Obama in the Economic Crisis: The Downgraded President

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Obama in der Wirtschaftskrise: Der abgewertete Präsident

Was ist los mit Barack Obama? Seinen Zauber hat er verloren, er befindet sich im freien Fall. Gelingt ihm kein Jobwunder, ist er bald Ex-Präsident – und geht als Blender in die Geschichte ein.

Der arme Obama. “Raus! Raus! Raus!”, schreien sie ihm entgegen, Freund wie Feind. Die Gegner wollen ihn raushaben aus dem Weißen Haus, spätestens nach den Präsidentschaftswahlen im November 2012. Die Freunde wollen ihn raushaben aus Washington, der politisch verseuchten Stadt, sofort, damit er den Ruch des Parteigezänks los wird – und so seine Wiederwahlchancen verbessert. Und deshalb fährt Barack Obama nächste Woche erst einmal aufs Land, in den Mittleren Westen. Volksnähe atmen, Volksnähe zeigen, will er, soll er, nach diesen niederschmetternden Wochen in der Hauptstadt, die Ärmel ein wenig hochkrempeln, ein bisschen Bus fahren. Und so vor allem eines tun: seine ramponierte Präsidentschaft retten.

Die vergangene Woche war desaströs

Denn, da gibt es kein Vertun, Ex-Messias Obama befindet sich im freien Fall. Seinen messianischen Zauber hat er schon lange verloren, nun hat er allen Kredit beim Wähler aufgebraucht. Die vergangene Woche war desaströs. Erst hetzte die Tea Party ihn in einen schlechten Kompromiss im Schuldenstreit. Gleichzeitig schürten Arbeitslosenquote (9,1 Prozent) und magere Wachstumsaussichten Ängste vor einer erneuten Rezession. Dann kam die S&P-Ohrfeige, und am Samstag starben in Afghanistan auf einen Schlag 30 US-Soldaten, so viele wie nie zuvor bei dieser Mission. Obamas Amerika erscheint gesellschaftlich gespalten, politisch zerrissen, wirtschaftlich am Abgrund und militärisch ausgelaugt. “Yes, we can”? Von wegen. Obama verzeichnet derzeit die schlechtesten Umfragewerte seiner Amtszeit.

Und wer ist schuld an dieser Misere? Die Tea-Party-Freaks? Das Erbe der Finanzkrise? Sicher, alle ein bisschen. Vor allem aber ist es der Präsident selbst. Es gebe “eine kreischende Dissonanz” zwischen Obamas Versprechen und der Wirklichkeit, schreibt die liberale Kolumnistin Maureen Dowd in der “New York Times”. Und sie hat recht. Die große Versöhnung? Gescheitert. Die Gesundheitsreform, das Megaprojekt des ersten Jahres? Bis zur Unkenntlichkeit gestutzt. Guantánamo? Gibt’s immer noch. Und die Wirtschaftspolitik? Zu lange versäumte Obama es, sich um jene Themen zu kümmern, die die Amerikaner bis heute am meisten bewegen: den Arbeitsmarkt, das Wachstum. Er erkannte nicht, dass eine clintonsche Weisheit derzeit mehr denn je gilt. “It’s the economy, stupid!”

Er wirkte wie ein Zuschauer

Schon im Winter des vergangenen Jahres hatte Obama unter massivem Druck des nun republikanischen Abgeordnetenhauses Steuererleichterungen für Reiche aus der Bush-Ära verlängert. Und auch in der Debatte um Amerikas immensen Schuldenberg ließ Obama Führungsqualitäten vermissen. Stattdessen ließ er die Debatte treiben, bis die Republikaner in der Lage waren, ihn zu erpressen, weil der Regierung der Bankrott drohte. Die Verhandlungen führten dann die Demokraten-Bosse im Kongress, nicht der Präsident. Bei kurzen TV-Auftritten beschwor Obama dafür ebenso wolkig wie wirkungslos die Überparteilichkeit statt mit Schmackes für seine Politik zu kämpfen. Er wirkte wie ein Zuschauer. Zur Strafe engt das Spardiktat nun seinen Handlungsspielraum ein. Investitionsprogramme anzuschieben ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Angesichts dessen erscheint die S&P-Klatsche wie ein Zertifikat für das wirtschaftspolitische Unvermögen des Präsidenten.

Sicher, außenpolitisch war Obama erfolgreicher. Es gab die Prager Rede zur Abrüstung oder die Kairoer Rede zum Dialog mit der islamischen Welt. Sogar mit dem Friedensnobelpreis wurde der Demokrat dekoriert. Er fuhr das US-Engagement im Irak herunter und setzte einen Zeitplan für den Truppenabzug aus Afghanistan durch. Den Libyen-Einsatz verteidigte er gegen harsche innenpolitische Kritik – ebenso wie seinen Ansatz, dass Amerika nicht immer überall an vorderster Front führen müsse. Er, Obama, hieß es, favorisiere das Führen aus der zweiten Reihe, das “leading from behind”. Manche legten ihm auch das als Schwäche aus. Am 1. Mai dieses Jahres jedoch gelang Obama sein bislang größter Erfolg: die Tötung Osama bin Ladens, von Amerikas Staatsfeind Nummer eins. Der sanfte Obama erschien plötzlich als entschiedener Osama-Jäger. Ihm gelang, was dem Krieger George W. Bush nicht geglückt war. Was für ein Sieg! Was für Bilder! Dass der “New Yorker” jüngst die Heldensaga dieser Mission en Detail beschrieb, ist deshalb ebenso im Sinne des Weißen Hauses wie die Hollywood-Verfilmung der Osama-Mission. Politisch passend soll der Film im Oktober 2012 ins Kino kommen. Das wäre wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl. Aber selbst Hollywood wird Obama nicht vor einer Niederlage retten können. Denn die Wahl 2012, das ist längst klar, wird nicht von Nobelpreisen oder Heldenepen entschieden, sondern von Arbeitslosenquote und Wachstumsrate. “So besorgniserregend Schulden und Defizit auch sind”, sagte Obama in seiner Rede am Montag, “die dringlichste Sorge der meisten Amerikaner gilt den Jobs und dem langsamen Tempo der wirtschaftlichen Erholung.”

Geht Obama als Blender in die Geschichte ein?

Es gibt nun eine Menge mehr oder minder ernüchterter und enttäuschter Obamalogen, die ergründen, weshalb der einstmalige Messias derart abgestürzt ist. Er sei schlicht zu weich, meinen einige, er habe nicht erkannt, dass Politik härter ist als warme Worte. Er sei zu abgehoben-professoral, unken andere. Obama habe zu lange an die Idee geglaubt, dass sich die politische Vernunft in einem bürgerlich-republikanischen Diskurs durchsetzen werde, philosophiert etwa Michael Tomasky von “The Daily Beast”. Virginia Postrel von “Bloomberg” ist strenger. Der Fehler habe immer darin bestanden, Obamas Glamour für Charisma zu halten. Der Glamour sei nun verflogen, charismatische Fähigkeiten habe er nie besessen. In der “New York Times” hält ein Psychologe dem Präsidenten vor, dass es ihm mittlerweile an Leidenschaft fehle. Politische Freunde hat er derzeit wohl auch wenige: “Die Rechten geißeln ihn als Sozialisten”, schreibt Maureen Dowd, “die Linken als Konservativen, und die Mitte als Wackelkandidaten.” Der arme Obama. Das alles liest sich so, als müsse ein ermatteter Ex-Messias umschulen. Mehr noch: Läuft es schlecht für Obama, wird er als Blender in die Geschichte der US-Präsidentschaft eingehen – als Blender mit nur einer Amtszeit.

Wiederauferstehung mit der Sparknute im Nacken

Die gute Nachricht für den Präsidenten lautet: Noch ist es nicht so weit. Noch ist es weit hin bis zum November 2012. Und noch spricht einiges auch für ihn. Die republikanische Konkurrenz etwa ist schwach, auch wenn mit Michele Bachmann und dem erzchristlichen texanischen Gouverneur Nick Perry auf der Rechten neue, noch halbwegs unverbrauchte Gesichter ins Rampenlicht treten. Noch hat Obama die Chance, sich als Job-Präsident vor allem gegenüber der Mittelschicht zu erfinden, wenn auch unter denkbar erschwerten Umständen. Sein haushaltspolitischer Handlungsspielraum ist minimal, die Republikaner sitzen ihm mit der Sparknute im Nacken. Und in Personalnöten ist Obama überdies: In den vergangenen Wochen sind fast alle Top-Wirtschaftsberater des Präsidenten abgetreten. Der arg gescholtene Finanzminister Timothy Geithner ist nur nach einigem Betteln geblieben.

Wie Obamas Strategie aussieht, war bereits an seinem Auftritt am Montagabend abzulesen: Zwar gelobte er, weiter sparen zu wollen. Gleichzeitig aber bat er den Kongress, auslaufende Zahlungen der Arbeitslosenversicherung sowie Einkommensteuerkürzungen zu verlängern, um so den Binnenkonsum zu stützen. Gleichzeitig drang er auf weitere Investitionen im Baubereich. Seht her, ich will in eure Jobs investieren, wenn die Republikaner mich nur lassen, soll das heißen. Wie schon in den Wochen zuvor versuchte Obama, sich als die Stimme der Vernunft zu inszenieren. Nicht der Mangel an Plänen sei das Problem in Washington, sondern der Mangel an politischem Willen. Und damit war auch gleich ein weiteres Thema für Obamas steinigen Weg der Wiederauferstehung erkennbar: Der Präsident will weiter als Figur gelten, die über dem hässlichen Kleinklein Washingtons steht. Obama, der wichtigste Insider Washingtons, will wieder als Outsider antreten. Ob die Strategie beim Wähler verfängt, ist völlig offen. Sicher ist nur: Am Montag erlebte die Wall Street den schlimmsten Tag seit der Finanzkrise 2008. Wenn Obama es hier nicht schafft, für eine Kehrtwende zu sorgen, ist er raus. Aus dem Weißen Haus. Und aus Washington. Und das nicht nur kurzfristig.

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