America, Scattered to the Desert Sands

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Israel, Syrien, Hisbollah und Libanon: man verhandelt seine Konflikte untereinander. Und die USA werden zu deren Lösung in Nahost nicht mehr gebraucht.

Der Verfall eines Präsidenten und der Niedergang einer Weltmacht waren die Themen der jüngsten Reise von George Bush in den Nahen Osten. Im Libanon, einem Viereinhalb-Millionen-Land, hatte Ministerpräsident Siniora keine Zeit, den sogenannten mächtigsten Mann der Welt zu empfangen. In Ägypten und am Golf wandten sich die letzten Freunde Amerikas angewidert ab, als Bush sich mal wieder für die „Demokratie“ begeisterte, zumindest bis zum Ende seiner öffentlichen Rede.

Welch ein Vergleich mit seinen Vorgängern: Bill Clinton konnte 2000 bis zum vorletzten Moment seiner Amtszeit seriös und glaubwürdig zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Syrern und Israelis vermitteln. Er ist als der lächelnde US-Präsident hinter dem Abkommen von Oslo 1993 ins Geschichtsbuch eingegangen. Bush dagegen, dem Möchtegernbezwinger von Mesopotamien und Verantwortlichen für Guantánamo, glaubt niemand mehr. Ihm schlägt nur noch Hass und Verachtung entgegen.

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Doch damit nicht genug. Es gibt für eine Supermacht Schlimmeres als Hass von allen Seiten, nämlich: einfach nicht mehr gebraucht zu werden. Das ist die Botschaft, die unaufhörlich aus allen Nachrichten aus dem Nahen Osten sickert. Die Staaten kommen am besten ohne die USA voran. Drei Beispiele.

Erstens. Derzeit verhandeln Israelis und die libanesische Hisbollah über einen Gefangenenaustausch: Soldaten gegen Milizen. Zwei im Juli 2006 verschleppte israelische Soldaten sollen gegen fünf Hisbollah-Kämpfer freigelassen werden. Natürlich vermitteln nicht die USA, die sich ein Sprechverbot mit Hisbollah auferlegt haben, sondern die deutschen Dienste, die sich mit derlei Deals im Nahen Osten einen Namen gemacht haben. Strategische Windkraft in der Nordsee, rechtstaatliche Beratung in Zentralasien und Gefangenenaustausch in Nahost: Da sind die Deutschen in der Welt führend. Auch bescheidene Nischen-Außenpolitik braucht Pflege. Und an beständiger Pflege eines Themas mangelt es dem erratischen Bush.

Zweitens. Seit einem Jahr dolmetschen türkische Politiker vom Hebräischen ins Türkische weiter ins Arabische und umgekehrt. In einer stillen Reisediplomatie haben Premierminister Erdogan, sein Außenminister Babacan, vor allem aber der arabisch sprechende außenpolitische Chefberater von Erdogan, Ahmed Davutoglu, unsichtbare Fäden zwischen Damaskus und Jerusalem gezogen. Das konnte nur durch Beharrlichkeit und Geduld gelingen. Hier macht sich bezahlt, dass die türkische Regierung das gute Verhältnis zu Israel weiter vertieft, während sie die Beziehungen zu Syrien revolutioniert hat. Noch vor zehn Jahren standen Ankara und Damaskus kurz vor dem Krieg. Heute erklärt Erdogan westlichen Regierungen, was Präsident Assad in Damaskus mit seiner letzten, dem Klang nach empörenden Rede, eigentlich wirklich hat sagen wollen.

Ob die Verhandlungen über eine Rückgabe der Golanhöhen von Israel an Syrien Erfolg haben, hängt von vielen kleinen Faktoren ab: Wie stabil ist die israelische Regierung? Will sie den Golan wirklich aufgeben? Wie versucht Iran, die Annäherung Syriens an prowestliche Staaten zu verhindern? Will sich Damaskus je von Hisbollah distanzieren? Ist Amerika bereit, Syrien aus der Schmuddelecke zu lassen? Hier, auf sehr indirekte Art, spielt Amerika noch eine kleine Rolle. Baschar Assad will nicht mit Israel zum Ausgleich finden, um nachher weiter von Amerika mit Sanktionen geschnitten zu werden. Er wartet also auf ein positives Signal aus Washington.

Doch die Verhandlungen sind gegen den Willen Amerikas und trotz der Politik von George Bush zustande gekommen. Der US-Präsident überzieht die Syrer regelmäßig alle zwei bis drei Monate mit einer Philippika ohne konkreten politischen Anlass. Der Hintergrund war meist ein Strategietreffen mit seinem Gewehrs-Mann und Vize Dick Cheney oder den fundamentalistischen Neokonservativen im Dunstkreis der Regierung. Bushs’ Ausbrüche konterkarierten jedoch oft eine ganz anders akzentuierte Politik des US-Außenministeriums oder der Europäer gegenüber Syrien. So macht man sich überflüssig. Da Israelis und Syrer die Verhandlungen wollen, führen sie diese nun auch. Egal, was Washington denkt.

Drittens. Im Libanon hat Washington eine Niederlage hinnehmen müssen, die in der Dimension einem britischen Trauma nahe kommt. In der Suezkrise 1956 scheiterte der britisch-französisch-israelische Versuch, den Suezkanal aus den Händen des ägyptischen Nationalisten und Nationalisierers Nasser zu reißen. Amerika und die Sowjetunion schritten damals ein, die Briten zogen sich zurück, es war der Anfang vom Ende britischer Dominanz im Nahen Osten.

Im Libanon ist im Mai Vergleichbares passiert. Die Amerikaner ermunterten die mit ihr verbündete Regierung Siniora, den Kampfmilizen der schiitischen Hisbollah ihr strategisches Telefonnetzwerk zu nehmen. Der Sunnit Siniora tat wie ihm geheißen, die Hisbollah erhob sich, eroberte die sunnitischen, drusischen und christlichen Gebiete des Landes und etablierte sich als einzige Militärmacht im Land. Bush rührte keinen Finger und hatte sich offenbar daheim an einem Tripleburger verschluckt, der ihn daran hinderte, auch nur mit angemessenen Worten auf das Beiruter Drama zu reagieren.

Doch es ging auch ohne ihn. Als Bush eine Woche später Siniora aufsuchen wollte, hatte der Wichtigeres zu tun. Es war die Konferenz im qatarischen Doha, wo sich die libanesischen Fraktionen einfanden, um die Machtverhältnisse neu auszutarieren. Vermittler war Scheich Hamad Al Thani, Premierminister und Außenminister des Wüstenemirats. Qatar erträgt seit vielen Jahren die amerikanische Kritik an seinem Satellitenfernsehen Al-Dschasira und sendet munter weiter. Mit ähnlicher Nonchalance hat Al Thani jetzt die Versöhnungskonferenz für die Libanesen durchgezogen.

Die Geschichte konnte er gleichwohl nicht drehen. Was als Kompromiss nach außen verkauft wurde, ist die vertragliche Zementierung der beherrschenden Rolle Hisbollahs im Libanon, das Vetorecht für die Schiiten in allen Staatsfragen, die gleichberechtigte Beteiligung Hisbollahs und seiner Verbündeten an der Regierung.

Was das für Amerika und Israel bedeutet? Wenn diese beiden Staaten noch einmal eine libanesische Regierung auffordern, Hisbollah zu entwaffnen oder strategisch zu schwächen, wird Hisbollah schon am Kabinettstisch dagegen stimmen. Das lässt sich also nur noch durch israelische Soldaten oder amerikanische Marines machen. Und die werden sich mit Unbehagen an Israels Niederlage im Sommerkrieg 2006 gegen die Hisbollah erinnern. Amerika wurde in Doha nicht gebraucht, das Ergebnis widerspricht seinen Interessen, aber es wird damit leben müssen.

Aus diesen drei Beispielen lernen die Völker im Nahen Osten, dass es auch ohne Amerika geht. Natürlich ist die Supermacht in der Region allerorten präsent, sie steht mit über 100.000 Truppen im Irak, sie wird weiter Condoleezza Rice schicken und hat in jedem arabischen Staat eine festungsgleiche Mega-Botschaft. Doch hat George Bush jene Bedeutung eingebüßt und alle wichtigen Rollen verloren, die seine Vorgänger innehatten. Bushs verbliebener Einfluss ist eher negativer Art: er kann noch großen Schaden anrichten, er kann noch einen wahnsinnigen Krieg am Golf lostreten, er kann noch viele unfassbare Dummheiten sagen.

Wenn er geht, wird der Nahe Osten aufatmen und hoffen, dass sein Nachfolger sich aus der Region einfach nur noch raushält. Ob US-Isolationismus gerade im Palästinakonflikt am Ende förderlich wäre, steht dahin. Doch Besseres könnte dem amerikanischen Ansehen zwischen Mittelmeer und Golf kaum passieren.

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