Grover Norquist: the Purist

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Grover Norquist – Der Purist

von Sabine Muscat

27.11.2012

Der einflussreiche Washingtoner Lobbyist hat schon vor Jahren die Republikaner gegen jegliche Steuererhöhung eingeschworen. Nun meutern sie gegen ihn.

Washington

Grover Norquist ist das steuerpolitische Gewissen seiner Partei. In Washington weiß jeder, was mit “The Pledge” gemeint ist. Es ist das Gelöbnis, das Norquist jedem Republikaner abnimmt, der zum Regieren in die Hauptstadt kommt: niemals für Steuererhöhungen zu stimmen. 95 Prozent der republikanischen Kongressmitglieder haben unterzeichnet. “Es ist 22 Jahre her, dass ein Republikaner in dieser Stadt für die Erhöhung von Steuern gestimmt hat”, brüstete sich der 56-Jährige erst kürzlich.

Bald könnte es wieder so weit sein. Unter Republikanern regt sich derzeit Widerstand gegen die Strenge des Puristen. Einige seiner Parteikollegen sehen in Norquist im Moment vor allem ein Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung im Haushaltsstreit.

Die US-Wirtschaft rast Ende des Jahres auf eine fiskalische “Klippe” zu, wenn der Kongress nicht handelt. Sollte er keinen schonenden Alternativplan für den Defizitabbau beschließen, treten automatische Haushaltskürzungen in Kraft. Und wenn er keine Einigung im Streit über die Besteuerung von Besserverdienenden findet, laufen die unter der Regierung von George W. Bush beschlossenen Steuererleichterungen für alle Haushalte aus. Der doppelte Schock für die Konjunktur könnte die Wirtschaft zurück in die Rezession werfen.

Nun kämpfen einflussreiche Republikaner um mehr ideologische Handlungsfreiheit. “Wenn man 16.000 Mrd. Dollar Schulden hat, sollte unser einziges Gelöbnis sein, dass wir kein neues Griechenland werden”, sagte Senator Lindsey Graham in einer der wöchentlichen Sonntagstalkshows. Auch Senator John-McCain zeigte sich für höhere Regierungseinnahmen offen. Und am Montag erklärte Senator Bob Corker rundheraus, dass er sich an den “Pledge” nicht gebunden fühle.

Die Aussagen kommen einer Meuterei gegen den Mann gleich, der im Zentrum der konservativen Revolution stand, die Mitte der 1990er-Jahre aus Protest gegen die Clinton-Regierung entstanden war. Gemeinsam mit dem späteren Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich, der sich in diesem Jahr erfolglos als Präsidentschaftskandidat versuchte, formulierte er 1994 das Programm, mit dem die Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus errang.

Für die Tea-Party-Bewegung war Norquist ein natürlicher Verbündeter und ihr mit seiner Forderung, den Anteil der Steuern an den Staatseinnahmen zu senken, um Jahre voraus. Seine Idee für das Steuerversprechen sei ihm schon als zwölfjähriger Helfer der Präsidentschaftskampagne von Richard Nixon gekommen, behauptet Norquist. Unter Ronald Reagan bekam er eine Chance, sie umzusetzen. Mit seiner 1985 gegründeten Organisation “Americans for Tax Reform” half der Lobbyist George W. Bush, die Steuersenkungen auszuarbeiten, um deren Zukunft jetzt gestritten wird.

Norquist positioniert sich nicht nur in Steuerfragen weit rechts. Als junger Mann reiste er in Kriegsgebiete, um antisowjetische Guerillatruppen von Nicaragua bis Laos zu unterstützen. Er ist ein aktives Mitglied der National Rifle Association, die sich für das Recht jedes Amerikaners auf den Besitz einer Waffe einsetzt.

Im privaten Leben ist der Harvard-Absolvent jedoch alles andere als ein Fanatiker. Norquists Frau ist eine kuwaitische Palästinenserin, die früher bei der US-Entwicklungshilfeorganisation USAID gearbeitet hat. 2010 trat er der Organisation GOProud bei, die sich für die Rechte konservativer Schwuler, Lesben und Transsexueller einsetzt, und brachte damit den fundamentalchristlichen Flügel der Partei gegen sich auf. Ein strenger Moralapostel ist Norquist nur, wenn es um Steuern geht. “Wir haben einige Leute, die unreine Gedanken im nationalen Fernsehen diskutieren”, kommentierte er die jüngste Missachtung seines Gelöbnisses. Den Republikanern, die sich von seinem Pledge abwenden, wird er nicht so schnell verzeihen.

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