Politics as Spectacle and Nostalgia Show

<--

Politik als Spektakel und Nostalgieschau

Oliver Grimm

02.02.2015

Von links bis rechts, von Hillary Clinton bis Jeb Bush erweckt kein Kandidat den Eindruck, auf die Welt von morgen gefasst zu sein.

Jeb Bush, Chris Christie, Rand Paul, Marco Rubio, Ted Cruz, Scott Walker, Rick Perry, Lindsey Graham, Carly Fiorina, Bobby Jindal, Rick Santorum, Ben Carson. Hillary Clinton, Jim Webb, Joe Biden, Martin O’Malley, Elizabeth Warren. Die Liste der Republikaner und Demokraten, die bereits erklärt haben, bei der US-Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr anzutreten, oder sich nicht wenigstens überzeugend genug gegen Zurufe wehren, ihren Hut in den Ring zu werfen, umfasst beinahe zwei Fußballmannschaften.

Kaum einen dieser Namen muss man sich merken. Auf republikanischer Seite rauft man darum, die Ringe reicher Gönner und fundamentalistischer Prediger besonders innig zu küssen, um das Gemetzel der parteiinternen Vorwahl zu überleben. Jeb Bush, Sohn des 41. und Bruder des 43. Präsidenten, hat wohl die größten Chancen auf die Ernennung. Die beinahe täglich erscheinenden Umfragen sind allerdings ohne viel Aussagekraft. Zur Erinnerung: Ende Jänner 2007 lag Hillary Clinton in einer Umfrage unter demokratischen Wählern mit 41 zu 17 Prozent vor Obama.

Auch dieses Mal führt Clinton klar bei der demokratischen Basis, wenn man den Umfragen glaubt. Aber was bedeutet das schon? Wahlkämpfe gleichen Langstreckenläufen; wer 100 Meter nach dem Start das Feld anführt, geht nicht immer nach zehn Kilometern als Erster durchs Ziel.

Es fragt sich, wie viele US-Amerikaner diesem Spektakel Aufmerksamkeit schenken. Es ist nicht nur eine exklusive Angelegenheit (man spricht zu reichen Gönnern oder vor handverlesenen Kirchgängern, nicht zu den Massen draußen), sondern auch tief nostalgisch. Beiderseits des weltanschaulichen Grates blickt man sehnsüchtig in die Vergangenheit. Den republikanischen Bewerbern schwebt die Wiederherstellung einer globalen Vormachtstellung vor, die die USA vor einem Vierteljahrhundert, nach dem Zerfall der Sowjetunion, kurz hatte, ehe der Aufstieg der Schwellenländer einsetzte.

Hillary Clinton will, wenn man aus ihrem ideenarmen zweiten Memoirenband schließen darf, in erster, zweiter und dritter Linie die erste Präsidentin der US-Geschichte werden und ansonsten dort anschließen, wo ihr Gatte Bill 2000 aufgehört hat: also vor 9/11, vor der großen Rezession, deren Saat er mit der Deregulierung der Wall Street ausgebracht hat, und vor dem neuen Ausbruch des Nationalchauvinismus in Peking und Moskau. Diese Welt gibt es nicht mehr. Clintons schärfster Herausforderer, Ex-Senator Jim Webb, findet wiederum, die Demokraten müssten sich mehr um „weiße arbeitende Menschen“ kümmern und zu ihren Wurzeln, den Präsidenten Roosevelt, Truman sowie Jackson, zurückkehren (Jackson war dank einer Sklavenplantage reich und führte genozidale Kriege gegen die Indianer und Mexiko).

Die Welt von morgen, in der einer dieser Anwärter die weltgrößte Volkswirtschaft und Militärmacht ab 20. Jänner 2017 führen wird, sieht nicht so aus wie jene zwischen 1945 und 2000, mit der sie vertraut sind. Wie ist der Terrorarmee des Islamischen Staates (IS) beizukommen? Das Beispiel der Stadt Kobane, die auch durch die mehr als 600 Bombenangriffe um hunderte Mio. Dollar in Schutt und Asche gelegt wurde, kann kein Leitbild sein. Wie ist die soziale Kluft zu kitten? Jeder zweite US-Amerikaner hat laut Statistik nicht genug Ersparnisse, um bei Arbeitslosigkeit oder Erkrankung einen Monat auszukommen. Wie soll man mit dem Klimawandel umgehen? Die Hälfte aller US-Bürger lebt in Küstennähe, und auch im Landesinneren leidet man immer öfter unter extremem Wetter.

Diesen existenziellen Fragen haben die meisten Kandidaten nur sterile Allgemeinplätze entgegenzuhalten, die unverbindlich genug sind, um dem politischen Gegner nicht als Munition zu dienen. Einzig die Senatoren Rand Paul und Elizabeth Warren, er ein Libertärer, sie das, was man in Europa eine Sozialdemokratin nennen würde, erwecken den Eindruck, den Dingen aufgeschlossen auf den Grund zu gehen.

Paul und Warren werden, so sie antreten, die teure Vorwahlschlacht nicht überstehen. Das ist die politische Tragik der USA: Die interessanten Kandidaten sind chancenlos, die chancenreichen Kandidaten hingegen von gestern.

About this publication