Europe's Impotence Is America's Good Fortune

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Die Rocky-Horror-Schulden-Show in Europa lenkt den Blick der Investoren von den USA ab. Amerikas Polit-Establishment ist ebenso gelähmt wie das europäische.

Der Überraschungseffekt hält sich in engen Grenzen: Zum x-ten Mal ist die Stabilisierung der amerikanischen Staatsfinanzen gescheitert, und wieder einmal schanzen sich Demokraten und Republikaner die Verantwortung für das Debakel zu. Eigentlich hätte ein parlamentarisches „Superkomitee“ am Mittwoch ein überparteilich geschnürtes Sparpaket präsentieren sollen, doch der budgetäre Befreiungsschlag dürfte aus Mangel an tragfähigen Ideen abgeblasen werden. Das politische System der Vereinigten Staaten hat, wie es scheint, den Punkt ohne Wiederkehr überschritten.

Na und?, könnte ein gelassener Zeitgenosse an dieser Stelle einwenden und auf die Trends auf den Anleihemärkten verweisen. Sind die niedrigen Renditen, die Washington den Investoren bieten muss, nicht der beste Beweis dafür, dass die Glaubwürdigkeit des amerikanischen Schuldners intakt ist? Außerdem seien die USA ohnehin zum Sparen verdammt: Das Scheitern der Verhandlungen bedeute nämlich, dass mit 1. Jänner 2013 automatische Ausgabenkürzungen in Kraft treten. Der Staatshaushalt werde also auch ohne ein filmreifes Happy End am Capitol Hill stabilisiert.

Abgesehen vom fundamentalen Einwand, dass es kein Grund zur Gelassenheit sein kann, wenn die Legislative der weltgrößten Wirtschaftsmacht mit einer fast schon bewundernswerten Beharrlichkeit an ihrer Selbstabschaffung arbeitet, hält diese rosarote Sicht der Dinge der Realität nicht stand. Die USA sind mit 15 Billionen Dollar in der Kreide, das entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung und ist nicht weit vom italienischen Schuldenniveau von 120 Prozent des BIPs entfernt. Um den Schuldenstand stabil zu halten, müssen die Vereinigten Staaten in den kommenden zehn Jahren rund vier Billionen Dollar einsparen – durch den Automatismus ab 2013 werden aber lediglich 1,2 Billionen Dollar eingespielt. Nur mit dem Rasenmäher über die Staatsausgaben drüberzufahren wird nicht ausreichen.

Weiters ist es fraglich, ob dieser Rasenmäher überhaupt zum Einsatz kommen wird. Bereits jetzt wird in Washington laut darüber nachgedacht, wie die automatischen Kürzungen, die zur Hälfte den Verteidigungsetat betreffen sollen, entschärft werden könnten. Im transpazifischen Kräftemessen mit China zähle jeder Dollar, warnen die Freunde der US-Streitkräfte. Sollten sie sich durchsetzen, werden 2013 in allen anderen staatlichen Einrichtungen – vom FBI über das Schulwesen bis hin zur Flugsicherung – die Lichter ausgehen, denn die wirklich großen Budgetposten Pensions- und Krankenversicherung sind von automatischen Kürzungen ausgenommen.

Zum Glück für die USA findet diese leidige Debatte zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die ganze Welt gebannt auf die Rocky-Horror-Schulden-Show in der Eurozone starrt. Die Hauptgründe für die momentan niedrigen US-Renditen heißen weder Barack Obama noch John Boehner, sondern Angela Merkel und Mario Monti. Der Haken an dieser Sache ist nur, dass Anleihemärkte nicht als Propheten taugen. Erinnern wir uns: Noch vor wenigen Monaten hatte Italien keine Probleme damit, Schuldscheine zu begeben. Und plötzlich war das Vertrauen der Investoren dahin.

Was wird nun in Washington passieren? Aller Voraussicht nach nicht viel: Das politische Patt dürfte bis zur Präsidentenwahl im November 2012 anhalten. Für die Zeit danach gibt es zwei Szenarien: Entweder machen Demokraten und Republikaner weiter wie bisher, oder sie schaffen es in den acht Wochen zwischen Wahl und Jahresende, sich auf ein umfassendes Reformprogramm zu einigen, das die Ausgaben im Sozialbereich stabilisiert, das Steuersystem stromlinienförmiger gestaltet und Unternehmern Investitionsanreize bietet.

Angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate – man denke etwa an das unwürdige Gerangel um die Anhebung der US-Schuldengrenze – stehen die Chancen auf eine Einigung nicht gut. Dieser Karren steckt schon zu tief im Dreck. Doch daran, dass gespart wird, besteht kein Zweifel. Die einzige offene Frage ist nur, ob die USA noch in der Lage sind, aus freien Stücken zu sparen – oder ob sie von Investoren dazu gezwungen werden müssen.

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