The Lessons of 1968

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Auch ich bin ein 68er. Ich bekenne es. Mein Stolz darauf ist nicht größer als der, ein Deutscher zu sein. Denn so wie ich durch Zufall in Deutschland geboren und (in seinem westlichen Teil) aufgewachsen bin, so stamme ich zufällig aus einem jener Jahrgänge, die man die 68er nennt. Weil sie wie ich im Jahr 1968 Anfang zwanzig waren.

Leider tauche ich zur sicher nicht geringen Enttäuschung der Leser auf keinem der Wochenschaustreifen auf, bei der die noch jungen Frauen und Männer hopp, hopp, hopp munter demonstrierend die muffige Nachnazigesellschaft aufzumischen versuchten. Ich zählte auch nicht zu jenen, die – wie Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein – damals vom Ruf seiner Zeitgenossen nach Fortschritt zum Engagement in der Reaktion der Jungen Union und später alten Union provoziert wurden. Ich zählte eben zum eher passiven Teil der 68er.

Ganz ohne Ironie stelle ich heute fest, dass ich von meinen aktiveren Altersgenossen der damaligen Zeit viel gelernt habe. Als wichtigste Erkenntnis habe ich begriffen, dass der Vietnamkrieg, den die USA führten, unrecht und von Übel war. Das war damals eine unglaublich wichtige und radikale Erkenntnis. Sie wuchs in der Gesellschaft heran, je länger der Krieg dauerte. Sie wuchs in den Gesellschaften Westeuropas und Nordamerikas mit den Bildern, die aus Vietnam über die Schwarz-Weiß-Fernseher hereinflimmerten. Sie setzte sich weiter durch mit jedem GI, der aus Vietnam gesund, tot oder verwundet zurückkehrte. Die 68er, ganz besonders die in den USA selbst, sind aus dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg entstanden. Sie haben ihrerseits die Erkenntnis durchgesetzt, dass die USA in Vietnam nichts zu suchen hatten.

Krieg gegen den Kommunismus

Vor 1968 hielt die Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik, unter anderem auch ich, die Aussage für wahr, dass Amerika in Vietnam einen legitimen Krieg gegen die Ausbreitung des Kommunismus führte. In den Jahren nach 1968 glaubten das immer weniger Menschen, und als 1976 die US-Truppen aus Vietnam vertrieben worden waren, hatte die Geschichte die Rechtfertigungsideologie für diesen Krieg für jeden erkennbar beseitigt.

Heute, da die 68er-Bewegung anlässlich ihres runden Geburtstags in Feuilletons, in soziologisch und politisch argumentierenden Aufsätzen gefeiert und vielfach auch verdammt wird, kommt mir diese wichtigste Lehre der damaligen Aktivisten zu wenig beachtet vor. Denn schließlich ist sie gerade jetzt leider wieder besonders relevant. Deutschland führt unter US-Kommando einen Scharmützelkrieg im fernen Afghanistan. Und die USA führen einen Krieg mit massivem Truppeneinsatz im Irak.

Der Krieg der USA im Irak weist verblüffende Parallelen mit dem Vietnamkrieg auf. Beide wurden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen vom Zaun gebrochen. Für beide Kriege findet sich nicht die Spur einer völkerrechtlichen Rechtfertigung. In beiden Kriegen treten die US-Truppen als Besatzungsmacht auf. Beide Kriege fordern von der amerikanischen Nation enorme Kosten und eine erhebliche Zahl an Toten und Verwundeten. Weitaus schlimmer sind die Folgen dieser Kriege in den besetzten Ländern selbst. Dazu kommen Millionen Flüchtlinge. Kürzlich beklagte Papst Benedikt XVI. die vielen Opfer des Irakkriegs unter den Christen des Landes, von denen viele in die Nachbarländer Iran, Syrien und Jordanien, aber auch nach Europa fliehen.

Gleichwohl besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Vietnam und dem Irak. Die US-Streitkräfte sahen sich in Vietnam einem organisierten Gegner gegenüber, von den Amerikanern abfällig Vietcong genannt. Es war die nationale Befreiungsbewegung, die unter Führung der kommunistischen Partei des Landes stand. Sie übernahm die Macht im Land, als die USA abzogen. Mit ihr verhandelte Henry Kissinger das Pariser Abkommen, das den Rückzug Amerikas einläutete. Die Gewissheit, dass Kommunisten nach dem Abzug die Macht im Lande zufallen würde, diente damals als Begründung dafür, den Krieg fortzuführen.

Unglaubwürdige Prognosen

Im Irak dienen heute umgekehrt die unklaren Machtverhältnisse als Begründung dafür, dass die Amerikaner das Land “nicht im Stich lassen dürfen”, wie es beschönigend heißt. In der Tat kann man nicht voraussagen, was geschehen würde, wenn die US-Truppen sich zurückzögen. Wir wissen nur, dass Voraussagen einer Kriegspartei unglaubwürdig sind. Die Prognosen der US-Regierung und der Geheimdienste über die Reaktion der Iraker auf den Einmarsch ausländischer Truppen waren ja auch bestenfalls Wunschdenken, vielleicht auch bewusste Lügen. Zwar ist es möglich, dass sich der Krieg zwischen verschiedenen Gruppen nach einem Abzug der USA tatsächlich noch intensiviert. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist es aber, dass die heutigen Widerstandskräfte, die zum Teil innerhalb der von der Besatzungsmacht zugelassenen Strukturen, zum Teil aber auch außerhalb und gegen sie agieren, sich relativ rasch zu einem Kompromiss zusammenfinden.

Die Konfliktlinien verlaufen im Irak nicht vorwiegend entlang der religiösen Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten. Die Kämpfe der Regierungstruppen mit anderen vorwiegend schiitischen Milizen der vergangenen Tage zeigen das wieder deutlich. Sie zeigen auch, dass der Widerstand gegen die Besatzungsmacht breiter ist, als diese wahrhaben will. Der Wunsch, den die meisten Iraker gemeinsam haben, ist der schnelle Rückzug der Amerikaner. Es gibt kein Argument, ihn aufzuschieben.

Die Lehren aus dem Vietnamkrieg sind von den US-Regierungen seit Ronald Reagan verdrängt worden. Das Wahlvolk wird – vielleicht – bei der Wahl im November die Lehren aus dem Irakkrieg ziehen. In Deutschland glauben die Regierungen, ob Rot-Grün oder Schwarz-Rot, die einfache Weisheit, keine fremden Länder zu okkupieren, missachten zu können. Sie haben zwar die direkte Teilnahme im Krieg gegen den Irak vermieden. Und der Krieg in Afghanistan, an dem sich dieses Land beteiligt, sieht immer noch vergleichsweise harmlos aus. Die große Niederlage dort deutet sich aber schon an.

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