The Germans Love Obama but Despise the United States

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Kein Präsident der USA war in Deutschland jemals beliebter als Barack Obama. Gleichzeitig sind die USA und ihre Gesellschaft bei uns verachtet wie noch nie zuvor. Wie passt das überhaupt zusammen?

Vielleicht sollten wir anfangen, indem wir erklären, wer Pollyanna ist. Es handelt sich um die Heldin eines alten Kinderbuches von Eleanor H. Porter (Erscheinungsjahr 1913), ein Waisenkind, das in Amerika jeder Mensch kennt. Allem, was ihr widerfährt, versucht Pollyanna einen Dreh ins Schöne und Positive zu geben. Sie nennt dies “das Freu-Spiel”. Wenn ihre strenge Tante sie zur Strafe in den Dachboden sperrt, freut sie sich über die wunderbare Aussicht, die man von dort oben hat.

Wir ahnen schon jetzt: Wenn am kommenden Dienstag Präsident Obama seine Ansprache zur Lage der Nation hält, wird das ein großer Tag für Pollyanna sein. Kein Gedanke daran, dass Amerika eigentlich gerade ziemlich pleite ist, kein Gedanke an die Steuerklippe, an der das Staatsschiff gerade eben noch beinahe gescheitert wäre. Der Präsident wird sich zwar würdevoll geben, aber zugleich vor Freude strahlen.

Schließlich handelt es sich um einen historischen Moment. Gerade eben ist zum zweiten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten ein Schwarzer in das höchste Amt der amerikanischen Republik gewählt worden – mit der überwältigenden Mehrheit auch der weißen Stimmen. Dies nach Jahrhunderten der Sklaverei, der schändlichen Apartheidgesetze in den Südstaaten, des versteckten und offenen Rassismus.

Ein Appell an amerikanische Werte

Die eigentliche Nachricht besteht darin, dass das in Amerika nicht einmal mehr eine Nachricht ist. Es gibt einen bitterbösen Witz von Malcolm X, dem militanten schwarzen Nationalisten der 60er-Jahre: “Wie nennt man einen schwarzen Mann mit einem akademischen Titel?” Die Antwort von Malcolm X lautete: “Nigger”.

Was immer du tust, sollte das heißen, wie immer du dich anstrengst, für die weißen Rassisten wird es nie genug sein. Für die bleibst du immer der Untermensch. Dieser Witz hat seinen Stachel verloren. Seine aktuelle Version lautet so: “Wie nennt man einen Schwarzen mit einem akademischen Titel?” Die Antwort: “Mr. President”.

Wahrscheinlich wird Obamas Bericht zur Lage der Nation ein Appell an die amerikanischen Werte und Tugenden sein, ein flammendes Bekenntnis zur sozialen Gerechtigkeit und zum Weltfrieden, auch der Klimawandel dürfte vorkommen. Unsere innere Pollyanna wird vor Vergnügen hüpfen. Wer wollte sich nicht zu all diesen schönen und guten Dingen bekennen?

Auf dem besten Weg, ein Popstar zu werden

Allerdings stellt sich eine Frage, auf die unsere Pollyanna keine Antwort weiß: Wird der Präsident den Fehler vom Anfang seiner ersten Amtszeit wiederholen, als er die Konservativen brüsk niederbügelte? Ohne diese Leute kann er nicht regieren. Er muss sie gewinnen, nicht brüskieren. Und wird Obama im Wirtschaftlichen nicht lauter Dinge versprechen, die sich, wenn man den Rechenstift zur Hand nimmt, zumindest auf kurze Sicht als unbezahlbar erweisen?

Die jüngsten Meinungsumfragen in Deutschland kommen zu einem erstaunlichen Ergebnis: Barack Obama ist der beliebteste Präsident aller Zeiten – beliebter noch, als es seinerzeit John F. Kennedy war: 87 Prozent der Deutschen haben von ihm eine gute Meinung.

Er ist auf dem besten Weg, ein Popstar zu werden. Womöglich wird auf den T-Shirts, die junge Leute tragen, Obamas Gesicht bald jenes des Massenmörders Che Guevara ablösen. Das wäre gewiss erfreulich. Gleichzeitig mit dieser Obama-Begeisterung wachsen allerdings auch die Ressentiments gegen die Vereinigten Staaten.

Woher die Verachtung?

Hier ein paar Zahlen: 77 Prozent der Deutschen glauben, der amerikanische Alltag sei von Kriminalität geprägt, 45 Prozent meinen, es gebe in Amerika viel Hektik und Stress, 42 Prozent halten die Amerikaner für oberflächlich; dagegen glauben nur 23 Prozent der Deutschen, dass die Vereinigten Staaten ein Land mit großer Tradition seien, nur 17 Prozent vermuten in der Neuen Welt Gebildete, nur acht Prozent glauben, dass es dort Kultur gibt.

Natürlich ist das ein groteskes Zerrbild, wenn man an die Universitäten, an die wunderbaren amerikanischen Bibliotheken, die reichhaltige Museenlandschaft, die Metropolitan Opera, die großen und kleinen Theater nicht nur in New York denkt.

Die Frage ist aber: Wie geht das logisch zusammen – eine so himmelhohe Bewunderung für den amerikanischen Präsidenten und eine so abgrundtiefe Verachtung für Amerika? Haben die Deutschen denn schon vergessen, wer Obama gewählt hat?

Unterm Westen liegt ein Eldorado aus schwarzem Gold

Wissen sie nicht, welches politische System ihm, dem Quereinsteiger, den Aufstieg ermöglicht hat (einen Aufstieg, der in Deutschland kaum denkbar wäre)? Hören die guten Leute denn jedes Mal weg, wenn ihr Pop-Idol sagt “God bless the United States of America”, verzeihen sie ihm, wenn er Gottes Segen auf die amerikanischen Streitkräfte herabbeschwört?

Besonders beliebt scheint in Deutschland das Klischee vom unmittelbar bevorstehenden oder längst eingetretenen Niedergang Amerikas zu sein. Jene, die es verbreiten, blenden aus, was Amerika im 21. Jahrhundert sein wird – ein Petrostaat. Unter dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten liegt ein Eldorado aus schwarzem Gold.

Bis 2017 wird Amerika zum größten Ölproduzenten der Welt avancieren; der größte Erdgasproduzent wird es schon in drei Jahren sein. Und im Jahr 2035 werden die Vereinigten Staaten anfangen, Erdöl zu exportieren!

Der Nahe Osten verliert seine starke Lobby

Das bedeutet: Der Mittlere Westen, der als Land galt, das man getrost wieder den Büffeln überlassen könne, wird eine Bevölkerungsexplosion erleben; ganze neue Städte werden dort aus dem Boden wachsen. Die Öl- und Gasindustrie wird Tausende neue Arbeitsplätze bereitstellen

Gewiss: Ein großer Teil des Geldes, das durch den Handel mit dem schwarzen Gold ins Land fließt, wird in seltsamen Kanälen versickern – aber unsere innere Pollyanna flüstert uns zu: Vielleicht wird wenigstens die Hälfte jenes Reichtums dann doch verwendet, um in Amerika eine neue Infrastruktur zu bauen, die alte sieht nämlich schon ziemlich schäbig aus.

Und vielleicht wird es sogar gelingen, die astronomischen Staatsschulden peu à peu zu tilgen. Außenpolitisch bedeutet der Ölreichtum: Amerika wird vom Nahen Osten unabhängig. Unappetitliche Klientelstaaten wie Saudi-Arabien werden in Washington keine starke Lobby mehr haben.

In Deutschland ist nur Verachtung übrig

Die Drohung der “Islamischen Republik Iran”, die Schiffsstraße von Hormus zu schließen, wirkt aus amerikanischer Sicht bald nur noch lächerlich. Und keine Frage: Auch das 21. Jahrhundert wird ein amerikanisches sein.

Was bedeutet das für die deutsch-amerikanischen Beziehungen? Unsere innere Pollyanna sieht selbstverständlich nur Gutes voraus. Sogar die Amerikaverachtung der jüngeren Deutschen könnte sich als Segen erweisen: Diese Leute haben keine hohen Erwartungen, die enttäuscht werden könnten. Sie sind auf das Schlimmste gefasst – und das bedeutet, dass Amerika sie auf das Angenehmste enttäuschen wird.

Sie werden durchs Land reisen und entdecken, dass es hier freundliche Menschen, großartige Landschaften und gutes Essen gibt. Und bald werden sie lernen, nicht nur das Pop-Idol Obama zu verehren, sondern auch viele seiner Landsleute zu mögen.

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