem.

“Lock her up, lock her up”, riefen die Leute, Tausende, Blasse, Bärtige, Starke, Schmächtige, Familien, Stars-and-Stripes-Fahnen um ihre Schultern, und meinten Hillary Clinton, die Gegnerin von Donald Trump. Für den waren sie angereist, den wollten sie zum Präsidenten machen, der würde für ihr Recht kämpfen, wütend und weiß zu sein.

Es war krude, es war ein Klischee, es war kaum zu glauben, dass das passieren könnte. Aber es kam so, und bis heute ist der Versuch, das zu verstehen, fast schmerzhaft: Warum das so schwer zu erkennen war, für viele jedenfalls, ein fataler Fehler, und so nimmt die Tragödie ihren Lauf.

Hätte man früher gesehen, dass sich hier ein Aufstand gegen die Globalisierung vorbereitet, verbunden mit einem Rassismus, der sich aufgestaut hat seit dem amerikanischen Bürgerkrieg und gefördert wurde von der technologisch beförderten manipulativen Macht einiger Dollar-Bösewichte, dann hätte man Trump damals besser verhindern können. Und könnte ihn heute besser verstehen.

Hegel auf Speed

Aber dieser Umstand ist Teil des Problems: Die Ordnung, die Trump attackierte, war eben über die Jahre hinweg so allgegenwärtig, unabwendbar und damit unsichtbar geworden wie die Luft – die Globalisierung in ihrer scheinbar singulären Gestalt und mit scheinbar ehernen Gesetzen. Das war der Lauf der Dinge, das war historische Notwendigkeit, das war Hegel auf Speed.

“Duck and cover”, dieser Ratschlag aus dem Atomzeitalter, such dir einen wackligen Holztisch, und versteck dich darunter, war irgendwie alles, was die Politiker fast jeder Partei anzubieten hatten. Und besonders bitter war und ist das immer noch, wenn man das intellektuelle und damit politische Versagen gerade der Sozialdemokratie anschaut.

Es stellen sich also, ein Jahr nach der Schock- und Schicksalswahl in den USA, ziemlich viele Fragen, vor allem, weil Trump eben nicht singulär ist und kein Komet, der aus dem Weltall eingeschlagen ist, sondern das Produkt sehr realer Vorgänge und Verwerfungen – und wenn man diese Probleme lösen will, muss man Trump als Symptom sehen und nicht selbst als das Problem.

Da ist zum einen und vielleicht am wichtigsten die Frage nach der Globalisierung, gegen die es viele, viele Proteste gab, von Seattle 2001 bis Occupy Wall Street 2011 und darüber hinaus, und die alle – sowohl medial als auch politisch – ignoriert wurden oder belacht von genau den Leuten, die nach der Trump-Wahl aufwachten und sich verwundert die Augen rieben: Ach so, es ist gar nicht alles gut?

Die Zeit also des rationalen Umgangs mit der Frage, wie sich Freihandel und Wohlstand und nationale Souveränität mit der Demokratie synchronisieren lassen, ist erst einmal vorbei. Nun findet die Diskussion über die richtige und gerechte Weltwirtschaftsordnung vor dem Hintergrund des nationalistischen und identitären und demokratiefeindlichen Aufstandes statt.

Die Nichtdiskussion um die Globalisierung

Dabei gab und gibt es genug kritische und konstruktive Ansätze, den Welthandel anders zu denken, sie wurden nur ignoriert oder systematisch unterdrückt: Man kann wie der indische Schriftsteller und Historiker Pankaj Mishra von der “Propaganda” der Globalisierungs-Automatiker und -Fanatiker sprechen – eine Stimme, die eher von außen kommt, von außerhalb des Westens und außerhalb der Wirtschaftswissenschaften.

Oder man kann, wie der amerikanisch-türkische Ökonom Dani Rodrik, der seit 20 Jahren alternative Modelle von Globalisierungen im Plural erarbeitet, die große Verweigerung seiner Branche beschreiben, sich der Wirklichkeit zu stellen und zu erkennen, dass die Globalisierung in der Einzahl viele vermeidbare Nachteile mit sich bringt, wenn sie wahlweise wie eine Heilslehre oder wie eine Naturgewalt beschrieben und betrieben wird.

Rodrik, der in Harvard unterrichtet, ist eine Stimme aus dem Inneren des Systems – umso gravierender ist seine Darstellung der Verblendung seiner Branche, etwa in dem gerade erschienenen Buch “Straight Talk on Trade”. Darin schildert er die Nichtdiskussion um die Globalisierung als eine Sinnestäuschung von globalem und epochalem Ausmaß, eine intellektuelle Bankrotterklärung für weite Teile der beteiligten Wirtschaftswissenschaftler.

Ein Denken, das linke Positionen aufgab

Alle, so beschreibt es Rodrik, alle haben sie mitgemacht, und die Niederlage von Hillary Clinton wie auch das generelle Elend der Sozialdemokraten in Europa etwa hängen mit diesem Fehler oder Verrat zusammen – eben keine Gegenposition zur Globalisierung entwickelt zu haben, sondern, wie Sigmar Gabriel für die SPD, die Geheimverhandlungen über die Freihandelsabkommen verteidigt und vorangetrieben zu haben.

Es war ein Fehler, eben nicht zuletzt der Sozialdemokraten, dass sie das Feld der Politik aufgegeben haben und sich ganz der Rationalität der Wirtschaft und der Finanzen hingegeben haben, ein historischer Fehler, der mehr oder weniger direkt zu Brexit und Trump geführt hat.

Die Ursprünge für dieses politische Versagen in den vergangenen Jahren, für die die Sozialdemokraten zurecht bestraft wurden, liegen in den Neunzigern, als sich mit der Rede von der Neuen Mitte und einem Dritten Weg ein Denken etablierte, das traditionelle linke Positionen aufgab – und damit auch große Teile des Milieus der Arbeiter etwa, die dann auch mit der Zeit sehr weit nach rechts gewechselt sind, weil sie dort ihre Interessen besser vertreten fanden.

Zu sehr an anderem Spektakel interessiert

Was also so pauschal als Elitenversagen bezeichnet wird, ist tatsächlich das Versagen sehr spezifischer Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Der amerikanische Publizist Thomas Frank etwa hat das schon vor der Wahl von Trump sehr gut in seinem Buch “Listen, Liberal!” beschrieben, diese Abkehr der – nicht nur amerikanischen – Linken von einer Politik der ökonomischen Fragen hin zu Kultur, Status und Kosmopolitismus.

All das ging in der Berichterstattung über Trump weitgehend verloren, Medien wie CBS oder CNN, die ziemlich schamlos von den Werbe-Exzessen der Parteien profitierten und in gewisser Weise Trump zum Präsidenten gemacht haben, waren zu sehr an E-Mails und anderem Spektakel interessiert als an inhaltlichen Fragen, auch an Hillary Clinton.

Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass er gewählt werden würde, weil sie die Welt, wie sie sie mit geschaffen hatten, nicht mehr verstanden. Es war das Problem, dass auch viele Journalisten Trump nicht lesen konnten, ihn nicht lesen wollten und sich ablenken ließen von all den Dingen, die sie so scheußlich fanden, der Mauer, dem Rassismus, der Frauenverachtung.

Im Kern ging es – auch das ist das Verbindende aller westlichen Demokratien zur Zeit – immer um Ungerechtigkeit. Und das Drama der Trump-Wahl war, dass die überzeugenden Antworten auf diese Frage nicht von Clinton kamen, die zu sehr Teil eines Systems war, das sich ganz auf den eigenen Erhalt konzentriert hatte.

Auch Martin Schulz, das zeigte das so tolle wie traurige Porträt meines Kollegen Markus Feldenkirchen, litt an dieser linken Lähmung, selbst geschaffen und hoffentlich durch den Schock dieser Tage zu beheben – es geht nun auch für die deutsche SPD darum, eigene Antworten zu finden auf die Fragen, so hart es ist, das anzuerkennen, die Trump gestellt hat.

Was also ist linke Politik unter den Bedingungen der Globalisierung? Was ist Demokratie in Zeiten der Digitalisierung? Was ist Gerechtigkeit in einer Welt ohne Arbeit? Und warum redet eigentlich niemand vom Großthema unserer Tage, dem Klimawandel?

Trump wirkt in manchem wie ein Virus im System, das sich selbst geschwächt hat durch Fehler, die unter den momentan fragilen Bedingungen schwerer zu beheben sind als vorher. Wenn das System überlebt, das ist die Hoffnung, wird es stärker sein und besser als zuvor.

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