How to Read Obama’s Middle East Policy Properly

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Ein Problem des Nahostkonflikts ist, dass zwar sehr viele Menschen und Politiker eine meist starke Meinung dazu haben, dass aber das Wissen über den Konflikt oft weit weniger gut ausgeprägt ist als die Ansichten darüber. Das fängt bei den Sprachregelungen und Positionen an, die inzwischen von solch kleinen Nuancen abhängen, dass man schon die höhere Kunst der Hermeneutik beherrschen muss, um sich da noch auszukennen. Ein gutes Beispiel dafür ist Barack Obamas Nahostrede. Hier der Versuch einer Auslegung.

In Henry Kissingers Memoiren findet sich in Band I eine schöne Passage zur gefrorenen Sprache des Nahostkonflikts. Kissinger schreibt darin über seine ersten Erfahrungen auf diesem Terrain:

“Als ich mein Amt übernahm, wusste ich vom Nahen Osten nur sehr wenig. Ich hatte noch nie ein arabisches Land besucht und war mit der Liturgie der Verhandlungstechniken im Nahen Osten nicht vertraut. Zum ersten Mal hörte ich bei einem Essen in der britischen Botschaft im Februar 1969 von einer der Grundregeln der Diplomatie in diesem Gebiet. Irgendjemand bediente sich der sakramentalen Sprache der Resolution 242 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und murmelte etws über die Notwendigkeit eines gerechten und dauernden Friedens innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen. Mir kam diese Phrase so platt vor, dass ich dem Sprecher sagte, ich hätte den Eindruck, er wolle mich auf den Arm nehmen. Das war ein Fehler, den ich nicht wiederholen durfte. Am Ende meiner Amtszeit hatte ich mein Verhalten dem aller anderen erfahrenen Nahost-Unterhändler angepasst; das Wort war zur Realität geworden, Form und Substanz waren zu einer Einheit verschmolzen. Ich war versunken in die Zweideutigkeiten, Leidenschaften und Enttäuschungen jener so erregenden und heroischen Region, die einen zum Wahnsinn treiben konnten.”

Nun treibt mich der Nahe Osten auch schon weit mehr als 20 Jahre in den Wahnsinn. Aber als jemand, der sich gezwungenermaßen mit Sprachregelungen und Nuancen der Nahostpolitik auseinandersetzen musste war ich doch überrascht über die heftige Reaktion von Israels Premier Benjamin Netanjahus auf die Passage in Obamas Rede, wonach die Basis eines Friedensabkommens die Grenzen von 1967 sein sollten mit Änderungen der Grenzverläufe, auf die sich beide Seiten einigen. Denn schließlich ist das nicht nur seit Jahren die faktische Geschäftsgrundlage, auf der die israelische Regierung und die palästinensische Autonomiebehörde Friedensgespräche führen, sondern es war auch schon die Position von George W. Bush in seinem Brief an Premierminister Ariel Scharon, mit dem die Israelis ihren Rückzug aus dem Gazastreifen absichern wollten.

Bush schrieb damals: ” …it is unrealistic to expect that the outcome of final status negotiations will be a full and complete return to the armistice lines of 1949… It is realistic to expect that any final status agreement will only be achieved on the basis of mutually agreed changes that reflect these realities.”

Auch Bush nimmt also die Waffenstillstandslinien von 1949, auch bekannt als die “Grüne Linie” oder die Grenzen von 1967 vor dem Sechstagekrieg, als Bezugspunkt einer Friedenslösung und betont aber die Notwendigkeit von Gebietstausch, um Siedlungsblöcke aus demographischen und Sicherheitserwägungen nach Israel einzugemeinden.

Diese Passage sahen die Palästinenser übrigens als einziges echtes Zugeständnis eines Präsidenten, den sie ansonsten als sehr israelfreundlich ansahen. In den “Palestine Papers” findet sich darüber ebenfalls Material (Dank an Michael Borgstede für den Hinweis, hier und hier ). Demnach hat Condoleezza Rice mindestens nach der Annapoliskonferenz von 2007 dieses Prinzip hinter verschlossenen Türen als Verhandlungsgrundlage über die Grenzziehung akzeptiert. Als der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat dann die Regierung von Barack Obama dazu drängte, diese Übereinkunft 2009 öffentlich zu machen, bekommt er von dem amerikanischen Nahost-Gesandten George Mitchell gesagt, man stünde unter israelischem Druck, das nicht zu tun. Kurze Zeit später warnt er Erekat: “Verwenden Sie es nicht, es könnte ihnen schaden.” Erekat erwidert wütend: “Aber das war eine Abmachung mit Secretary Rice… Um Himmelswillen, sie sagte, wir sollten das offiziell festhalten.” Erakat will offenbar nicht glauben, dass Obama “vielleicht unsere einzige Errungenschaft mit der Bush-Regierung” wieder zurücknehmen will.

Obama hat also nur ein Zugeständnis der Bushregierung nun auch öffentlich bekräftigt als er sagte:

“Wir glauben, dass die Grenzen zwischen Israel und Palästina auf den Linien von 1967 basieren sollten mit Landtausch, auf den sich beide Seiten verständigen, damit sichere und anerkannte Grenzen für beide Staaten geschaffen werden können.”

Das Problem der Obama-Rede besteht also nicht darin, nun noch einmal ein Prinzip bekräftigt zu haben, das ohnehin Grundlage der Verhandlungen zwischen beiden Seiten ist. Die leichte Hinwendung zu propalästinensischen Positionen lässt sich eher an den Passagen ablesen, in denen Obama vage geblieben ist. Etwa hinsichtlich der Hamas. Obama sagte: “Besonders die kürzlich verkündete Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas wirft ernste und legitime Fragen für Israel auf: Wie kann man mit einer Partei verhandeln, die sich unfillig gezeigt hat, Israels Existenzrecht anzuerkennen? In den kommenden Wochen und Monaten werden palästinensische Führer eine glaubwürdige Antwort auf diese Frage geben müssen.”

Bei einem Text, der viele und skrupulöse Redigierprozesse durchlaufen hat mutet es seltsam an, dass Obama nicht sagt, dass Amerika ein Problem mit dieser Hamas-Politik hat sondern Israel. In der “sakralen Sprache” der Nahostpolitik hätte Obama an dieser Stelle eigentlich noch einmal die drei Prinzipien des Nahostquartetts in dieser Frage anbringen müssen: Verhandlungen mit Hamas nur, wenn diese Israels Existenzrecht anerkennt, Gewaltverzicht übt und die bisherigen Verträge zwischen Autonomiebehörde und Israel anerkennt. Dass er das nicht getan hat legt nahe, dass es Amerika mit diesen Prinzipien nicht mehr so genau nehmen will, um Hamas mit ins Boot zu holen. Allerdings muss der Fairness halber erwähnt werden, dass Obama dieses Versäumnis bei seiner Rede vor der Lobbyorganisation AIPAC wenige Tage später nachgeholt hat.

Ebenfalls vage hat Obama sich zu der Flüchtlingsfrage geäußert. Die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge auf israelisches Territorium ist ja in etwa das, was der Siedlungsbau für Israel ist: Die zentrale Lebenslüge des palästinensischen Diskurses. Dazu hat Obama nur gesagt, dass erst der Grenzverlauf geklärt werden soll und die Flüchtlingsfrage später. Dabei hätte die Ehrlichkeit, die er bei der Frage des Grenzverlaufes gegenüber Israel an den Tag gelegt hat eigentlich auch verlangt, dass er den Palästinensern ehrlich sagt, dass es ein generelles Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Israel nicht geben kann. Auch hier hat der Präsident sich also tendenziell den Palästinensern angenähert.

Am Besorgniserregendsten ist allerdings, dass sowohl Netanjahu als auch Obama ihre verheerende Konfrontationspolitik der vergangenen Jahre fortsetzen. Man muss davon ausgehen, dass Netanjahu den Konflikt um die Grenzen aufgebauscht hat, um zuhause seine Koalition zusammenzuhalten. Er sucht also aus innenpolitischen Gründen einen Konflikt mit dem mächtigsten Mann der Welt, der seinem Land nur schaden kann. Man möchte sich nicht vorstellen, was das für das Verhältnis beider Staaten bedeuten könnte, wenn Barack Obama – was gar nicht so unwahrscheinlich ist – die nächsten Wahlen gewinnt und dann in seiner Nahostpolitik keine Rücksicht mehr nehmen muss auf israelfreundliche Wähler.

Aber auch Barack Obama lässt nicht locker. Dessen Nahostpolitik war bisher ein einziges Desaster. Er hat die Mär der Europäer übernommen, wonach der Nahostkonflikt das zentrale Problem ist, an dem die Region krankt. Das war schon immer eine Projektion und entsprach nicht der Realität. Diese Fiktion ist aber von den arabischen Revolutionen vollens zerstört worden. Die Demonstranten haben deutlich gemacht, dass die durch die Diktaturen blockierte Entwicklung das Grundproblem dieser Weltgegend ist und dass sie sich nicht weiter vom Nahostkonflikt als Geisel nehmen lassen wollen. Und Obama macht trotzdem so weiter, als sei nichts passiert. Schlimmer noch: Gerade wegen der Revolutionen und deren ungewissen Ausgang spricht vieles dafür, den Konflikt erst einmal zu managen und abzuwarten, bis sich in der Region ein neues Koordinatensystem herausgebildet hat. Stattdessen macht Obama weiter damit, die israelische Regierung zu größeren Zugeständnissen zu drängen als die Palästinenser.

Obama vergrößert damit noch den Schlamassel, der er angerichtet hat, als er die Palästinenser zur Festlegung auf Maximalpositionen in der Siedlungsfrage drängte. In einem Gespräch mit Newsweek hat Abbas das so beschrieben: ”Es war Obama, der die Einfrierung der Siedlungsaktivitäten vorgeschlagen hat. Ich sagte OK, ich akzeptiere das. Wir sind beide auf den Baum heraufgeklettert. Dann ist er auf einer Leiter wieder heruntergeklettert, hat die Leiter weggenommen und gesagt: spring.”

Es war ein enormer taktischer Fehler Obamas, sich eine Forderung zu eigen zu machen, die die Palästinenser früher nie als Grund zur Verweigerung von Gesprächen gesehen hatten. Aber wenn der US-Präsident das öffentlich fordert, dann kann ein palästinensischer Präsident natürlich nicht dahinter zurückstehen.

Interessant ist auch Mitchells Ausbruch in den “Palestine Papers” zu der Frage: “You guys are now trying to come up with a history that Obama somehow invented the freeze. You and the Arabs have been calling for a freeze long before Obama. He did not pull it out of the air and impose it!”

Offenbar hatte die Obama-Regierung zu dieser Zeit eine der Grundtatsachen der Nahostpolitik nicht verstanden: Dass arabische Politiker öffentlich oft etwas anderes sagen, als sie tatsächlich meinen. Das lässt sich etwa an den Iran-Äußerungen arabischer Politiker in den Wikileaksdepeschen nachlesen. Während sie öffentlich gegen Israel wettern und kaum über den Iran reden zeigt sich in den Depeschen, dass es längst eine Interessenkoalition zwischen den moderaten arabischen Regimen und Israel gegen Iran, Hamas und Hisbollah gab.

Dem Präsidenten hätte aber zumindest klar sein müssen, dass die Regierung Netanjahu da nicht lange mitgehen konnte, ohne die Regierungskoalition zu sprengen. Obama hat so nicht nur den Karren in den Dreck gefahren, sondern letztlich die palästinensische Entscheidung befördert, gegen die Osloer Verträge zu verstoßen und in der Generalversammlung der UN ihren Staat ausrufen zu lassen. Seine Rede lässt aber nicht erkennen, dass er aus diesem Debakel gelernt hat. Er und Netanjahu tun weiter alles, um die besondere Beziehung beider Länder zu beschädigen. Das ist das eigentliche Problem mit Obamas Rede zum Nahen- und Mittleren Osten und Netanjahus Reaktion darauf.

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