‘The EU Cannot Replace the US’

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Die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsident Trump widerspricht der besonderen Verantwortung der USA, sagt Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

ZEIT ONLINE: US-Präsident Trump hat mit seiner Ankündigung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, einen jahrzehntelangen Konsens aufgekündigt. Alle Botschaften befinden sich bislang in Tel Aviv, nicht in Jerusalem. Trump will Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen, für die Palästinenser der größtmögliche Affront. Die radikalislamische Hamas in Gaza hat jetzt zu einem Aufstand gegen Israel aufgerufen. Was ist die deutsche Position zur Trump-Entscheidung?

Norbert Röttgen: Deutschland teilt diesen Schritt von US-Präsident Donald Trump ausdrücklich nicht. Wie auch alle anderen europäischen Nachbarn – es gibt ja eine einheitliche europäische Position – glauben wir, dass das den ohnehin stockenden Friedensprozess weiter belastet, und dass es die Glaubwürdigkeit der USA beschädigt, diesen Prozess überhaupt wieder in Gang zu bringen.

Wir hier in Europa befürchten, dass durch die Entscheidung Öl ins Feuer gegossen wird und dass es auf palästinensischer Seite womöglich zu gewaltsamen Reaktionen kommt. Bisher haben die Palästinenser mit dem Aufruf zum Generalstreik zum Glück vorsichtig reagiert.

ZEIT ONLINE: Wie bewerten Sie persönlich Trumps Einlassungen?

Röttgen: Trump hat ausdrücklich gesagt, dass mit der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels keine Entscheidung hinsichtlich der territorialen Grenzen Israels verbunden sei, alles solle dem Verhandlungsprozess vorbehalten bleiben. Die territoriale Ausgestaltung einer Zweistaatenlösung ist also auch aus seiner Sicht noch offen. Das zumindest ist gut.

ZEIT ONLINE: Kommt aber bei den Palästinensern und in der arabischen Welt nicht vor allem die Hauptstadt-Entscheidung an?

Röttgen: Das glaube ich nicht. Gerade die palästinensische Seite sieht diese beiden Teile wahrscheinlich sehr klar. Also zum einen die für sie absolut inakzeptable Entscheidung für Jerusalem als Israels Hauptstadt. Dabei wird man in Ramallah aber auch registriert haben, dass Trump den Zeitpunkt des Umzugs selbst komplett offen gelassen hat. Vor allem aber werden die Palästinenser registriert haben, dass die US-Regierung zu der Zweistaatenlösung steht und dass Trump alle zu entscheidenden Territorialfragen als ausdrücklich offen klassifiziert hat. So negativ das eine ist, so sehr relativiert der zweite Teil von Trumps Aussage den ersten Teil.

ZEIT ONLINE: Hat die Rolle der USA als Vermittler in dem komplizierten Friedensprozess gelitten?

Röttgen: Auf jeden Fall. Die Jerusalem-Entscheidung wird ja unter den Palästinensern als eine ungerechtfertigte und verletzende Parteinahme verstanden. Die USA haben sich in der Rolle eines ehrlichen Vermittlers im Friedensprozess beschädigt.

ZEIT ONLINE: Sollten Berlin und Brüssel nach Trumps Entscheidung jetzt verstärkt versuchen, als neutrale Makler im israelisch-palästinensischen Konflikt auftreten? Und wenn ja, wie?

Röttgen: Nach meiner Einschätzung sind die USA in dieser Rolle nicht ersetzbar. Umso bedauerlicher ist das Verhalten Washingtons und umso mehr widerspricht es der besonderen Verantwortung, die die USA haben. Die Europäer haben sich immer in Nahost engagiert, aber ich glaube, man muss realistisch sein: Den Autoritätsverlust, den sich die USA hier selbst zugefügt haben, wird Europa nicht kompensieren können. Die EU kann die USA als Großmacht und Sicherheitsgarant, vor allem für Israel, nicht ersetzen.

ZEIT ONLINE: Der türkische Präsident Erdoğan sagt, die Jerusalem-Entscheidung sei für die Muslime eine rote Linie. Erdoğan scheint aus diesem Anlass eine Konfrontation mit den USA und dem Westen allgemein anheizen zu wollen. Gefährdet Trump die sowieso angespannten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei?

Röttgen: Nein, wahrscheinlich nicht. Erdoğan versucht die zusätzlichen Spannungen in Nahost, die durch Trumps Entscheidungen entstanden sind, für sich zu nutzen. Erdoğan verkauft sich jetzt in der Türkei und in der Region als Anwalt der Muslime.

ZEIT ONLINE: Hat die Zweistaatenlösung in Ihren Augen denn noch eine Chance?

Röttgen: Sie hat auf jeden Fall keine verantwortbare Alternative. Darum gibt es auch nur diese Chance und für alle Beteiligten die Verantwortung und Verpflichtung, an dieser Chance zu arbeiten.

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