The Next Obama

OPD 8/9/2012

Edited by Gillian Palmer

 

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Nachrichten aus Deutschland und der Welt – Frankfurter Rundschau

Weblog: Countdown für Obama – 9 | 8 | 2012

US-Wahlkampf

Julián Castro hat viele Qualitäten, die ihn zu einem Hoffnungsträger der US-Demokraten machen. Den Politiker lateinamerikanischer Herkunft, sehen bereits viele als nächsten Kandidaten für die Wahl 2016 und als möglichen Obama-Nachfolger.

Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2009 rief US-Präsident Barack Obama eine kleine Gruppe von Experten im Weißen Haus in Washington zusammen. Es sollten Vorschläge gesammelt werden, wie die amerikanische Wirtschaft auf Trab gebracht und wie Jobs geschaffen werden könnten. Fünf Bürgermeister waren anwesend – Lokalpolitiker, die mit den Folgen der gerade über die USA und die restliche Welt hereingebrochenen Finanzkrise ganz besonders zu kämpfen hatten. Unter ihnen war ein auffallend junger Mann aus Texas.

Noch bevor der Gedankenaustausch losging, wurde der junge Mann unauffällig zur Seite genommen. Ein hochrangiger Obama-Berater sagte ihm: „Wir haben Sie auf dem Radarschirm.“ Was andernorts wie eine versteckte Drohung klingen könnte, war offenbar als ehrliches Lob gedacht. Und Julián Castro konnte sich schon damals denken, dass da noch etwas kommen dürfte.

Das ist nun geschehen. Castro, erst 37 Jahre alt, soll auf dem Parteitag der Demokraten Anfang September die Eröffnungsrede halten. In Charlotte im Bundesstaat North Carolina beginnt die Endphase des Wahlkampfes zwischen Barack Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Und auf Castro, so will es die Tradition, wird es ankommen. Gelingt dem Bürgermeister eine gute Rede, wird das Obama helfen. Hoffen die Demokraten. Versagt Castro, wird sich Romney freuen. Hoffen die Republikaner.

Mit der Wahl Castros ist den Demokraten ein regelrechter Coup gelungen. Der Mann ist jung, aber nicht zu jung. Er ist verheiratet und hat eine kleine Tochter, was dem Ideal des Familienbildes in den USA ziemlich nahe kommt. Er hat ein Jura-Diplom von der Universität Harvard und eines in politischer Wissenschaft aus Stanford, wirkt aber nicht abgehoben. Er hat bewiesen, dass er hartnäckig sein kann. Nach der gescheiterten Bewerbung um das Bürgermeister-Amt der siebtgrößten US-Stadt San Antonio versuchte er es 2009 gleich noch einmal – und siegte. Das Time Magazine hat ihn bereits in seine Liste der „40 Wichtigsten unter 40“ aufgenommen.

Ein Bonus bei der Latino-Gemeinde

Doch vor allem ist Julián Castro lateinamerikanischer Herkunft, ein Hispano, aber 1974 in den USA als Sohn einer Frau geboren, die sich um die Rechte der Latinos bemüht hat. Das dürfte, sagen die Demokraten, die stark wachsende Latino-Wählergemeinde in den USA mit Wohlwollen aufnehmen. Einer der ihren darf eine der wichtigsten Reden des Jahres halten. Die liberalen US-Medien jubeln. Und selbst die konservativen Blätter und Sender, die üblicherweise keine Gelegenheit auslassen, den Demokraten kräftig einzuschenken, können eine gewisse Bewunderung für die Wahl Castros nicht verbergen.

Die sogenannte „keynote speech“ ist tatsächlich eines der wichtigsten Ereignisse während der Nominierungsparteitage in den USA. Die Bewerber um das wichtigste Amt stehen seit langem fest. Das politische Programm ist ebenfalls schon definiert. Aber darum geht es nicht auf den Conventions. Der „Keynote Speaker“ soll in den Massenveranstaltungen die Stimmung anheizen und den Ton vorgeben, der dann in den Wochen bis zur Wahl Anfang November weiter klingen soll. Der „Keynote Speaker“ bläst gewissermaßen zur Attacke.

Das ist keine einfache Aufgabe. Und Castro muss sich an einem großen Vorbild messen lassen. Am 27. Juli 2004 betrat ein bis dahin wenig bekannter Mann eine Bühne in Boston im Staat Massachusetts. Er sprach über sich und sein Leben. Er sprach darüber, wie er sich Amerikas Zukunft vorstelle. Und er sprach davon, warum John Kerry der bessere Präsident als Amtsinhaber George W. Bush sei.

Nun ist hinlänglich bekannt, dass Kerry von der Rede relativ wenig hatte. Er verlor gegen Bush bei der Wahl im November 2008. Doch für den bis dahin wenig bekannte Mann aus Chicago war der Auftritt der Beginn einer rasanten Karriere in den USA. „Er ist ein Stern – der Himmel ist seine Grenze“, jubelten die Demokraten: Wenn es einer könne, dann dieser Mann. Der Mann hieß übrigens Barack Obama. Er wurde 2008 zum Präsidenten gewählt. Am 6. November 2012 will er wiedergewählt werden.

Doch das Beispiel aus Boston zeigt bereits Wirkung. Die Politikberichterstattung in den US-Medien dreht sich in diesen Tagen nicht nur, aber auch um diese Fragen: Wird es Julián Castro dem Präsidenten nachmachen? Wird er eine Rede halten, die Obama voranbringt, aber auch die eigene Karriere? Wird er vielleicht schon im Jahr 2016 der Kandidat der US-Demokraten sein? Kann der das? Schafft der das? Antworten können noch nicht geliefert werden. Und Castro selbst hält sich mit Kommentaren vornehm zurück. Er arbeitet an seiner Rede.

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