Has Europe Been Written Off?

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Europa abgeschrieben?

Von Paul Lendvai

03. Februar 2010, 18:16

Dass Präsident Obama bereits jetzt die Teilnahme am für Ende Mai geplanten Madrider EU/US-Gipfeltreffen abgesagt hat, ist mehr als eine Ohrfeige für die spanische Präsidentschaft der EU

Nach knapp einem Jahr stehe Präsident Barack Obama mit dem Rücken zur Wand und die Folgen für die Außenpolitik seien überwiegend negativ. Diesem Befund des Washington-Korrespondenten der Financial Times über die Wende von der “Hoffnung zur Angst und zum Zorn” bei den amerikanischen Wählern kann man nach der Niederlage der Demokraten bei der Senatswahl in Massachusetts vorbehaltlos zustimmen. Obamas populistischer Schwenk gegen die Wall Street mag innenpolitisch verständlich sein. Der krasse Gegensatz zwischen den Milliardenboni der Banker und der hohen Arbeitslosigkeit hat eine beispiellose Wut auf die Spekulanten und Sympathie für Obamas Steuer- und Regulierungspläne geweckt. Ins gleiche Horn blies freilich auch der französische Staatschef Nicolas Sarkozy mit seiner Kritik über “den Verlust der Werte” und die Krise der Globalisierung.

Angesichts der enormen Schuldenberge, der Arbeitslosigkeit und des Aufstiegs der Schwellenländer wird auch die Rückkehr des Protektionismus befürchtet. Obamas Chefberater für Wirtschaftsfragen, Larry Summers, wies darauf hin, dass jeder fünfte männliche Amerikaner zwischen Mitte zwanzig und Mitte fünfzig keine Stelle habe, während in den Sechzigerjahren 95 Prozent dieser Altersgruppe beschäftigt gewesen seien. Zur “Rettung des Kapitalismus” sollte laut Summers der Freihandel für jene Staaten, welche gewinnsüchtige Handelspolitik betreiben (China?), nicht gelten.

Im Gegensatz zu den gängigen optimistischen Klischees des US-Soziologen Jeremy Rifkin über die “Vision einer leisen Supermacht” in Gestalt von Vereinigten Staaten von Europa fehlen den maßgeblichen Persönlichkeiten der EU die gerade in der globalen Krise unerlässlichen Führungseigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Standhaftigkeit, Autorität und konfliktbereite Entscheidungsfreude.

Der neue ständige Ratspräsident, der Belgier Herman Van Rompuy, die von Fachkenntnissen unbelastete erste “Außenministerin” der Union, die Britin Catherine Ashton und nicht zuletzt der wiedergewählte Kommissionspräsident José Manual Barroso sind Moderatoren der situationsabhängigen Konsensfindung und kaum fähig, über die Tagesroutine hinaus öffentlich klare Zielvorgaben zu setzen.

Dass Präsident Obama bereits jetzt die Teilnahme am für Ende Mai geplanten Madrider EU/US-Gipfeltreffen abgesagt hat, ist mehr als eine Ohrfeige für die spanische Präsidentschaft der EU zu einer Zeit, in der das Land sich in einer akuten Wirtschaftskrise befindet. Er bleibt wohl nicht nur aus innenpolitischen Gründen in Washington.

Trotz der vom Lissabon-Vertrag hochgespielten Erwartungen spricht die Union von 27 Staaten nach wie vor nicht mit einer Stimme und spielt eine marginale Rolle in den brisantesten Sicherheitsfragen wie Afghanistan, Pakistan und Nahost. Obama blieb bekanntlich auch den symbolträchtigen Feiern zum Berliner Mauerfall fern.

Während also die EU anscheinend als eine eigenständige Kraft in der Weltpolitik “abgeschrieben” wird, richtet Washington seine ganze Aufmerksamkeit – neben den Krisenherden – auf die sogenannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China).

(Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2010)

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