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Auf Entzug

Von Nikolaos Gavalakis und Hannes Alpen

04.01.2016

Der amerikanische Wahlkampf ist eine Farce, war er schon immer und wird er immer bleiben. Er dauert lange, sehr lange. Zwischen der Eröffnung durch US-Tycoon Donald Trump im Frühsommer 2015 und der Präsidentschaftswahl im November 2016 liegen anderthalb Jahre. Dabei werden schätzungsweise vier bis fünf Milliarden Dollar in die „Kriegskassen“ der Kandidaten gepumpt. Das Resultat trotz dieser mit Dollarscheinen prall gefüllten Werbetrommel: Eine magere Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür liegt im amerikanischen Wahlsystem. Denn die Wahl wird lediglich in einigen Swing States entschieden. Die Präsidentschaftskandidaten lassen daher den Großteil der Bundesstaaten links liegen. Die dortige Bevölkerung bekommt diese nur im Fernsehen präsentiert.

Der Zuschauer hat diesmal die Wahl zwischen flachen Trampeln oder „Trumpeln“ und Kandidaten mit durchchoreografierten Auftritten, die ihre Positionen nach aktuellen Meinungstrends ausrichten. Zwischen religiösen Abtreibungsgegnern, Ausländerhassern, Nichtssagern und Sozialisten (in den USA immer noch ein Schimpfwort). Aus europäischer Perspektive mutet der US-Wahlkampf oft bizarr an, überbieten sich doch die Kandidaten in Patriotismus, Gottesfürchtigkeit und Phrasen, die die USA als größte Nation auf Erden hochleben lassen. All dies ist nicht immer leicht zu verkraften.

Dabei half in den vergangenen Jahrzehnten Jon Stewart. Der US-Satiriker lieferte großartige Unterhaltung und informierte bestens über aktuelle Entwicklungen der US-Politik. Leider ist Stewart seit August nicht mehr der Moderator der Daily Show. Das erste halbe Jahr auf Entzug ist also überstanden, aber wie soll man durch den Rest des Wahlkampfs kommen? Eine Handreichung:

Für Zyniker:

Kopf aus, Beine hoch und los geht’s: man genießt einfach die Trumpshow. Um besorgte Freunde zu beruhigen, empfiehlt sich der Hinweis auf US-Wahlguru Nate Silver, der bei Obamas Wiederwahl 2012 alle 50 Staaten plus Washington D.C. korrekt voraussagte. Dieser taxierte vor kurzem – entgegen aller aktuellen Prognosen – Trumps Chancen die republikanische Nominierung zu gewinnen auf unter zehn Prozent. Als Zyniker kann man bei diesen Wahlen nur gewinnen. Denn sollte Trump tatsächlich dann so untergehen, hat sich eine Prise anfänglicher Sympathie gleich in der Bestätigung des Weltbildes ausgezahlt.

Für Optimisten:

Man erfreut sich an Bernie Sanders, einem US-Politiker, der seit langem wieder genuin sozialdemokratische Positionen vertritt. Man glaubt es kaum, dass Sanders Forderungen nach bezahlbarer Universitätsausbildung, Mindestlohn oder Reichensteuer im politischen Mainstream Fuß fassen kann. Zehntausende junge Amerikaner strömen zu seinen Wahlkampfveranstaltungen, mit denen er regelmäßig die großen Basketballhallen des Landes füllt.

Für Anti-Amerikaner:

Seien wir mal ehrlich, was hat Barack Obama schon groß anders gemacht als sein Vorgänger? Ob unter Bush oder Obama – die NSA spioniert weltweit nach Belieben. In Guantanamo werden noch immer Grausamkeiten verübt und Menschenrechte verletzt. Außenpolitische Interessen werden zwar nicht mehr durch „Boots on the Ground“ durchgesetzt, dafür mit Killer-Drohnen, die auch tausende Unschuldige töten. Man dachte der Nahe Osten könnte nicht noch instabiler werden? Falsch. Der Krieg im Irak wurde ersetzt durch ein chaotisches Machtvakuum, in dem nun der Islamische Staat und Syriens Schlächter Baschar al-Assad den Ton angeben.

Und zu Hause? Sorgt ein polarisiertes Washington für eine politische Lähmung in einem nie dagewesenen Ausmaß. Denn Demokraten und Republikaner sind wie zwei testosteron-geschwängerte Platzhirsche ineinander verkeilt. Kooperation: Fehlanzeige. Wenigstens müsse es unter Obama den Afroamerikanern besser gehen, möge man meinen. Die Antwort: Ferguson, Baltimore, Charleston; die Offenlegung von Amerikas institutionalisiertem Rassismus und einer quer durch die US-Gesellschaft verlaufenden Wunde, die einfach nicht heilen mag.

Für Akademiker:

Obama also ein Versager? Nicht im Geringsten. Amerikas erster afroamerikanischer Präsident hat sein Land und dessen Außenbeziehungen verändert wie kaum einer seiner Vorgänger im Oval Office. Alleine Obamacare: Für Millionen Amerikaner bedeutet in Zukunft der Befund einer schlimmen Krankheit neben dem persönlichen Schock nicht automatisch den finanziellen Ruin. Von der besseren Gesundheitsversorgung ganz zu Schweigen. Während Europa sich im Zuge der Finanzkrise selbst zerstört, konnten die USA unter Obamas Führung die weltweite Rezession relativ gut überstehen. Die Wirtschaft läuft wieder, neue Jobs wurden geschaffen und die Arbeitslosigkeit ist auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Krise. America is back. Aber nicht nur zu Hause.

Gegen große Widerstände der heimischen Industrie sowie des Kongresses konnten in Verhandlungen mit China Fortschritte beim Klimawandel erzielt werden. Die Abkehr von der absolut erfolglosen Isolationspolitik brachte Kuba und Iran zur Kooperation. Die ehemaligen Erzfeinde der USA sind nun Verhandlungspartner. Der Abzug aus Afghanistan und Irak habe Chaos hinterlassen? Ganz im Gegenteil. Die Verschwendung von Billionen US-Dollar für Einsätze, die den Nährboden für Terrorismus und Anti-Amerikanismus bereiteten und Amerika bestimmt nicht sicherer machten, wurde gestoppt. Außerdem gelang es Obama, Osama bin Laden zur Rechenschaft zu ziehen. Der Stachel Nine-Eleven sitzt nicht mehr ganz so tief.

Für Strategen:

Ist es wirklich so wichtig, wer eigentlich ins Oval Office einzieht? Die Zeit Amerikas als alleinige Supermacht ist doch längst vorbei. Unbeeindruckt von Washingtons Drohungen ließ Putin seine „grünen Männchen“ in der Ostukraine aufmarschieren. In Syrien führt er mittlerweile einen Stellvertreterkrieg gegen Verbündete der USA. Der Luftkrieg der Amerikaner gegen den IS bleibt dahingegen fast wirkungslos.

In der Handelspolitik konnte die US-Administration zwar das transpazifische Freihandelsabkommen TPP zum Abschluss bringen, die TTIP-Verhandlungen mit Europa sind jedoch ins Stocken geraten. Die Strahlkraft der US-Wirtschaft ist nicht mehr ganz so groß. Insbesondere in Deutschland scheinen Bürger sowie Kleinere- und Mittlere Unternehmen sich festgelegt zu haben: Vorfahrt für Sozialstandards und Verbraucherregeln gegenüber neuen Anreizen im transatlantischen Handel.

China ist der neue große Player. Deshalb sollten wir Strategen unsere Aufmerksamkeit lieber auf die Spitze des Pekinger Machtapparats lenken. Der kommunistische Staat treibt ganz unbeeindruckt von Washingtons Muskelspielen den Ausbau von Landebahnen auf territorial umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer voran. Wirtschaftlich gibt China in Südostasien schon seit geraumer Zeit den Ton an. Und auch Europa kann der Anziehungskraft des Reichs der Mitte nicht widerstehen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Alle waren sie dabei als die von China initiierte Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) 2014 ins Leben gerufen wurde. Trotz Bitten der US-Regierung, dies sein zu lassen.

Für USA-Fans:

Der amerikanische Eagle in Wahrheit also ein zahnloser Tiger? Keine Sorge. Es ist längst bewiesen: All diejenigen, die die USA regelmäßig abgeschrieben haben, sind noch immer eines besseren belehrt worden. Amerikas Macht und Einflusskraft ist weiter ungebrochen. Davon zeugt nicht zuletzt der Iran-Deal, der unter US-Führung in jahrelanger Kleinstarbeit ausgehandelt wurde. Smarte Diplomatie statt unbedachte Militäreinsätze scheint das aktuelle Leitmotiv der amerikanischen Außenpolitik zu sein. Doch man sollte Washingtons Umsichtigkeit nicht als Schwäche interpretieren. Militärisch werden die USA auf Jahrzehnte dem Rest der Welt überlegen sein. Entscheidend ist, in welche Bahnen diese Macht gelenkt wird. Und darüber entscheidet immer noch primär der „Commander in Chief“ im Weißen Haus.

Für Aktivisten:

Jon Stewart soll es noch einmal tun! Über 335.000 Menschen haben eine Petition unterzeichnet, die fordert Jon Stewart solle eine der drei großen TV-Debatten der Präsidentschaftsanwärter moderieren. Der Demokratische Kandidat Martin O’Malley sowie TV-Ikone Larry King haben dafür ihre Sympathie bekundet. Sollte es dazu kommen, könnte man sich beinahe wünschen, Donald Trump würde die republikanische Vorwahl für sich entscheiden. Ansonsten hilft die jüngste Ankündigung von Stewarts Comeback. Auf verschiedenen Plattformen des amerikanischen Privatsenders HBO wird er ab 2016 in Kurzbeiträgen wieder das Politikgeschehen kommentieren.

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