Many Bad Options

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Auch wenn US-Präsident Obama noch nicht über ein militärisches Eingreifen in Syrien entschieden hat, bereitet sein Verteidigungsminister Hagel Szenarien einer Intervention vor: gezielte Militärschläge, Flugverbotszonen oder eine Bewaffnung der Rebellen. Alle Optionen bergen Risiken. Eine Möglichkeit bleibt – und die hängt ausschließlich von Russland ab.

Eigentlich sollte die USS Mahan am Wochenende vom östlichen Mittelmeer aus den Hafen von Neapel anlaufen. Doch das Kommando der 6. US-Flotte in Bahrain wies den 154 Meter langen Zerstörer an, vorerst in seinem Operationsgebiet zu bleiben. Das Schiff derArleigh-Burke-Klasse gehört zum Modernsten, was die US-Marine aufzubieten hat. Die Mahan verfügt über Tarnkappentechnologie – vor allem aber kann sie als Startplattform für Lenkwaffen dienen, etwa Tomahawk-Marschflugkörper.

Diese Abstandswaffen könnten Ziele in Syrien attackieren, ohne dass westliche Piloten sich in den Luftraum des Landes wagen müssten. Die Armee von Diktator Bashar al-Assad verteidigt ihn mit einer modernen Luftabwehr aus russischer Produktion. Gezielte Schläge gegen Militärinstallationen und symbolisch bedeutende Einrichtungen des Regimes sind eine der Optionen, mit denen die USA und ihre Verbündeten reagieren könnten – wenn sich der Verdacht zur Gewissheit erhärtet, dass Regierungstruppen am Mittwoch in Vorstädten von Damaskus Hunderte Menschen mit Chemiewaffen ermordet haben, die meisten von ihnen unschuldige Zivilisten.

Inzwischen kreuzen vier US-Zerstörer im östlichen Mittelmeer – doppelt so viele wie normal. Zwei davon sollen sich in Schlagdistanz zu Syrien befinden. Doch Verteidigungsminister Chuck Hagel lässt keine Gelegenheit aus klarzustellen, dass Präsident Barack Obama noch keine Entscheidung über eine Militärintervention getroffen hat. Für den Westen – zuvorderst für Obama mit seiner roten Linie bezüglich eines Chemiewaffen-Einsatzes – scheint der Punkt erreicht zu sein, an dem man sich dem Druck nicht mehr entziehen kann, endlich etwas zu tun, um das grausame Schlachten in Syrien zu stoppen. In Washington werden schon Parallelen zu Kosovo gezogen und das Massaker von Srebrenica wird als Menetekel zitiert. Es hatte damals einen zögernden Bill Clinton bewogen, auch ohne UN-Mandat einzugreifen.

Krisengipfel in Amman

Zugleich weiß Obama genauso gut wie der Brite David Cameron oder Frankreichs Präsident François Hollande, dass es in Syrien keine Handlungsalternative gibt, die attraktiv wäre – vielleicht noch nicht einmal eine, deren Kosten und Risiken ihnen akzeptabel erscheinen würde. US-Generalstabschef Martin Dempsey flog am Sonntag nach Jordanien. In der Hauptstadt Amman kommt er mit seinen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien zusammen, um über die Auswirkungen des syrischen Bürgerkriegs zu beraten. Mit dabei sind Vertreter der Regionalmächte Saudi-Arabien, Türkei und Katar, ebenso wie die Nato-Staaten Kanada und Italien und auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker. Das seit Monaten geplante Treffen dürfte nun zu einem Krisengipfel werden. Die Teilnehmer werden militärische Optionen abwägen gegen ihre jeweiligen Folgen und mögliche, unerwünschte Nebeneffekte.

Eine internationale Aktion, um die syrischen Chemiewaffenbestände zu zerstören, scheint niemand mehr ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Das US-Militär hat zwar für einen solchen Fall schon mit anderen Ländern in Jordanien geübt. Doch wären dafür 60 000 bis 75 000 Soldaten nötig, wie das Pentagon schätzt. Sie müssten wochen- oder monatelang im syrischen Kriegsgebiet operieren. Die Entsendung von Bodentruppen aber schließen Offizielle in Washington inzwischen aus. Ein Bombardement der fünf größten Chemiewaffen-Einrichtungen sowie 35 weiterer Anlagen, die zu dem Programm gehören sollen, gilt als zu riskant. Dabei könnten Kampfstoffe frei werden, sie könnten auch in die Hände von Aufständischen oder Terroristen gelangen. Im Kalten Krieg sah die Doktrin des US-Militärs vor, solche Bestände mit Atomwaffen zu neutralisieren – was heute völlig undenkbar ist.

Schon leichter umzusetzen wäre die Einrichtung von Flugverbotszonen im Grenzgebiet zu Jordanien und der Türkei. Sie würde aber den Menschen in den Vorstädten von Damaskus kaum helfen, die nun dem Gift zum Opfer gefallen sind. Zudem, so warnte US-Generalstabschef Dempsey, müsste zur Durchsetzung Syriens Luftverteidigung mit einem massiven und riskanten Bombardement ausgeschaltet werden. Auch wären die Kosten von mindestens einer Milliarde Dollar pro Monat dem US-Militär wohl zu teuer. Und nicht zuletzt würden Verbündete in massive politische Schwierigkeiten geraten: Deutschland und die Niederlande haben auf Bitten Ankaras Raketenabwehrbatterien auf dem Gebiet des Nato-Partners Türkei stationiert. Ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats, das nicht absehbar ist, würden sich aber wohl weder Berlin noch Den Haag an einer Flugverbotszone beteiligen. Beide Regierungen müssten außerdem das Einverständnis ihrer Parlamente einholen, wenn das Mandat geändert würde.

Was an Alternativen bleibt, ist die lange diskutierte Möglichkeit, die syrischen Rebellen mit modernen Waffen auszustatten. Auch dagegen gibt es in den USA massive Vorbehalte. Alle Entscheidungen müssten “im Einklang mit unseren nationalen Interessen stehen”, heißt es aus dem Weißen Haus – und niemand in Washington glaubt, dass die schlagkräftigen unter den Rebellen-Gruppen den Amerikanern und ihren Bündnispartnern in der Region – allen voran Israel- wohlgesonnen sind. Ein Horrorszenario, sollten heute in Syrien kämpfende Dschihadisten dereinst einen Passagierjet der El Al mit einer amerikanischen Rakete vom Himmel holen oder zumindest in Teilen des zerfallenden Landes die Macht übernehmen.

Russland als letzte Hoffnung für politische Lösung

Das lässt eine Strafaktion aus der Distanz gegen die Kommando-Infrastruktur des syrischen Militärs und Regierungseinrichtungen noch als gangbarste unter vielen schlechten Optionen erscheinen. Doch auch in diesem Fall müssen Dempsey und seine Kollegen politische Konsequenzen in der Region einberechnen: Syriens Informationsminister Omran al-Sohbi hat nicht nur selbstbewusst gewarnt, ein Angriff auf Syrien werde “keine leichte Reise”. Er drohte auch vielsagend, die Folge einer Militärintervention wäre “ein Feuerball, der nicht nur Syrien verbrennen würde, sondern den gesamten Nahen Osten”.

In Libanon, Jordanien und im Irak kokelt es ohnehin schon, auch in der Türkei kommt es immer wieder zu Anschlägen und Zwischenfällen. Dazwischen versuchen Millionen Flüchtlinge den Gräueln des Bürgerkriegs zu entkommen; sogar in den Irak fliehen sie. Israel liegt in der Reichweite der syrischen Raketen, und Irans neue Regierung, die nicht müde wird, Kompromissbereitschaft im Atomstreit anzukündigen, warnt in Person des Vize-Generalstabschefs Massud Dschasajeri, Amerika kenne die “rote Linie an der syrischen Front”: Jedes Überschreiten “wird ernsthafte Konsequenzen” haben.

Bleibt eine Möglichkeit, die dieser Tage noch wenig diskutiert wird: Dass die Dynamik in Richtung einer Militärintervention eine politische Lösung herbeizwingt. Diese müsste das Ende der Herrschaft Assads bedeuten, könnte aber große Teile seines Regimes intakt lassen. Zumindest der UN-Vermittler Lakhdar Brahimi sah am Freitag die Chancen dafür wachsen. Beide Seiten hätten eingesehen, dass es keine militärische Lösung geben werde, sagte er. Für die Interessen Russlands in Syrien, das bislang als Assads Schutzmacht fungiert, könnte dies am Ende die beste noch erreichbare Variante sein. Und Moskau ist derzeit wohl der einzige Akteur, der in Syrien ein solche Lösung durchsetzen könnte.

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