Americans on the Move

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01.04.2009 Schrift

Mobile Amerikaner

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Wo vorher nur ein paar Dutzend Menschen ohne Wohnung lebten, sind es seit Beginn der Krise mehrere hundert – eine Zeltstadt bei Los Angeles. Teil 3 der taz-Serie zum G-20-Gipfel.

Nichts deutet in Ontario, einem wohlhabenden Vorort im Osten von Los Angeles, auf die Krise hin. Die Mittelstreifen der Hauptstraßen, die an gepflegten Büros und Ladenzeilen vorbeiführen, sind mit Palmen und Akazien bepflanzt. Neben der Glas- und Stahlkonstruktion des Internationalen Flughafens starten dröhnend Maschinen, die bis nach Asien fliegen. Doch nur wenige hundert Meter von der blitzblanken Welt der Reisenden entfernt hausen US-Bürger, denen die Finanzkrise erst einmal eine Bruchlandung beschert hat.

Hier, auf einer staubigen Brachfläche zwischen der alten Bahnlinie ins St. Joaquin-Tal und der Frachthalle des Flughafens haben sich seit über einem Jahr hunderte von Menschen in einer Zeltstadt niedergelassen, so wie sie in den USA immer öfter am Rande größerer Städte zu finden sind. Es ist eine Gemeinschaft alter Pechvögel und frisch Abgestürzter, die sich hier in unfreiwilliger Nähe die wenigen Dixiklos und Nahrungsmittelspenden der Pfarrgemeinde teilen. Die Notgemeinschaft versucht einen Rest der alten Ordnung aufrechtzuerhalten: Links der Straße hausen in gespendeten Igluzelten, hinter Maschendrahtzaun, diejenigen, die noch nie den amerikanischen Traum gelebt haben. Rechts, in den schon etwas glanzlosen Wohnmobilen diejenigen, die jäh aus dem Wohlstandstraum gerissen wurden.

Im Edelviertel der Campmobile sitzen unter dem einzigen schattenspendenden Baum einige Männer auf weißen Plastikstühlen. Sie reden über das Wetter und das Essen, mehr gibt es nicht zu sagen. Auf Besuch haben sie keine Lust. “Nee, wir sind doch nicht im Zirkus hier”, mault einer. Einige Umstehende verschwinden in ihre Wohnmobile, das letzte Gehäuse ihrer bürgerlichen Würde. Schließlich, warum zur Hölle auch nicht, erzählen sie doch, es gibt eh nichts anderes zu tun.

Amado und Jim stammen aus Ontario, daher tragen sie ein orangefarbenes Plastikarmband, das sie gemäß der Anordnung der Stadtverwaltung als Privilegierte auszeichnet. Sie erkundigen sich vorsichtig, ob der Artikel über sie in der Lokalpresse zu lesen sein wird. Sie haben Verwandte und Kinder in der Umgebung, die nicht wissen sollen, wo sie jetzt leben. Zu peinlich. Zu kompliziert, zu irgendwas, das alles zu erklären. Man kann es ja selbst nicht so richtig fassen.

Randy und Kim, die ein blaues Armband für “Auswärtige” tragen müssen, sind vor mehreren Monaten aus dem Nachbarstaat Nevada zugezogen. Eigentlich dürfen beide gar nicht mehr hier sein. Der Sheriff von Ontario hat angekündigt, dass sie demnächst verschwinden müssen – der Andrang ist zu groß. Ontario will, nachdem die Zeltstadt im vergangenen Jahr sprunghaft von einigen Dutzend auf plötzlich 400 Obdachlose aus mehreren Bundesstaaten angeschwollen ist, nur noch Einheimische dulden.

Die Verwaltung hat allen einen laminierten Ausweis verpasst. Nur wer ein solchen vorweisen kann, darf die Brachfläche betreten. Mehrmals in der Stunde rollt ein Streifenwagen vorbei, von dem aus ein dicker Polizist Fremde fragt, was sie hier suchen. “Na ja. Helfen tun sie uns gerade nicht”, sagt Amado vorsichtig. “Strom oder fließendes Wasser – nada”, raunzt Kim. Es ist nicht angesagt, sich zu beklagen.

Der Sheriff führt ein strenges Regiment. Noch im letzten Herbst galt ab 22 Uhr Ausgangssperre, die Klos wurden abgeschlossen, bis sich alle aufregten. Amando lebt hier seit Oktober in einem verstaubten Campervan. Einst war der vierfache Familienvater selbst Immobilienmakler. Dann kam die Scheidung. Zuletzt jobbte er als Truckfahrer und schließlich, nach dem Diebstahl seiner Sozialversicherungsnummer, stapelten sich die unbezahlten Rechnungen. Bis die Bank ihre Hypothek einforderte und er zwangsgeräumt wurde.

Kim, 64, der aus Nevada hierherkam, verlor im letzten Herbst seinen Job als Lkw-Fahrer, nachdem er sich den rechten Arm gebrochen hatte. Zu alt, zu teuer, sagte ihm sein Boss. Die Schulden, die Hypothek, die Zwangsräumung – bis zur Zeltstadt von Ontario dauerte es nur wenige Wochen. Er hatte ein schönes Haus in Reno, sagt er. Sein Wohnwagen steht neben dem einer vierköpfigen Familie. Die Familienmutter hat noch ihren Job, die Kinder bringt sie morgens von der Zeltstadt aus zur Schule. Als sie merkt, dass jemand ihre Wagennachbarn interviewt, macht sie die Autotür hinter sich zu.

Die Männer reden sich ein, dass sie hier “bald wieder raus” sind. Gegenwärtig leben sie von Sozialhilfe, der bescheidenen Social Security, die ihnen monatlich wenige hundert Dollar auszahlt. Na klar werden sie bald, wenn die Krise vorbei ist, wieder gut bezahlte Jobs finden. Nur Randy, der vor einem Jahr einen Schlaganfall hatte und halbseitig gelähmt ist, sagt nichts. Er zuckt langsam mit den Schultern. “Der amerikanische Traum”, sagt er dann, so gut es mit der Lähmung geht. “Ich, ich war ein Traum für Amerika, ich habe zwei Jahrzehnte in der US-Army gedient, jetzt zahlen sie mir eine lausige Rente”, meint er und will noch mehr sagen, lässt es dann aber.

Alle vier verabschieden sich hastig, als es plötzlich auf der Straße hupt. “Fütterung”, ruft es aus verschiedenen Richtungen der Zeltstadt. Ein kirchlicher Wohlfahrtsdienst kommt einmal am Tag und bringt Essen in Styroporboxen. Wohnwagentüren und Zeltreißverschlüsse öffnen sich. Langsam schlürfen Männer, Kinder, Frauen, Junge und Alte herbei und stellen sich ordentlich für die Essensausgabe auf.

Im Speckgürtel

Einige tausend Kilometer weiter östlich, im Speckgürtel der US-Hauptstadt, liegt Manassas, ein historischer Ort, in dem im Sommer Kostümierte legendäre Bürgerkriegsschlachten nachstellen. Die 35.000-Einwohner-Stadt wirbt im nahe liegenden Washington mit preisgünstigen Immobilien und Auktionen zwangsversteigerter Häuser. “Schon ab 1.000 Dollar Anzahlung”, versprechen die Annoncen. Die nächste Versteigerung findet kommenden Montag statt, wenn wieder weit über 1.000 Häuser aus Beständen diverser Banken unter den Hammer kommen, manche schon ab 30.000 Dollar. In ihnen wohnten bis vor kurzem junge Familien und Rentner, vornehmlich Latinos, hoffnungsvolle Migranten aus Mittelamerika, die sich auf Pump ein Stück vom unaufhaltsamen amerikanischen Aufstieg gekauft hatten.

Susan Jacobs von der Maklerfirma Assist-2-sell fährt an diesem Tag mit ihrem Firmenwagen durch die Stadtviertel von Manassas, in denen bereits ganze Straßenzüge zwangsgeräumt wurden. Die sportlich-elegante Endfünfzigerin ist im Jahr 2007 zur Topmaklerin in ihrem Landkreis Prince George County gekürt worden. Heutzutage hat sie “viel Freizeit”, meint sie und lacht. Im Viertel Georgetown hält sie vor einem Backsteinhaus aus den 60er-Jahren. “Solide gebaut, wie man damals eben baute, drei Zimmer, Küche, zwei Bäder, nichts Aufregendes, aber vor zwei Jahren wäre das für 300.000 Dollar weggegangen. Heute, eine Immobilienkrise später, kann man das Einfamilienhaus für 60.000 haben”, sagt sie. Deprimierend findet sie die vielen leeren Häuser in der Nachbarschaft. “Es drückt auch die Preise für diejenigen, die ihr Haus noch besitzen”.

Die Krise ruiniert sie alle doppelt. Denn, wie in den USA üblich, Gemeinden wie Manassas, in denen es wenig Großbetriebe gibt, generieren ihr Einkommen aus der Grund- und Eigentumssteuer. Larry Hughes, Kämmerer der Stadtverwaltung, kommt mit dem Rotstift kaum hinterher. Die ehemals 12 Verwaltungsabteilungen hat er auf 8 reduziert, 80 Mitarbeitern musste er kündigen, und neuerdings überlegt er auch, einige Schulen und Kindergärten zu schließen. “Kein Geld mehr”, sagt er knapp. “Und wir sind hier nicht mal im strukturarmen Mittleren Westen, sondern im Speckgürtel Washingtons.” Hughes schüttelt den ergrauten Kopf. “Und auf Obamas Konjunkturgeld müssen wir auch noch Monate warten, das geht alles viel zu langsam.”

Als Susan Jacobs Häuser noch ohne Anzahlung verkaufte, hatte sie jedes Wochenende einen vollen Terminkalender. Junge Familien, die in der boomenden Hauptstadtregion an gute Jobs und eine sichere Zukunft glaubten, kauften, kauften, kauften. Die Kreditkrise habe vor allem die Gruppe der neuen Zuzügler getroffen, die seit wenigen Jahren ins einst weiße, konservative Manassas strömten. Das Backsteinhaus, das Jacobs nun verkaufen soll, gehörte einer solchen Familie, die ihre zahlreichen Kredite für Haus, Auto, Fernseher und Schulen nicht mehr bedienen konnte. “Das Übliche eben.” Wohin die Familie gezogen ist, nachdem ihr Haus von der Bank zwangsgeräumt wurde, weiß die Maklerin nicht. “Wahrscheinlich zu Verwandten”, mutmaßt sie. “Es sind zu viele deprimierende Geschichten”, sagt sie noch. Irgendwie klingen sie alle gleich.

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