The Boundary between Guarding and Policing

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Während immer nur das Bedrohliche am Datensammeln des US-Geheimdienstes gesehen wird, gehen die guten und triftigen Gründe Datenströme im staatlichen Blick zu behalten völlig unter.

Das war ein Festtag für alle Datenschützer und Untergangspropheten, die im digitalen Wandel vor allem eine übermenschliche, monströse Bedrohung sehen. Endlich. Eine supergeheime, amerikanische (!) Behörde, die ein supergeheimes, riesiges Datensilo in der amerikanischen (!) Wüste baut, sammelt völlig entfesselt unsere Daten.

Jedes Telefongespräch, den E-Mail-Verkehr, Skype-Unterhaltungen, alles. Sie haben es ja immer vorhergesagt. Und nun ist es so weit. Das wurde, wenn man den Kritikern folgt, nur entworfen, damit wir vom hinterhältigen Staat besser überwacht und gegängelt und von amerikanischen (!) Unternehmen, die immer nur ans Geldverdienen denken, hemmungslos ausgebeutet werden können. Wenn in Deutschland über das Internet diskutiert wird, fällt spätestens im zweiten Satz das Wort “Datenschutz”. Wenn man auf die vielen Vorteile der Digitalisierung hinweist, gilt man als hoffnungslos unkritisch und unterkomplex.

Stets in vorderster Front bei den dunklen Machenschaften dabei sind im gesellschaftlichen Diskurs natürlich die amerikanischen (!) Netzgiganten wie Apple, Google, Facebook und der ganze zwielichtige Rest, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Seriöse, staubtrockene Zeitungen schreiben plötzlich schillernd und farbenfroh von “Internet-Schnüffelattacken”, “Totalüberwachung” und “Bedrohung unserer Freiheit”.

Datenströme nach Auffälligkeiten untersuchen

Moment! Ist es noch erlaubt, vorher ganz kurz zu erwähnen, dass es neben diesen scheinbar fast herbeigesehnten Schreckensszenarien vielleicht auch ein paar gute Gründe dafür geben könnte, auffällige Datenströme im staatlichen Blick zu behalten? Viele deutsche Nachrichtensendungen haben vorsichtshalber ganz darauf verzichtet, Argumente in dieser Richtung überhaupt zu erwähnen.

Ich wäre meinem Land jedenfalls ziemlich dankbar, wenn es vermeiden könnte, dass neben mir auf dem Bahnsteig oder in der Schule meiner Tochter eine Splitterbombe explodiert. Und mich macht es eher unruhig, dass in Deutschland ein Drittel der Verfassungsschützer keinen dienstlichen Internetanschluss haben. Es kann doch nicht sein, dass die den ganzen Tag verstaubte Aktenberge sortieren.

Ist es erlaubt, nur ganz kurz zu erwähnen, dass sich die Algorithmen der Behörden, die die riesigen Datenströme nach verdächtigen Aktivitäten untersuchen, nicht für Ihren Seitensprung oder das Telefonat mit Tante Hildegard interessieren und dass dieses Vorgehen nach amerikanischem Recht offenbar legal ist? Den Anschlag von Boston konnten sie trotz vieler Hinweise im Netz leider nicht verhindern.

Wenn das erlaubt ist, können wir vielleicht etwas entspannter darüber diskutieren, wo genau im Internet die sensible Grenze zwischen “beschützen” und “überwachen” verläuft. Natürlich darf nicht im Namen der Terrorbekämpfung jedes hart erkämpfte Grund- und Menschenrecht ausgegeben werden. Selbstverständlich müssen wir aufmerksam beobachten, ob der Staat seine Fürsorgepflicht aufgibt und sich gegen seine eigenen Bürger wendet. In den USA wird der Skandal jedenfalls dafür sorgen, dass die Menschen in Zukunft bewusster mit ihren Daten und Informationen im Netz umgehen.

Und vielleicht fragen wir in Sachen Überwachungsstaat und Internet nach Barack Obama zur Abwechslung einfach mal die Russen, Chinesen oder Iraner. Da gibt’s bestimmt interessante Antworten.

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