U.S. Citizens Save Themselves into a Recession

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Im Mutterland des Konsums keimen Zweifel am grenzenlosen Verbrauch. Die US-Bürger stellen ihre Lebensweise in Frage. Das ist ein großes Risiko.

Zwei Jahre wird die kleine Jayna aus Atlanta alt, und die Großeltern haben 150 Gäste und einen Mietclown zum Mittagsbüfett in ein Restaurant geladen. Der Zauber ist nach dem Dessert vorbei – und die Überreste sind erschlagend: 80 pralle Tüten, gefüllt mit Geschenken, dekoriert mit buntem Seidenpapier. Mehr als 200 komplette Kleidergarnituren packen die ermatteten Eltern am Nachmittag zu Hause aus.

Amerikaner schenken vorzugsweise en gros. Freunde, Verwandte, Nachbarn und Bekannte organisieren in ihren Häusern Partys für angehende Bräute, für geborene und ungeborene Babys. Die Menge an Präsenten ist mit sinkenden Preisen für Billigwaren aus Asien gewachsen. Viel hilft viel. So war es jahrelang.

Land der Zweifler

Ausgerechnet in den USA aber, im Mutterland des Konsums, keimen Zweifel auf am grenzenlosen Einkauf. Der Index für das Verbrauchervertrauen des renommierten Conference Board etwa sackte im August mit 44,5 Punkten auf den niedrigsten Stand seit über zwei Jahren. Der Chefvolkswirt der Ratingagentur Moody’s, Mark Zandi, prophezeit: “Dies könnte die erste Rezession werden, die wir uns ganz allein selbst eingeredet haben.”

Rocky Turner, Zahnarzt in Spartanburg im Bundesstaat South Carolina, hat seine eigene Erklärung für die aktuelle Krise: “Wir hatten zu lange zu viel. Uns fehlt die Moral. Uns fehlt der Fleiß”, sagt der massige Familienvater düster. Das ganze Land habe jahrzehntelang über seine Verhältnisse gelebt. Kein Wunder, dass die Wirtschaft nun in Trümmern liege und die Chinesen vorbeizögen.

Das sei doch nicht “nachhaltig”. Der ehemalige Football-Spieler, der es mit viel Fleiß zu einem Doktortitel und einer gut laufenden Praxis gebracht hat, benutzt tatsächlich das Wort “sustainability”, Nachhaltigkeit. Für einen passionierten Großwildjäger aus den Südstaaten ist ein solcher Gedanke revolutionär. Er zeugt auch von tiefen Zweifeln am “American way of life”.

Land der Schulden

Die Skepsis ist durchaus berechtigt. Nicht nur im Privaten hat der Überkonsum kuriose Blüten getrieben. Die eigenen großzügigen Häuser und Wohnungen reichten oft nicht mehr, um die Besitztümer zu lagern. Auch die Gesamtwirtschaft ist an der Grenze des möglichen Konsums angelangt. Seit Jahren verbrauchen Amerikaner viel mehr, als sie selbst produzieren. Allein im Jahr 2010 betrug das Leistungsbilanzdefizit 470 Milliarden Dollar, das sind mehr als 1500 Dollar pro Kopf. Um dieses Minus zu finanzieren, ist ein steter Zustrom an ausländischem Kapital nötig. Auch die Regierung wirtschaftet auf Kredit. In diesem Sommer durchbrach sie die gesetzlich festgelegte Schuldengrenze von unvorstellbaren 14,3 Billionen Dollar.

Größter Gläubiger der USA ist ausgerechnet China. Mit in China geliehenem Geld finanzieren die Amerikaner also in China produzierte Waren in ihren Kleiderschränken und Lagerhallen. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds werden die Chinesen bis 2015 bereits ein Drittel aller US-Staatsanleihen besitzen. Dass die wirtschaftlichen Folgen kaum mehr beherrschbar sind, hat die Politik zwar erkannt. “Wir dürfen nicht länger über unsere Verhältnisse leben”, beschwor Präsident Obama bei der Vorstellung eines gigantischen Sparprogramms im Frühjahr.

Anfang September aber verkündete er ein 450 Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitslose von der Straße zu holen. Rocky Turner ermahnt seine drei erwachsenen Kinder neuerdings zur Sparsamkeit, stößt damit aber nicht immer auf offene Ohren. Der mittlere Sohn hat seinen Kredit für die Hochzeit noch nicht abgezahlt, da plant dessen Frau schon das nächste große Fest zum 30. Geburtstag. Darüber kann Schwiegervater Rocky nur den Kopf schütteln. “Dies ist nicht die richtige Zeit, um auf steigende Einkommen zu wetten.”

Der große Trend dürfte den Argumenten des Vaters Nachdruck verleihen. “Die wirtschaftlichen Rahmendaten zwingen die Amerikaner geradezu, zur Vernunft zurückzukehren”, sagt der Vorsitzende des Vereins für Sozialpolitik, Michael Burda. Der Amerikaner, der in Harvard promovierte und heute Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin lehrt, hat den Konsumtrend der vergangenen 40 Jahre unter die Lupe genommen. “Jahrelang haben die US-Konsumenten über ihre Verhältnisse gelebt”, sagt Burda. “Mit der Krise wurde der Geldhahn zugedreht.”

Land der Umdenker

Seither strömt weniger ausländisches Kapital in die USA, Banken verlangen mehr Sicherheiten. Hinzu kommt, dass durch die Schwäche des Dollars gegenüber dem Yuan Importwaren aus China teurer geworden sind. “Da können sich viele Menschen ihren bisherigen Überkonsum einfach nicht mehr leisten”, sagt Ökonom Burda.

Mehr Sparsamkeit könnte in einigen Bereichen des amerikanischen Lebens durchaus ein Segen sein. Beim Essen zum Beispiel: Zwei Drittel aller Erwachsenen und ein Drittel der Kinder in den USA sind übergewichtig. Das kostet das Gesundheitssystem um die 200 Milliarden Dollar pro Jahr, haben Volkswirte jüngst berechnet. Zudem führen Preissteigerungen bei Benzin und Strom endlich dazu, dass Einkaufszentren und Kinos im Hochsommer weniger gekühlt werden als noch vor einigen Jahren. Und der Verbrauch ist im Gespräch über neue Autos und Trucks zumindest ein Thema unter vielen geworden.

Kulturwandel dauert

“Ein echter Kulturwandel allerdings braucht noch viel Zeit”, sagt der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower. Sollte die Immobilienkrise allerdings sehr lange andauern, könne der Wandel auch die Unterschicht erfassen, die bisher noch kein “tieferes Verständnis” für die Errungenschaften des Weniger entwickelt habe. Den Glauben an Bildung als Investition teilt die Mehrheit von ihnen nicht. Sie setzt auf Konsum hier und jetzt, reklamiert mit Goldketten, Nike-Turnschuhen, aufgemotzten Autos und Fast Food das Recht zur Teilhabe an der Überflussgesellschaft für sich.Teile der Mittelschicht dagegen beginnen, sich Gedanken über ein “erweitertes Wohlstandsverständnis” zu machen, wie es Wissenschaftler wie der Deutsche Meinhard Miegel einfordern.

Die gegenwärtige Krise mit der Entzauberung der Wall Street und ihrer Versprechen von Reichtum hat Spuren in der Seele der Nation hinterlassen. Heute beschwören Menschen in der Mitte der Gesellschaft die uramerikanische Moral vom hart erarbeiteten, ehrlichen Aufstieg, von Bildung und Investitionen in die eigene Zukunft.

Jaynas Eltern sind überzeugt, für ihre Tochter dieses Mal das rechte Maß gefunden zu haben. Sie haben sämtliche Geschenke auf zwei Stapeln sortiert. Auf dem höheren liegen die Gaben mit sogenannten “gift receipts”: Quittungen ohne Preis darauf. Den wird Jaynas Mutter in den nächsten Tagen zurück in die Geschäfte tragen. “Selbst wenn mir die Sachen gut gefallen – was eine Quittung hat, geht zurück”, sagt sie entschlossen. “Wer braucht denn schon so viel Zeug?”

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