Netzeitung, Germany
Mikhail Gorbachev: U.S. Suffers from a 'Winner's Complex'

According to the former chief of the Communist Party of the Soviet Union, the role of the world power U.S.A. must change. During a relaxed interview with the Netzeitung, Mikhail Gorbachev also assesses the North Korea situation.

Interview By Dr. Michael Maier
Editor-in-Chief, Managing Editor  

Translated By Bob Skinner

October 13, 2006
Germany - Netzeitung - Original Article (German)  

Mikhail Gorbachev, the former president of the Soviet Union, has voiced boisterous criticism of the U.S. In his interview with the Netzeitung, Gorbachev said: Our American friends suffer today from a malady worse than AIDS. I would call this illness "the Winner's Complex." Gorbachev justified his criticism by pointing to America's role in world politics.

He believes that as of now, the U.S. has not liberated itself from the strategy that it employed during the Cold War. "They cannot break loose of their old European politics, which they continued after the Cold War. They wanted to completely call the shots in Western Europe. And the Americans won't abandon this old claim."

After the fall of the [Berlin] Wall, the chance to create a new world order was squandered: "The West mostly pursued its own geopolitical interests. With worldwide trade it exploited what spontaneous, uncontrolled globalization made possible."

On the future role of the United States, Gorbachev said: "The U.S. will certainly have a role to play in the future. But no longer the same role - a smaller role. There will be a strengthened and united Europe. And there will also be large states like Russia, China, India, Japan and Brazil, who will all contribute equally to progress in the world. There will therefore be new centers of power. So the Americans must understand that it is necessary to decide matters cooperatively and act as partners, instead of just issuing command in every case."

Gorbachev also criticized the European politics practiced by the Americans.

"The policy of the Americans' regarding the European Union and the post-Soviet region fills some of us with amazement and disappointment. One must say to the Americans quite clearly, "There are not only the interests of the United States at stake, but the legitimate interests of the European Union, where half a billion human beings live, and who must be permitted to democratically decide their own fate in their own way."

The former Secretary General of the CPSU was more relaxed when discussing the case of North Korea.

"I am not of the view that we stand moments before a direct atomic threat." However, the arrogance of those nations that possess nuclear weapons has contributed to the tense situation in East Asia. To ease the situation, "the nuclear club will have to conduct itself differently."

"Article 6 of the Nuclear Non-Proliferation Treaty provides, for example, that those who today legally possess nuclear weapons continue to disarm. This disarmament has come to a standstill, however. On the contrary … more are being produced, and existing ones are being modified to allow them to perform "special missions."

In Gorbachev's view, China and Russia in particular have a duty to come up with a solution to the North Korea conflict.

"From the club of countries that possess atomic weapons, in particular Russia and China, could make a contribution to the solution of the North Korea problem. China and have always maintained close relations with North Korea. That is why I think in such extreme circumstances, we need politicians that will occupy themselves with Realpolitik , rather than delivering flowery speeches."

Read the interview with Mikhail Gorbachev on Monday in the Netzeitung.

German Version Below

Gorbatschow wirft USA «Siegerkomplex» vor

13. Okt 11:36

Für den ehemaligen KPdSU-Chef kann die Rolle der Weltmacht USA nicht so bleiben, wie sie ist. Die Lage in Nordkorea beurteilt er im Interview mit der Netzeitung entspannt.

Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, hat heftige Kritik an den USA geübt. Im Interview mit der Netzeitung sagte Gorbatschow: «Unsere amerikanischen Freunde leiden heutzutage an einer Krankheit, die schlimmer ist als Aids. Ich würde diese Krankheit als den Siegerkomplex bezeichnen.» Gorbatschow begründet seine Kritik mit der Rolle der USA in der Weltpolitik.

Demnach könnten sich die USA bis heute nicht aus der Strategie befreien, die sie während des Kalten Krieges gespielt hätten: «Sie können sich nicht von ihrer alten Europapolitik lösen, die sie nach dem kalten Krieg angefangen haben. Da war es ihnen darum gegangen, in ganz Westeuropa das Sagen zu haben. Und diesen alten Anspruch werden die Amerikaner nicht los.»

Nach dem Fall der Mauer seien die Chancen nicht genutzt worden, eine neue Weltordnung herzustellen: «Da hat der Westen mehr seine geopolitischen Interessen verfolgt. Mit dem weltweiten Handel hat er ausgenutzt, was durch eine spontane, unkontrollierte Globalisierung möglich wurde.»

Zur künftigen Rolle der USA sagte Gorbatschow: «Die USA werden auch in Zukunft durchaus ihre Rolle zu spielen haben. Aber nicht mehr die gleiche Rolle, sondern eine geringere Rolle. Es wird ein gestärktes vereintes Europa geben. Und es wird dann auch noch die großen Staaten geben wie Russland, China, Indien, Japan und Brasilien, die alle gleichermaßen den Gang der Welt mitbestimmen sollen. Es wird also auch neue Machtzentren geben. Dann müssen die Amerikaner verstehen, dass es notwendig ist, Dinge partnerschaftlich zu entscheiden und als Partner zu handeln, anstatt immer nur Kommandos geben zu wollen.»

Gorbatschow kritisierte auch die Europa-Politik der Amerikaner: «Die Politik der Amerikaner hinsichtlich der EU und hinsichtlich des postsowjetischen Raums erfüllt manchen von uns doch mit Verwunderung und Enttäuschung. Man muss den Amerikanern mal ganz klar sagen: Es gibt nicht nur die Interessen der Vereinigten Staaten, sondern auch legitime Interessen der Europäischen Union, wo eine halbe Milliarde Menschen leben, die in der Lage sein müssen, ihr eigenes Schicksal, ihren eigenen demokratischen Weg zu entscheiden.»

Entspannter gab sich der ehemalige Generalsekretär der KPdSU im Fall Nordkorea: «Ich bin nicht der Auffassung, dass wir momentan vor einer unmittelbaren atomaren Bedrohung stehen.» Allerdings hätte auch die Arroganz der Atommächte zur Zuspitzung der Lage in Ostasien beigetragen. Um die Lage zu entspannen, «müsste sich der atomare Club anders benehmen»: «Der Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrages sieht zum Beispiel vor, dass auch diejenigen, die heute legal über atomare Waffen verfügen, weiter abrüsten. Dieser Abrüstungsprozess ist allerdings zum Stillstand gekommen. Im Gegenteil: Es wird mehr gemacht, um die bestehenden Nuklearwaffen weiter zu vervollkommnen, um damit die so genannten 'Spezialaufgaben' zu lösen.»

Insbesondere China und Russland sieht Gorbatschow bei der Lösung des Nordkorea-Konfliktes in der Pflicht: «Aus dem Club der Atommächte könnten insbesondere Russland und China einen Beitrag zur Lösung des Nordkoreaproblems leisten. Immerhin haben Russland und China schon immer enge Beziehungen zu Nordkorea unterhalten. Deshalb denke ich, ist es notwendig, dass die Politiker nicht nur schöne Reden halten, sondern sich in so einer extremen Situation wirklich mit Realpolitik beschäftigen.»

Das Interview mit Michail Gorbatschow lesen Sie im Wortlaut am Montag in der Netzeitung.