The Alternative Would Have Been Worse

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Die Alternative wäre schlimmer gewesen

Es war grausam, aber richtig, dass die Amerikaner vor siebzig Jahren die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben. Alles andere hätte noch mehr Menschenleben gekostet.

An einem 6. August, der jetzt 70 Jahre her ist, warfen die Amerikaner die erste Atombombe über der japanischen Hafenstadt Hiroshima ab. Die zweite amerikanische Atombombe explodierte im Himmel über Nagasaki. Eigentlich gibt es keine Worte, um zu beschreiben, was nach dem Abwurf dieser Instrumente des Massenmordes geschah. Die menschliche Sprache ist dafür nicht gemacht.

Man kann ganz technisch bleiben und vom Urankern, von der Kettenreaktion, von der Gammastrahlung sprechen; vom Feuerball, der glühend weiß strahlte, von der Hitze, die noch viele Kilometer von der Abwurfstelle entfernt die Haut versengte, von der Druckwelle, die sich so schnell ausbreitete wie der Schall, ganze Häuser wegfetzte, Fensterscheiben in Tausende winzige tödliche Geschosse verwandelte.

Ich hatte viel Milch, die er an diesem Tag trank. Ich glaube, mein Kind saugte mir das Gift aus dem Körper. Bald danach starb er. Ja, ich glaube, dass mein Kind für mich gestorben ist.

Eiko Takoa

Die junge Mutter befand sich 750 Meter vom Explosionszentrum in Hiroshima entfernt

Aber vielleicht ist es besser, wenn an dieser Stelle eine Überlebende zu Wort kommt. Eiko Takoa, eine 21-jährige Japanerin, fuhr mit der Straßenbahn, als die Bombe fiel. Sie war 750 Meter vom Ground Zero entfernt. Die Straßenbahn fuhr gerade in eine Haltestelle ein: “Da ich meinen Sohn in meinen Armen hielt, sagte die junge Frau vor mir: Ich steige hier aus. Bitte, nehmen Sie meinen Sitzplatz.

Wir tauschten gerade die Plätze, als plötzlich ein seltsamer Geruch und Klang die Luft erfüllte. Es wurde dunkel, und ehe ich wusste, was geschah, war ich nach draußen gesprungen … Ich hielt meinen Sohn fest und schaute auf ihn herunter. Er hatte am Fenster gestanden, und ich glaube, Glassplitter hatten seinen Kopf durchdrungen. Sein Gesicht war verwüstet, weil Blut herunterfloss. Aber er schaute mir ins Gesicht und lächelte. In meiner Erinnerung lächelt er immer noch. Er verstand nicht, was passiert war. Und so schaute er mich an und lächelte mir ins Gesicht, das blutig war. Ich hatte viel Milch, die er an diesem Tag trank. Ich glaube, mein Kind saugte mir das Gift aus dem Körper. Bald danach starb er. Ja, ich glaube, dass mein Kind für mich gestorben ist.”

Vergleiche mit Völkermord verbieten sich

Wem bei einem solchen Bericht nicht das Herz stockt, der hat keines. Und so gibt es Leute, die Hiroshima und Nagasaki in einem Atemzug mit Auschwitz und dem Archipel Gulag nennen – als hätte das demokratische Amerika sich im August 1945 in eine Phalanx mit Nazideutschland und der totalitären Sowjetunion eingereiht. Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist obszöner Unsinn.

Ganz gleich, wie man den Abwurf der Atombomben bewerten mag, es handelte sich um einen Akt des Krieges. Er gehört einer ganz anderen Kategorie an als der Völkermord an den europäischen Juden oder Stalins “große Säuberung”. Aber handelte es sich bei den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki um Kriegsverbrechen? Vielleicht. Nur muss man sich klarmachen: Die Alternative wäre viel schlimmer gewesen.

Die Militärjunta, die das kaiserliche Japan beherrschte, kannte wenige Skrupel. Unter ihrem Regime hatte Japan die Mandschurei okkupiert, um sich die Rohstoffe zu sichern. 1937 hatten japanische Soldaten in einem bis heute unvergessenen Massaker, das viele Wochen dauerte, Zehntausende chinesische Zivilisten ermordet. Sie hatten aus dem Hinterhalt Pearl Harbor angegriffen und die Philippinen besetzt. Sie hatten koreanische, chinesische und taiwanesische Frauen zur Prostitution gezwungen. Wer an die Schrecken der Atombombe denkt, möge sich bitte auch an die berüchtigte “Einheit 731” der Kwantung-Armee in der Mandschurei erinnern, die chinesische Zivilisten mit Pest und Milzbrand infizierte und grauenhafte Experimente an Kriegsgefangenen durchführte.

Wahnsinnige Ziele mit rationalen Methoden

Allerdings waren die Herrscher Japans keine Wahnsinnigen. Sie waren kühle Rechner. Sie wussten seit dem Juli 1944, dass es keine Möglichkeit mehr für sie gab, diesen Krieg zu gewinnen: Die amerikanischen Truppen sprangen trotz verzweifelter Gegenwehr von Insel zu Insel, amerikanische Bombenflugzeuge äscherten in immer neuen Angriffswellen Tokio ein. Die japanische Flotte hatte schon 1942 in der Schlacht von Midway eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen; danach war Japan vom Nachschub abgeschnitten, es gab nur noch kümmerliche Rationen zu essen.

Aber der japanischen Führung waren die Leiden der eigenen Zivilbevölkerung eher gleichgültig. Sie kämpfte nicht für das Wohlergehen der Japaner, sondern für deren Ehre. Und das Regime rechnete sich aus, dass es ihm gelingen würde, diese Ehre in einer letzten großen Schlacht zu verteidigen. Es wollte die Invasion der japanischen Hauptinsel für die Amerikaner so teuer wie möglich machen.

Schließlich war es seit 2000 Jahren niemandem mehr gelungen, Japan zu erobern; außerdem glaubten die Japaner zu wissen: Die Amerikaner sind dekadent und feige – das heißt, sie können keine hohen Verluste aushalten.

Vollkommene Verachtung der eigenen Bevölkerung

Der Name des Plans war “Ketsu-Go”, auf Deutsch ungefähr: entscheidender Einsatz. Die Japaner wussten, dass es wegen der vielen Gebirge nur einen Ort gab, wo die Amerikaner landen konnten: die Südküste von Kyushu, der südlichsten Hauptinsel. Also gruben sich die japanischen Soldaten dort am Strand ein – 900.000 von ihnen. Sie hatten den Befehl, für ihr Land ihr Leben zu opfern. 5500 Kamikaze-Flugzeuge standen bereit, um sich in stündlichen Wellen auf die Amerikaner zu werfen. Auch 1300 Schiffe und U-Boote sollten sich an den Selbstmordangriffen beteiligen.

Außerdem mobilisierte das Regime die japanische Variante des “Volkssturms”. Allen Männern im Alter von 15 bis 60 Jahren und allen Frauen im Alter von 17 bis 40 wurde befohlen, sich mit Bambusstöcken auf die amerikanischen Soldaten stürzen. Ungefähr eine Million japanischer Zivilisten wäre an diesem Albtraum beteiligt gewesen.

Die Amerikaner wussten natürlich, dass ihnen bei einer Invasion der japanischen Hauptinsel eine letzte, große Schlacht blühte. Sie ahnten aber nie, dass sie es bei einer Invasion mit einer solchen Masse von Selbstmordkämpfern zu tun bekommen hätten. Trotzdem rechnete das Kriegsministerium von Henry Stimson mit 1,7, vielleicht sogar vier Millionen toten und verwundeten amerikanischen Soldaten. Und sie glaubten, dass eine Eroberung Japans fünf bis zehn Millionen Zivilisten das Leben kosten würde. Viele dieser Opfer wären verhungert.

Noch nachdem Japan am 15. August 1945 kapituliert hatte, blieb die Versorgungslage dramatisch schlecht – im November blieb dem Land gerade einmal genug Reis für vier Tage. Es schlidderte noch jahrelang am Rand einer Hungerkatastrophe dahin und wurde von den Amerikanern nur mühsam durchgefüttert. Hätte der Krieg sich auch nur Monate länger hingezogen, wäre das nächste Ziel der amerikanischen Luftwaffe – weil es sonst kaum noch etwas zu bombardieren gab – das japanische Eisenbahnnetz gewesen. In diesem Fall hätte kein Mensch mehr die Hungersnot abwenden können.

Die Japaner vor sich selbst retten

Hätte es nicht genügt, der japanischen Führung die Wirksamkeit der Atombombe zu demonstrieren? Hätte man sie nicht über unbelebtem Gebiet detonieren lassen und damit einen Aha-Effekt auslösen können? Mittlerweile sind alle Dokumente zugänglich; wir wissen also sehr gut über die Diskussionen im japanischen Hauptquartier Bescheid.

So wissen wir, dass Kaiser Hirohito – der noch bis 1989 im Amt war – “Ketsu-Go” aus vollem Herzen unterstützte. Und wir wissen, dass die Mehrheit der Entscheidungsträger, auch nachdem Hiroshima verglüht war, noch nicht daran dachte, die Waffen zu strecken. Das lag unter anderem daran, dass sie nicht verstanden, welche ungeheure Schäden diese Waffe verursacht hatte. Erst nach dem Abwurf der Plutoniumbombe auf Nagasaki setzte sich die “Friedenspartei” durch – gegen eine Minderheit, die um der Ehre willen bis zur kompletten Vernichtung Japans weiterkämpfen wollte. Ein japanischer Historiker resümiert darum im Rückblick: “Für unsere ‘Friedenspartei’ waren die Atombomben ein Himmelsgeschenk!”

Kein Zweifel: Der Abwurf von “Little Boy” und “Fat Man” war grausam. Atombomben sind furchtbare Waffen – hoffentlich werden sie nie wieder eingesetzt. Es gibt keine Worte für das Leid einer Mutter, die ihr Kind verliert. Aber die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki hat nicht nur den Amerikanern, sondern auch der japanischen Zivilbevölkerung viel Leid erspart.

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