Politically Bankrupt

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Politisch bankrott

Von Holger Schmale

Mit den Abgeordneten der fundamentalistischen Tea Party innerhalb der Republikaner wurde im vergangenen Jahr aber eine ganze Gruppe von Leuten in den Kongress gespült, die den Kompromiss aus Prinzip ablehnen

Sind die USA noch regierbar? Das dramatische und irrationale Ringen der vergangenen Tage um die Zahlungsfähigkeit des Staates wirft diese Frage ernsthaft auf. Über viele Jahrzehnte hat die Politik der USA nach dem immer gleichen Modell funktioniert: Die jeweils oppositionelle Partei führte mit ihren Kandidaten Wahlkampf gegen die da oben in Washington, ein schon immer populäres Thema im riesigen, regierungsfernen Land. Sobald sie selber die Macht in der Hauptstadt errungen hatten, schwenkten Demokraten wie Republikaner schnell in die eingefahrenen Gleise des Kompromissgeschäfts ein.

So unbeliebt der Kompromiss im konfliktfreudigen Amerika eigentlich auch ist – das im Prinzip seit über zweihundert Jahren nach den gleichen Regeln arbeitende politische System baut auf ihm auf. Das von den Verfassungsvätern gewollte Wechselspiel von Checks and Balances, die gegenseitige Abhängigkeit von Präsident und Kongress, kann nur funktionieren, wenn sich alle, auch angesichts tiefer Meinungsverschiedenheiten, an die Regeln halten und irgendwann kompromissbereit sind.

Das Land ist politisch tief gespalten

Mit den Abgeordneten der fundamentalistischen Tea Party innerhalb der Republikaner wurde im vergangenen Jahr aber erstmals eine ganze Gruppe von Leuten in den Kongress gespült, die den Kompromiss aus Prinzip ablehnen. Dieser Haltung ist das politische System der USA wehrlos ausgesetzt. Die staatsfeindliche Tea-Party-Bewegung hat nicht nur die Republikanische Partei gekapert, sondern es als kleine radikale Minderheit verstanden, die große Mehrheit des Kongresses und Präsident Barack Obama gleich mit vor sich herzutreiben. Sie bestimmt die politische Agenda und hat dem Führer ihrer eigenen Partei, John Boehner, ebenso wie Obama schwerste Niederlagen zugefügt. Sie hat beide, die eigentlich mächtigsten Politiker, über Wochen als handlungsunfähig vorgeführt.

Die Tea Party hat die große ideologische Auseinandersetzung, die die USA im Prinzip seit den Zeiten des New Deal spaltet, auf ihren nackten, eigentlichen Kern zurückgeführt. Es geht darum, ob die USA ein Sozialstaat bleiben, in dem die Gewinner der Gesellschaft mit ihren Steuern sicherstellen, dass die Verlierer nicht untergehen. Oder ob sie eine Raubtiergesellschaft werden, in der jeder das Recht auf seine ganze Beute, seinen ganzen Verdienst hat und jede Steuer als Diebstahl betrachtet wird.

Die Tea-Party-Ideologen führen diese Auseinandersetzung ohne jeden moralischen und politischen Anstand und mit einer gnadenlosen Härte, von der man nur hoffen kann, dass sie sich am Ende gegen sie selbst richtet. Dass nämlich eine Mehrheit der Amerikaner erkennt, dass in der Politik gleiches gilt wie im Alltagsleben: Ohne Kompromissbereitschaft geht nichts voran. Und dass Leute, die ein ganzes Land zur Geisel ihrer fundamentalistischen Sache nehmen, nicht geeignet sind, es zu führen. Die Tea Party hat die das Land schon seit Jahrzehnten lähmende Polarisierung nicht geschaffen, aber noch einmal verschärft. Auch, indem sie den ersten schwarzen Präsidenten zu einem Vogelfreien erklärt hat, zu einem Hassobjekt, das keinerlei Respekt mehr verdient. Das haben die Republikaner schon einmal versucht, mit Bill Clinton, den sie schließlich mit einem irrwitzigen Abwahlverfahren überzogen. Sie sind damals letztlich daran gescheitert, dass eine Mehrheit der Amerikaner eine so maßlose, verhetzte Form der politischen Auseinandersetzung nicht will.

Der formale Staatsbankrott ist nun wohl gerade noch vermieden worden. Aber wie stehen die USA da? An der unermesslichen Verschuldung ändert sich nichts. Das Land ist politisch tief gespalten. Es herrschen hohe Arbeitslosigkeit und niedriges Wachstum, Zehntausende Soldaten führen einen verlorenen Krieg in Afghanistan, der internationale Einfluss der USA ist so gering wie nie. Es ist eine erbärmliche Bilanz für eine Supermacht. Und für einen Präsidenten, der mit so großen Hoffnungen gewählt worden ist. Barack Obama konnte sie nicht erfüllen, zu desaströs war das von George W. Bush hinterlassene Erbe.

Aber er hat unerwartete Schwächen gezeigt, gerade im Konflikt um den Haushalt. Sein Prinzip des „leading from behind“, des Führens aus dem Hintergrund, erscheint in Zeiten von Krisen und großer Polarisierung als Schwäche. Und dennoch hat er eine Chance auf Wiederwahl im kommenden Jahr: die Vernunft der Bürger, die letztlich einem Versöhner mehr trauen als einem Spalter. Das aber ist auch die letzte Hoffnung für die Regierbarkeit der USA.

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