After Sept. 11: U.S. Muslims under General Suspicion

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Nach dem 11. September

US-Muslime unter Generalverdacht

Muslime in den Vereinigten Staaten fühlen sich noch immer als Terroristenfreunde verunglimpft. Zehn Jahr nach den Anschlägen kämpfen sie für ein Stück Normalität im Alltag.

Zehn Minuten lang hat die Frau im Hidschab geduldig durch das Fenster beobachtet, was der Fremde mit dem Fotoapparat vor ihrer Boutique an der Bay Ridge Avenue treibt. Jetzt hält es sie nicht mehr zwischen den Kleiderständern ihres Modegeschäfts „für die moderne islamische Frau“, wie es auf der grünen Markise heißt. Zaghaft tritt sie vor die Tür und fragt höflich, was denn so fotogen sei an dieser Straße, an der sich arabische Gemüse- und Fischhandlungen mit Schwarma-Ständen und Wasserpfeifen-Cafés abwechseln.

Sie ist nicht zornig, sie entschuldigt sich sogar für ihre Neugier. Aber es sei nun einmal so, dass man hier in Bay Ridge in letzter Zeit etwas nervös geworden sei.

Bay Ridge, das sind ein knappes Dutzend Häuserblocks im Südosten von Brooklyn, eine U-Bahn-Stunde von Manhattan entfernt. Im ewigen Bäumchen-wechsle-dich-Spiel der New Yorker Ethnien ist Bay Ridge vor rund 25 Jahren von einer vorwiegend jüdischen Bevölkerung an die arabischen New Yorker übergegangen. Etwa 45 000 Syrer, Palästinenser, Libanesen und Ägypter leben hier, seit sie durch die Gentrifizierung aus ihrer Stammgegend nahe dem heutigen Ground Zero an den Rand der Stadt gedrängt wurden.

Polizeispitzel als Provokateur

Sie hatten hier ihre Nische gefunden, eine sichere Enklave, wo sie ihre Bräuche und ihren Glauben in Ruhe ausüben konnten. Doch seit dem 11. September 2001 ist es unruhig geworden in Bay Ridge. Die Gemeinde wird unter die Lupe genommen. Von der CIA. Vom FBI. Von der New Yorker Polizei.

Vor allem deshalb ist hier 2002 die Arab-American Association of New York (AAANY) gegründet worden. Der Verein unterhält ein kleines Ladenbüro, in dessen Obergeschoss der Anwalt Lamis Jamal Deek seine Dienste anbietet. Er hilft den Anwohnern, wenn wieder einmal ohne einen erkennbaren Grund ihre Wohnung durchsucht wurde oder wenn sie wegen eines Kleinvergehens erpresst werden, für die Polizei über angebliche Terroraktivitäten in Bay Ridge zu berichten.

Direktorin der AAANY ist Linda Sarsour, Tochter palästinensischer Einwanderer. Ihr Äußeres lässt zunächst vermuten, dass man es mit einer besonders sittenstrengen Muslima zu tun hat. Ihr Kopftuch trägt sie so, dass auch kein einziges Haar darunter hervorschaut. Doch unter ihrem langen Kleid lugen enge Jeans und modische Lederstiefel hervor.

Mit ihrer Meinung hält Linda Sarsour nicht hinter dem Berg. Wenn sie über die Versuche der Behörden spricht, die muslimische Gemeinde zu infiltrieren, dann klingt ihr Wortschwall wie ein Rap von Eminem, und mehr als einmal rutscht ihr das Wort „fuck“ heraus. Da sei zum Beispiel vor einigen Jahren dieser Typ gewesen, der einen offensichtlich falschen arabischen Namen trug und sich den ganzen Tag nur in den Kaffeehäusern herumtrieb. „Dem hat von vornherein niemand getraut, keiner wollte mit ihm reden“, erzählt sie. Natürlich habe er sich als Agent der New Yorker Polizei entpuppt. Und als er keine Anhaltspunkte für terroristische Aktivitäten gefunden habe, habe er sie einfach fabriziert.

„Kamil Pasha“, wie sich der Agent nannte, traf sich regelmäßig mit einigen Kleinkriminellen in Bay Ridge. Nach Hunderten solcher Begegnungen – so die Version von Linda Sarsour – habe er es dann geschafft, die Gruppe zu einem Bombenanschlag auf eine Manhattaner U-Bahn-Station anzustiften. Heimlich nahm der Agent die Gespräche auf, ein junger Mann namens Shahawar Matin Siraj wurde 2007 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Die New Yorker Polizei feierte ihren Erfolg im Anti-Terror-Kampf.

Als Linda Sarsour während des Prozesses gegen Siraj jedem, der es hören wollte, erklärte, ihre Gemeinde sei Zielscheibe von Geheimdienstaktivitäten, ohne dass konkrete Verdachtsmomente gegen sie vorlägen, wurde sie von vielen als paranoid abgetan. Mittlerweile aber haben sich ihre Vorwürfe bestätigt: Im August deckten AP-Journalisten eine geheime Kooperation zwischen der CIA und der New Yorker Polizei auf, deren einziges Ziel es ist, arabisch-muslimische Gemeinden in New York zu bespitzeln. Mehr als 250 Gebetshäuser und muslimische Gruppen in der Stadt sollen überwacht worden sein.

„Moscheen-Schleimer“ nennt man in Bay Ridge die von der Sondereinheit rekrutierten inoffiziellen Mitarbeiter, die in Bars, Cafés und Gebetshäusern Informationen über ihre Mitbürger sammeln. „Unser ganzes Viertel ist deshalb verunsichert“, sagt Sarsour. So wie heute in Bay Ridge habe man sich damals wohl in der DDR fühlen müssen.

Der Ärger mit der Staatsgewalt ist indes nicht das einzige Problem, mit dem sich die Araber in Brooklyn herumschlagen müssen. „Als nach dem 11. September 2001 antimuslimische Ressentiments aufflackerten, haben wir gedacht, das werde sich schon alles wieder normalisieren“, erklärt Linda Sarsour. Ein Irrtum: 2010 verzeichnete die Bürgerrechtsorganisation Council on American Islamic Relations (CAIR) doppelt so viele Beschwerden wegen Diskriminierung wie 2009. In diesem Jahr werden es voraussichtlich noch einmal doppelt so viele. Die Palette der Klagen reicht von offenen Gewalttaten bis zur Verweigerung eines Bankkontos. „Wir sind mittlerweile die am meisten gehasste Gruppe der USA“, sagt der Sprecher von CAIR, Cyrus McGoldrick. „Die Islamophobie ist Mainstream geworden.“

Das kleinste Übel

Selbst die energische Linda Sarsour verliert manchmal den Mut. „Ich fühle mich müde“, sagt sie. „Immer wieder muss ich mich fragen lassen, woher ich komme und warum ich Amerika hasse. Da fällt es mir schwer, freundlich und geduldig zu bleiben. Warum muss ich extra erklären, dass ich Amerikanerin, New Yorkerin bin?“ Am liebsten, sagt sie, ließe sie manchmal ihrem Zorn freien Lauf: „Ich würde gern zurückfragen: Wo bist du denn her, du Arschloch? Aber ich will ja nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.“

Das Schlimmste für Linda Sarsour ist, dass ihr der Grund, warum sie ihre Heimat liebt, zusehends abhandenkommt. „Ich mag Amerika, weil hier jeder das bleiben kann, was er ist, ob Jude, Inder, Chinese oder Afrikaner, und dass er trotzdem Amerikaner sein kann.“ Nur den Muslimen werde dieses Recht zunehmend streitig gemacht: „Muslim zu sein, wird immer mehr als unamerikanisch angesehen.“ Trotz allem aber, sagt sie, seien die USA unter allen Einwanderungsländern für Muslime „das kleinste Übel“.

Das kleinste Übel. Was für ein Prädikat für diese Nation.

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