Last Chance for the Land of Freedom

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US-Präsident Barack Obama lässt sich bei der Terrorbekämpfung ebenso von Paranoia leiten wie George W. Bush. Jetzt klagen Bürgerrechtler. Man kann nur hoffen, dass die Richter sich des Falls annehmen. Sicher ist das nicht.

Vor kurzem haben die Bürger der Vereinigten Staaten wieder stolz ihren Nationalfeiertag gefeiert. Stolz im Gedenken an den 4. Juli 1776, als die Vertreter von 13 Kolonien die Unabhängigkeit vom englischen Mutterland erklärten. In der Unabhängigkeitserklärung formulierten sie ein damals so neues wie zukunftsweisendes Freiheitsideal: „Wir halten diese Wahrheit für uns selbst einleuchtend, dass alle Menschen frei und gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, unveränderlichen Rechten begabt sind, dass darunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit, dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, die ihre gerechten Vollmachten von der Zustimmung der Regierten ableiten, dass, wenn eine Regierungsform diesen Zwecken schädlich wird, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen.“

Welch ein starkes Plädoyer für die Menschenrechte.

Damit ist es leider schon lange vorbei. Seit Jahrzehnten schränken die USA immer wieder Freiheitsrechte ein – und stellen Menschenrechte hintan, wenn sie glauben, dass dies für ihre Sicherheit vonnöten ist.

Der Patriot Act ist eine Carte blanche

Vieles davon geschah und geschieht im Geheimen und wäre nie ans Licht gekommen, wenn es keine Whistleblower gegeben hätte. Keinen Daniel Ellsberg, der in seinen Pentagon-Papieren enthüllte, wie die US-Regierung in den Sechzigerjahren die Amerikaner über den Vietnam-Krieg belogen hat. Keinen Joseph Wilson, der kurz nach der Irak-Invasion 2003 publik machte, dass es keinerlei Beweise dafür gibt, dass Saddam Hussein im Niger Uran für ein Atomprogramm kaufen ließ. Keinen Edward Snowden, der kürzlich das Ausmaß der weltweiten Überwachung von Telefon und Internet durch den Militärgeheimdienst NSA öffentlich machte.

Nun ist es nicht ganz neu, dass die Geheimdienste in den USA und die Bundespolizei FBI gern und viel überwachen. Schon der FBI-Gründer J. Edgar Hoover ließ – oft illegal – zahllose Politiker und Prominente abhören. Die so gewonnenen, bisweilen delikaten Informationen sammelte er in Dossiers, die ihm sein Überleben im Amt fast 50 Jahre lang sicherten. Kritiker gingen später so weit, seine Methoden als „Blaupause für einen amerikanischen Faschismus“ zu bezeichnen.

Die Auswüchse der Geheimdienst- und der FBI-Methoden hatten zum Glück auch Folgen. Ein Untersuchungsausschuss brachte Mitte der Siebzigerjahre zutage, wie weit FBI und Geheimdienste ihre Macht im In- und Ausland missbraucht hatten. Als Konsequenz aus diesen Enthüllungen wurde aus dem Untersuchungsausschuss der ständige Ausschuss zur Kontrolle der Nachrichtendienste. Zudem beschloss der Kongress 1978 den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), das Auslandsgeheimdienstgesetz, das allerdings auch US-Bürger betrifft, die mit jemandem im Ausland kommunizieren.

Eigentlich waren diese Maßnahmen fortschrittlich im besten Sinne, denn sie regelten endlich, wann und wie die Dienste überwachen dürfen – und dass sie ihre Maßnahmen von einem Gericht, dem FISA-Gerichtshof, absegnen lassen müssen. Doch statt den Überwachungseifer von FBI und Geheimdiensten zu zügeln und ihr Vorgehen besser zu kontrollieren, ist vor allem in den vergangenen zwölf Jahren das genaue Gegenteil eingetreten. Dank modernster Computertechnik filtern die Dienste nun flächendeckend die Kommunikation und dank findiger Juristen haben sie in Anti-Terror-Gesetzen wie dem Patriot Act, der die Bürgerrechte massiv einzuschränken erlaubt, eine Carte blanche.

Klage vor dem Supreme Court

Jeder rechtsstaatlichen Idee Hohn spricht die Arbeit des FISA-Gerichtshofs. Er tagt nicht nur geheim, ohne dass es einen Vertreter der Gegenseite gäbe – er veröffentlicht auch seine Entscheidungen nicht. An seiner Kontrollfunktion muss man stark zweifeln: Allein 2012 lagen dem Gericht 1856 Anträge auf Durchsuchungen, Abhöraktionen oder Internetüberwachungen vor; kein einziger wurde abgewiesen. Das Gericht legt das Auslandsgeheimdienstgesetz offenkundig so großzügig aus, dass fast jede Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt scheint – gegenüber US-Bürgern, aber auch gegenüber Bürgern weltweit.

Die „New York Times“ glaubt, dass der FISA-Gerichtshof in den letzten Jahren zu einer Art zweitem Obersten Gericht geworden ist, das im Verborgenen durch seine Urteile die gesetzlichen Möglichkeiten der Geheimdienste erweitert – ohne dass der Gesetzgeber dies im Detail weiß. Auf diese Weise ist im amerikanischen Rechtssystem jegliche Balance verloren gegangen in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit. Und das Schlimmste ist: US-Präsident Barack Obama, der brillante Verfassungsjurist, lässt sich von der gleichen Paranoia leiten, die schon seinen Vorgänger George W. Bush getrieben hat. Hatte Obama als Präsidentschaftskandidat 2007 zu Recht zahlreiche Überwachungsmaßnahmen noch sehr skeptisch eingeschätzt, so setzte er als Präsident die Programme seines Vorgängers fort, ja, in einzelnen Fällen gewährte seine Regierung den Diensten sogar mehr Spielraum.

An diesem Montag wird eine Bürgerrechtsgruppe gegen die NSA und das Auslandsgeheimdienstgesetz beim Supreme Court klagen. Bisher hat das Oberste Gericht ähnliche Klagen stets abgewiesen, weil Kläger wie Amnesty International nicht nachweisen konnten, dass ihre elektronische Kommunikation tatsächlich betroffen war.

Im Lichte der Snowden-Enthüllungen dürfte eine solche Abfuhr dieses Mal nicht so leicht sein. Man kann nur hoffen, dass die Richter sich des Falls annehmen und dem geheimen Krieg gegen die Bürgerrechte ein Ende machen. Es ist vielleicht die letzte Chance für das einstige Land der Freiheit.

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