Will a New Order Arise from the Chaos?

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Die kommende Ära wird geprägt vom Kampf der Prinzipien: Trump, Putin einerseits – der neue UN-Chef und Humanist Guterres andererseits. Je schlimmer es wird, desto stärker könnte Einsicht wachsen.

Die Antipoden der neuen Welt wirken keine zwei Kilometer voneinander entfernt: An der United Nations Plaza in Manhattan herrscht seit Sonntag António Guterres als Generalsekretär der Vereinten Nationen, während drüben, an der Fifth Avenue, der künftige US-Präsident Donald Trump residiert. Die beiden Männer, die fast gleichzeitig ihre Ämter antreten, könnten unterschiedlicher kaum sein. Hier der provokante Bauchmensch Trump, dort der diplomatische Intellektuelle Guterres. Sie stehen für zwei Prinzipien: Trump für den souveränen Egoismus der Nationen und “Amerika zuerst”. Guterres für den Bau einer Weltordnung, die die Nationalstaaten einbindet und ihre Allmacht begrenzt. Der Kampf zwischen diesen Prinzipien wird das Jahr 2017 prägen, und die kommende Ära.

Wenn der portugiesische Humanist, Christ und Sozialdemokrat Guterres aus seinem Büro im 38. Stock des UN-Hochhauses auf die Welt blickt, dürfte ihm bange werden. Denn diese Welt tritt gerade in eine neue Phase der Geschichte. Die über sieben Jahrzehnte aufgebaute Nachkriegsordnung zerbröckelt. Die Grundsätze, für die die Vereinten Nationen stehen, werden attackiert, hinweggefegt. Die friedliche Lösung von Konflikten? Syrien wird zum Schutthaufen zerbombt, Jemen demoliert, der Sudan ist ein Leichenhaus, und Afghanistan sinkt zurück in die Gewalt der Taliban. Zugleich rasseln Wladimir Putin und Donald Trump mit Atombomben, erhöht China die Spannungen in Südostasien, wächst der Hass zwischen Religionsgruppen. Wir gegen die – statt einer Welt.

Das Völkerrecht als Ordnungsrahmen? Seine Paragrafen werden bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Einige Westmächte stürzen das libysche Gaddafi-Regime ohne Mandat der Völkergemeinschaft. Putin überfällt die Ukraine, raubt die Krim. Trump wirbt für Folter als Verhörmethode. Afrikanische Staaten verlassen das Weltstrafgericht. Massenmörder wie der sudanesische Tyrann Omar al-Baschir erhalten im Ausland Staatsempfänge. Die türkische Regierung zertrampelt Menschen- und Bürgerrechte. EU-Staaten missachten das Asyl- und Flüchtlingsrecht. Terrorgruppen wetteifern darum, wer die grauenhafteren Verbrechen begeht.

Die gemeinsame Lösung der Weltprobleme? Trump pfeift auf die Erderhitzung und will das Pariser Klimaabkommen verdorren lassen. Den Atomvertrag mit Iran möchte er zerreißen. Putin strebt im Alleingang einen Grabesfrieden in Syrien an. Viele EU-Staaten verweigern Flüchtlingen Unterstützung. Politiker der einst europabauenden CSU überbieten sich mit Vorschlägen, wie man Freiheiten einschränken, Türen verrammeln, Hilfsbedürftige abwimmeln könnte. Christsozial? Sie sagen, die Herberge sei voll.

Wer obsiegt?

Gerade an den Flüchtlingen und Not-Migranten zeigt sich, wie es um die Weltordnung bestellt ist, denn sie sind Opfer von Krieg, Unterentwicklung und Umweltzerstörung. Mehr als 65 Millionen Menschen sind heute auf der Flucht, so viele waren es noch nie, seit die UN existieren. Entwicklungsländer beherbergen 86 Prozent dieser Menschen, aber die viel reicheren EU-Staaten fühlen sich überfordert. Pläne, wie die Lasten global fair verteilt werden könnten, liegen bei den UN in den Schubladen, werden aber nicht umgesetzt. Lieber geben sich viele Staaten der Illusion hin, das Problem aussperren zu können. Guterres weiß das nur zu gut – er leitete zehn Jahre lang das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.

Die Erwartungen an den neuen UN-Generalsekretär sind groß, den Verfall der Weltordnung aufzuhalten. Doch was kann ein Einzelner tun, der kaum starke Befugnisse hat – und keine eigenen Truppen? Portugals Ex-Premier Guterres ist nicht Atlas, der allein den Globus trägt. Doch er hat seine Stärken. Er ist hartnäckig, eloquent, ein glänzender Vermittler, pragmatisch, aber mit Prinzipien. Vor allem aber hat er, was seinem Vorgänger Ban Ki-moon fehlte: Charisma. Das braucht ein UN-Generalsekretär, wenn er als Stimme der Welt gehört werden will.

Diese Welt läuft Gefahr, von den Großmächten USA und China sowie dem Scheinriesen Russland in Interessenssphären zerteilt zu werden. Auch ein Krieg zwischen diesen drei ist nicht auszuschließen. Schon heute blockieren sie sich oft gegenseitig und damit den UN-Sicherheitsrat als obersten Friedensgaranten. Um hier gegenzuhalten und den Multilateralismus – den Geist der Zusammenarbeit – zu bewahren, muss sich Guterres Verbündete suchen: die Weltöffentlichkeit, möglichst viele Staaten wie zum Beispiel Deutschland, auch Nichtregierungs-Organisationen. Nur zusammen können sie den Kräften der Zerstörung standhalten und etwa das Klimaabkommen retten, im Interesse der ganzen Menschheit. Und zusammen könnten sie sogar die USA, Russland und China beeindrucken.

Völkerrecht und UN-System enthalten Möglichkeiten, Frieden zu schaffen und Kriegstreiber zu stoppen, auch wenn der Sicherheitsrat gelähmt ist. Das Prinzip der Schutzverantwortung gebietet es, dass die Vereinten Nationen Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen schützen. Missachtet der Sicherheitsrat diese Verpflichtung, so kann sich die UN-Generalversammlung, in der alle Staaten vertreten sind, des Falls annehmen. Ob sie auch Sanktionen verhängen oder Militäreinsätze anordnen darf, ist noch sehr zweifelhaft. Doch je länger die fünf Vetomächte im Sicherheitsrat versagen, desto mehr könnte die völkerrechtliche Entwicklung in diese Richtung gehen.

Die stärksten Trümpfe des António Guterres werden aber, paradoxerweise, die Geißeln der Menschheit selbst sein: Klimazerstörung, die Weiterverbreitung von Atomwaffen, Staatszerfall, Terror, Flüchtlingselend – all das wird durch nationalistische Politik à la Putin oder Trump nun noch verschärft. Nur gemeinsam ließen sich diese Probleme angehen. Je schlimmer die Zustände werden, umso stärker könnte diese Einsicht wachsen. Nur ein Narr leugnet noch die Erderhitzung, wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht.

In den Mythen der Menschheit geht aus dem Chaos neue Ordnung hervor. Das ist eine beklemmende Hoffnung – aber immerhin eine Hoffnung.

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