No Data Privacy, No Free Trade Agreement

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Ohne Datenschutz kein Freihandelsabkommen

Von NADJA HIRSCH UND SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

23. MAI 2014

Um Sicherheit für die Bürger zu erkämpfen, ist TTIP der einzige Hebel. Nur mehr Transparenz in den Verhandlungen und die Achtung der gegenseitigen kulturellen Werte könnten Misstrauen abbauen und in der Gerüchteküche um Chlorhuhn und Genmais aufräumen.

Spätestens seit ACTA sollte jeder gelernt haben, dass Belange, die die Menschen im alltäglichen Leben betreffen, im 21. Jahrhundert nicht mehr geheim verhandelt werden können und auch nicht sollten. Es gibt gute Gründe für Freihandelsabkommen: Arbeitsplätze, Wohlstand, weniger Kosten bei grenzüberschreitendem Warenverkehr. So würde die hippe Sonnenbrille von Ray-Ban sicherlich billiger werden und auch Autos. Das reicht nicht. Die Menschen bleiben zu Recht kritisch und werden sich nicht von der EU-Kommission abspeisen lassen. Der Deutsche Bundestag wird und muss die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bei diesem Abkommen vertreten und darf sich diese Rechte nicht von der Kommission nehmen lassen.

Warum stört Transparenz?

Derzeit läuft TTIP mit der gleichen Dynamik wie ACTA und wird, wenn die Stimmung sich nicht ändert, genauso scheitern. Nur mehr Transparenz in den Verhandlungen und die Achtung der gegenseitigen kulturellen Werte könnten Misstrauen abbauen und in der Gerüchteküche um Chlorhuhn und Genmais aufräumen. Doch die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD scheinen keinen Druck auf die EU-Kommission ausüben zu wollen. Wenn alle Parteien sich ausdrücklich gegen eine Absenkung von Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzstandards aussprechen und niemand eine milliardenschwere Investitionsschutzklausel haben will, warum stört dann Transparenz? Man kann nur jedem, der das Freihandelsabkommen haben möchte, raten, umgehend auf Transparenz in Brüssel und Washington zu dringen, um Licht in die Verhandlungen zu bringen.

TTIP: Worum wird gestritten?

TTIP

Mit dem Handelspakt TTIP planten Brüssel und Washington den großen Wurf. Er sollte den Abbau der Zölle und anderen Handelshemmnisse, eine Vereinheitlichung von Industrie- und Prüfnormen, die Liberalisierung der öffentlichen Beschaffungsmärkte und ein Investitionsschutzabkommen mit der Einrichtung privater Schiedsgerichte bringen. Doch noch bevor die Verhandlungen ins Detail gehen, steht fest: Vieles wird ausgeklammert, anderes ist noch umstritten.

Doch ein Aspekt kommt in der Diskussion zu kurz: Selbst wenn die eingeforderte Transparenz kommt und die Befürchtungen von hormongetränktem Fleisch sich nicht bestätigen, geht es doch um die Wurst: Es geht um den Schutz unserer Daten! Die FDP macht ein Datenschutzabkommen zur Voraussetzung für TTIP. Denn das Freihandelsabkommen ist der einzige und vielleicht für die nächsten Jahrzehnte letzte Hebel, um einen vernünftigen Datenschutz für unsere Bürger, Unternehmen und Forschungseinrichtungen von den USA zu erkämpfen.

Doch wie stehen die Chancen für ein Datenschutzabkommen parallel zum Freihandelsabkommen? Bundeskanzlerin Merkel war auf Besuch in Washington. Ihr persönliches Handy wurde abgehört und das von Millionen Deutschen und Europäern. Jeder hätte es verstanden, wenn sie deutliche Worte gefunden hätte. Man hat es sogar von ihr erwartet. Doch die Bundeskanzlerin hat das Thema NSA nur beiläufig erwähnt – ob aus Resignation oder Desinteresse macht keinen Unterschied. Das Signal aber war das gleiche: Die USA können machen, was sie wollen.

Die NSA-Affäre ist Gift

Was ist seit der NSA-Spionageaffäre passiert? Nichts Wesentliches. Die NSA ist noch immer nicht in ihre Schranken verwiesen worden. Obama argumentiert noch immer, dass die Schnüffeleien notwendig seien, um die Sicherheit der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Die USA können der EU nicht vertrauen. Gegenfrage: Wieso sollten wir denn den USA vertrauen? Ja, die NSA-Affäre ist Gift, das die transatlantische Freundschaft belastet. Es liegt aber an denen, die das Gift ausgeschüttet haben, guten Willen zu zeigen und den vagen Ankündigungen Taten folgen zu lassen.

Doch auch die Bundesregierung scheint nicht wirklich an einem effektiven Schutz unserer Daten interessiert zu sein. Und auch nicht an einer Aufklärung der NSA-Affäre. Anders kann man es nicht erklären, wenn dem Untersuchungsausschuss im Bundestag die Einsicht in wichtige Akten und Informationen verwehrt bleiben sollte – und das aufgrund eines amerikanischen Gutachtens. Deutsche Abgeordnete würden sich strafbar machen, wenn sie Snowden befragen. Gilt das auch für die deutschen Europaabgeordneten, die das schon längst getan haben und für die Bundestagsabgeordneten, die an der Befragung Snowdons in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses des Europarates in Straßburg teilgenommen haben?

Das Europäische Parlament hat sich bereits mehrheitlich dafür ausgesprochen, Abkommen, die dem Transfer europäischer Daten in die USA dienen, auszusetzen. Und da gibt es einiges: Bankdaten, Fluggastdaten oder das Safe-Harbor-Abkommen. Es ist unklar, was mit den Daten europäischer Bürger passiert, die im Rahmen dieser Abkommen in die USA geliefert werden. Selbst der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert, dass Telekommunikationsdaten nicht explizit auf europäischem Boden gespeichert werden. Er sieht die Gefahr, dass diese missbraucht und zweckentfremdet werden könnten. Doch bisher konnten sich weder Kommission noch die Mitgliedstaaten dazu durchringen, diese Abkommen aufzukündigen.

Kurz gesagt: Seit den Enthüllungen durch Snowden ist nichts passiert. Stattdessen halten die EU und die Bundesregierung an einem Freihandelsabkommen fest und verlangen von den Bürgerinnen und Bürgern, Vertrauen in die USA zu haben, die ihrerseits keines in uns haben. Selbst wenn das EU-USA Freihandelsabkommen keine Chlorhühnchen und Genmais bringen sollte, sollten wir die letzte Chance auf ein Datenschutzabkommen und damit unsere Privatsphäre und unsere Wirtschafts- und Forschungssouveränität, nicht verspielen. Ohne wirkungsvollen, verbindlichen Datenschutz mit konkreten Änderungen im amerikanischen Recht kann es kein Freihandelsabkommen geben.

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