Delivering the Promised War

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Kriegsversprechen eingelöst

Von Knut Mellenthin

28.12.2009

Jahresrückblick 2009. Heute: Auch unter Barack Obama setzen die USA in Afghanistan und Pakistan auf eine Eskalation der Gewalt

Das einzige Wahlversprechen, das Barack Obama schon in seinem ersten Amtsjahr voll eingelöst hat, ist die Eskalation der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan und ihre Ausweitung auf Pakistan. Beide Länder hat der neue US-Präsident schon in einer seiner ersten programmatischen Reden am 27. März zu einem gemeinsamen Kriegsschauplatz erklärt: »Die Zukunft Afghanistans ist untrennbar mit der Zukunft seines Nachbarn Pakistan verbunden. In den fast acht Jahren seit dem 11. September sind Al-Qaida und ihre extremistischen Verbündeten in die entlegenen Grenzgebiete Pakistans umgezogen. (…) Für das amerikanische Volk ist diese Grenzregion zum gefährlichsten Platz der Welt geworden.«

Als Obama am 20. Januar das US-Präsidentenamt antrat, waren 32000 amerikanische Soldaten in Afghanistan stationiert. Im Sommer 2010 sollen es dreimal so viele sein. Einige tausend Mann Verstärkung hatte George W. Bush noch in der letzten Phase seiner Amtszeit angekündigt. Obama ordnete im Februar und März zusätzlich die Entsendung von weiteren 21000 Soldaten an. Einige Monate später gab er dem Drängen seiner Generäle nach und ordnete am 1. Dezember an, daß noch einmal 30000 Militärangehörige nach Afghanistan verlegt werden sollen.

Besatzung ausgeweitet

Gleichzeitig wird die Zahl der Beschäftigten von Privatunternehmen, die im Auftrag des Pentagon arbeiten und von denen viele bewaffnet sind, von derzeit 104000 voraussichtlich auf etwa 160000 steigen. Nach Angaben aus dem US-Senat wurde die Zahl der in Afghanistan tätigen »Private Contractors« allein zwischen Juni und September 2009 um 40 Prozent erhöht.

Auch wenn Obama zuletzt am 1.Dezember während seiner Rede in der Militärakademie West Point mehrfach betonte, der Truppeneinsatz in Afghanistan sei nicht »open-ended«, ist er in Wirklichkeit genau dies: ein Krieg ohne absehbaren Endpunkt, ohne klar begrenzten Schauplatz und ohne ein definiertes erreichbares Ziel.

Dies zeigt auch die Ausweitung des Kriegs auf Pakistan. Lediglich der Umstand, daß Afghanistan von der ­NATO militärisch besetzt ist und keinerlei eigene Politik betreiben darf, während Pakistan zumindest nominell immer noch ein souveräner Staat ist, erfordert jeweils unterschiedliche Vorgehensweisen. Indessen lassen die maßgeblichen Politiker und Militärs keinen Zweifel daran, daß Pakistan ihrer Ansicht nach der sehr viel wichtigere und brisantere, aber auch kompliziertere Teil des mit dem Kürzel »AfPak« bezeichneten Kriegsschauplatzes ist.

Zur Begründung wird immer wieder auf die pakistanischen Atomwaffen verwiesen, die »in falsche Hände fallen« könnten. Gemeint sind damit in erster Linie oppositionelle Kräfte, die sich der US- amerikanischen »Führerschaft« vielleicht nicht so hundertprozentig und absolut zuverlässig unterwerfen würden wie die derzeitigen Machthaber. Der Journalist Seymour Hersh berichtete am 16. November im Magazin The New Yorker, daß ein US-amerikanisches Spezialteam schon seit Jahren die »Entfernung« oder »Unschädlichmachung« von möglichst großen Teilen des pakistanischen Atomwaffen-Arsenals trainiert. Vor kurzem sei dieses durch eine Einheit des Joint Special Operations Command verstärkt worden, das für die Leitung von »Antiterror«-Kommandoaktionen verantwortlich ist.

Ultimatum an Islamabad

Nach Meldungen der New York Times und anderer US-Medien, die sich auf anonyme Insiderquellen im Regierungsapparat stützen, hat Obama schon im November ein strategisches Konzept der CIA genehmigt, das eine erhebliche Ausweitung der illegalen Aktivitäten des Geheimdienstes in Pakistan vorsieht. Teil der Planung soll sein, die Zahl der Drohnenangriffe auf pakistanische Ziele weiter zu steigern und ihre Reichweite auf andere Regionen, vor allem die Provinz Balutschistan, auszudehnen. Außerdem sollen mehr Agenten nach Pakistan geschickt und die Geldmittel der CIA für verdeckte Operationen kräftig erhöht werden. Flankiert werden diese Maßnahmen von einem massiven räumlichen und personellen Ausbau der US-Botschaft in Islamabad ebenso wie der Konsulate in Lahore, Karatschi und vor allem Peschawar, das mitten in den umkämpften »Stammesgebieten« liegt. Im Schutze der diplomatischen Immunität dienen diese Vertretungen auch als CIA-Stützpunkte.

Ebenfalls schon im November hatten US-Medien über einen Brief ihres Präsidenten berichtet, den sein Nationaler Sicherheitsberater General James L. Jones bei einem Besuch in Islamabad übergeben habe. Obama soll darin von der pakistanischen Regierung verlangt haben, ihren bisher auf den Nordwesten begrenzten Feldzug gegen die »Extremisten« auf andere Landesteile und auf andere Organisationen als die bisher hauptsächlich bekämpften auszuweiten. Der Sache nach handelt es sich bei diesem Forderungskatalog um ein Ultimatum: ­Obama operiert sogar öffentlich mit der Drohung, daß die USA die Dinge in Pakistan »selbst in die Hand nehmen« könnten, wenn die dortige Regierung es nicht bald schaffe, Al-Qaida und sämtliche andere »Extremisten« militärisch auszuschalten. Das schließt Presseberichten zufolge auch die Option auf Bodenoperationen US-amerikanischer Spezialeinheiten gegen den Staat ein.

Schon seit dem 11. September 2001 steht die Führung Pakistans unter zunehmendem US-amerikanischen Druck, die von Paschtunen bewohnten »Stammesgebiete« mit militärischer Gewalt zu unterwerfen. Das Resultat ist die Ausdehnung des Konflikts auf immer größere Teile des Landes, vor allem aber auf die Städte. Die US-Administration ist bemüht, diese Eskalation durch die Forderung nach der Eröffnung neuer Fronten noch weiter anzuheizen. Die Feldzüge gegen die »Stammesgebiete« führen immer wieder zur Flucht Hunderttausender und vergrößern die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit für immer mehr Menschen. Gleichzeitig drängen sie die Kämpfer fundamentalistischer Gruppen in andere Regionen ab. Damit werden Gründe für weitere Operationen der Streitkräfte und für neue Forderungen der USA geschaffen.

Pakistanische Medien schätzen unter Berufung auf Insider im Militär- und Regierungsapparat, daß der unter amerikanischem Druck geführte Bürgerkrieg bisher 35 Milliarden Dollar gekostet hat. Im selben Zeitraum hat Islamabad von den USA, militärische und zivile Hilfe zusammengerechnet, nur rund zwölf Milliarden Dollar erhalten. Innerhalb weniger Jahre haben sich die pakistanischen Auslandsschulden von 32,3 Milliarden (2003) auf derzeit 57,4 Milliarden Dollar erhöht. Unter US-amerikanischer Führung und Nötigung befindet sich das Land auf dem Weg, ein »Failed state« zu werden, der irgendwann unter direkte Kontrolle genommen werden »muß.

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