Five Affairs,Two Wives: A US Campaign of Extremes

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Fünf Affären und zwei Ehefrauen: Ein US-Wahlkampf der Extreme

Warum sich Europa für den Kampf ums Weiße Haus, für das Sandkastenspiel zweier erwachsener Männer und die Wut der schweigenden Mehrheit interessieren sollte.

01.04.2016 | 17:48 | Anneliese Rohrer (Die Presse)

Zwei blaue Transparente aus Plastik in Englisch und Spanisch hängen von Eisenstangen: „Bernie for President, 2016“. In dem Seitengebäude einer Autowerkstätte in einer ruhigen Seitenstraße in Brooklyn, New York, ist eben das Wahlkampfbüro des links-außen Kandidaten der Demokraten, Bernie Sanders, eröffnet worden.

An diesem Frühlingsmorgen ist die hohe Halle voll von jungen Freiwilligen an den Computern und Telefonen. Hoch motiviert, wie es sich anhört. Sie gehören zu jener vor allem jungen Gruppe, die sich von Senior Sanders eine Änderung des gesamten politischen Systems der USA erwartet.

Zur gleichen Zeit tobten diese Woche die Anhänger Hillary Clintons im New Yorker Apollo Theater in Harlem, in dem sonst an den populären Abenden für Amateurkünstler die Devise „Good or gone“ gilt. Beklatscht oder von der Bühne vertrieben. Da ist nichts Amateurhaftes an Clintons Auftritt. Ihre Wahlkampfmaschine ist gut geölt, der Beifall sicher. Nichts könnte den Kern des Kampfes um die US-Präsidentschaft 2016 besser illustrieren als diese zwei Szenen: Es geht um den Widerstand gegen und um den Machterhalt für das „Establishment“, die politische Führungsschicht also.

Das Gleiche gilt für die Republikaner. Man möchte es auf den ersten Blick nicht vermuten. Seit Tagen dreht sich die Auseinandersetzung zwischen dem Millionär Donald Trump und dem Senator aus Texas, Ted Cruz, um die Ehefrauen der beiden und die angeblich fünf außerehelichen Affären des fundamentalen Christen Cruz; es geht um die Frage, wer mit der Schlammschlacht begonnen hat – dem „Streit von Fünfjährigen“, wie der CNN-Journalist Anderson Cooper Trump vorgeworfen hat. In Wahrheit geht es auch hier um den „Systempolitiker“ Cruz und den angeblichen Außenseiter Trump. Was die Linke von Sanders erwartet, erhofft sich die Rechte von Trump.

Es geht um Gefühle, Wut, unbestimmte Erwartungen. Da spielt es keine Rolle, ob das Steuer- und Sozialsystem, das Sanders verspricht, auch finanzierbar wäre. Da spielt es keine Rolle, ob Trumps frühere Beraterin, Stephanie Cegielski, recht hat, wenn sie seine Gefolgschaft in einem offenen Brief eindringlich warnt: Trump habe anfangs mit seiner Kandidatur nur geblufft; er habe sein Geschäft befördern wollen und sei vom eigenen Erfolg überrascht worden. Sie schließt den Brief mit: „Es geht Trump nur um sich selbst – egal, was es kostet. Lasst das Land nicht den Preis bezahlen.“

Auf beiden Seiten, jener der Demokraten und jener der Republikaner, wurde die ungeheure Wut der schweigenden Mehrheit auf die politische Führung unterschätzt. Viele Erwartungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht erfüllt und lassen sich auch nicht mehr erfüllen. Einkommen und Lebensstandard sinken selbst bei geringer Arbeitslosigkeit, Eigenheime und Ausbildung der Kinder und Enkel sind nicht mehr oder nur mit hoher Verschuldung zu finanzieren. Jeder Lebensbereich ist betroffen, das Gesundheitssystem, die Altersversorgung. Das Gefühl der Aussichtslosigkeit hat sich verfestigt – bei Jung und Alt. Das treibt einen Gutteil der Wähler zu extremen Positionen an den Rändern.

Der Aufstieg Donald Trumps kommt für viele so unerwartet wie der Erfolg Sanders und der zähe Kampf, den Clinton gegen ihn austragen muss. Das „Spiel“ ist aber noch lang nicht zu Ende. Fans der US-Serie „House of Cards“ wissen, was bei den Republikanern noch kommen kann: Ein „offener“ Parteitag, bei dem jeder für das Präsidentenamt kandidieren kann. Bei den Demokraten könnte Sanders als Unabhängiger antreten, denn auf das Geld der Großspender ist er nicht angewiesen. Instabilität wäre das Resultat.

Warum das alles Europäer zu interessieren hat? Weil sich ähnliche Entwicklungen auch in Europa abzeichnen. Weil überall Krisen aufbrechen und Donald Trump den Einsatz von Atomwaffen in Europa in einem TV-Interview partout nicht ausschließen wollte. Genügt das?

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