What Is the Goal of Donald Trump’s Lies?

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Der US-Präsident sagt öfter die Unwahrheit als seine Vorgänger, das zeigen Statistiken. Die entscheidende Frage aber ist: Welchem politischen Zweck dienen die von ihm verbreiteten Unwahrheiten?

Wir alle lügen. Die amerikanische Betrugsexpertin Pamela Meyer – deren Vortrag darüber, woran man einen Lügner erkennt, 16 Millionen Mal im Netz angeklickt wurde – verrät uns, dass wir pro Tag zehn bis zweihundert Mal angelogen werden. Fremde, die sich begegnen, erzählen im Durchschnitt drei Lügen innerhalb der ersten zehn Minuten.

Männer erzählen acht Mal mehr Lügen, um sich selbst vor irgendetwas zu beschützen; Frauen erzählen die achtfache Menge an Lügen, um andere zu beschützen. Ehepartner belügen einander in zehn Gesprächen, die sie miteinander führen, durchschnittlich ein Mal. (Die meisten dieser Lügen sind natürlich von der harmlosen Art: „Nein, du bist nicht dicker geworden“ usw.)

Wir fangen schon früh mit dem Lügen an – ungefähr mit zwei Jahren. Im Schulalter sind die meisten Kinder schon ziemlich geübte Lügner; nicht einmal Fachleute, geschweige denn die eigenen Eltern vermögen es, Lügenmärchen von wahren Berichten zu scheiden. Dies ist kein Grund, alarmiert zu sein: Lügen ist ein Zeichen von Intelligenz.

Je früher Kinder mit dem Erzählen von fantastischen Geschichten beginnen, desto klüger sind sie. Vielleicht ist es keine Übertreibung zu behaupten, dass die Fähigkeit zu lügen uns als Spezies auszeichnet. Tiere können die Farbe ihrer Schuppen ihrer Umgebung anpassen oder mithilfe ihrer Flügel vortäuschen, dass sie riesige Augen haben. Aber sie lügen nicht.

Politiker lügen – entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil – keineswegs mehr als der Durchschnittsbürger. Die Mittel, zu denen die meisten Politiker greifen, sind eher das Schweigen („Kein Kommentar“), die doppeldeutige Äußerung, das Nichtwidersprechen, wenn einem Politiker etwas als Verdienst gutgeschrieben wird, zu dem er in Wirklichkeit wenig oder nichts beigetragen hat (eine hervorragende Wirtschaftskonjunktur etwa).

Die meisten Beispiele für Politikerlügen sind in Wahrheit keine, sie sind Beispiele für Wunschdenken. Nehmen wir Norbert Blüms berühmten Ausspruch „Die Rente ist sicher“ (der ein Ausweis von begrenzter Intelligenz, aber keine Lüge war) oder Helmut Kohls Versprechen, die deutsche Einheit werde nichts kosten und in der ehemaligen DDR würden binnen kurzer Zeit „blühende Landschaften“ entstehen. (Kohl sah nicht voraus, dass es mehr als eine Generation dauern würde, die Schäden zu reparieren, die der Sozialismus hinterlassen hatte.)

Dreiste Politikerlügen, die mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen werden – erinnern wir uns an Bill Clintons Satz „Ich hatte keine sexuellen Beziehungen mit jener Frau“ –, sind in liberalen Demokratien eher selten. Das hat einen simplen Grund: Politiker wollen wiedergewählt werden. Und obwohl auch die Wähler und Wählerinnen in ihrem Alltag immerzu lügen (siehe oben), wollen sie doch von keinem Lügner vertreten werden.

Der amtierende amerikanische Präsident ist somit etwas Besonderes, ein Unikum. Amerikanische Zeitungen haben beeindruckende Grafiken veröffentlicht, die Donald Trump mit seinen Vorgängern Barack Obama und George W. Bush vergleichen. Auch sie haben nicht immer die Wahrheit gesagt – aber sie hielten ihre Lügenbälle doch eher flach, während die Kurve des amtierenden Präsidenten steil gen Himmel steigt.

Es begann mit der offenkundigen Falschmeldung, zu seiner Amtseinführung seien mehr Leute erschienen als zu der von Obama. Einen Tag später behauptete er in einer Ansprache vor der CIA, bei seiner Amtseinführungszeremonie habe es nicht geregnet, und danach wurde es eigentlich nur immer schlimmer.

Er lügt, um sich zu schützen

Man kann über die geistige Disposition eines Mannes spekulieren, der offenbar das unstillbare Bedürfnis verspürt, sich größer zu machen, als er ist, um sich herum ständig Verschwörungen wittert und keinen Gedanken an die amerikanische Verfassung oder die Würde seines Amtes verschwendet. Fruchtbarer ist allerdings, sich Gedanken über die politische Funktion von Donald Trumps Lügen zu machen. Welchem Zweck dienen die Lügen des Präsidenten?

Oberflächlich betrachtet sollen sie ihn vor seinen Gegnern beschützen. Nehmen wir die gewaltigste Lüge, die Trump seit einigen Monaten per Twitter verbreitet: Er sei das arglose Opfer einer „Hexenjagd“. Sein Wahlkampfteam habe sich weder der Zusammenarbeit mit den Russen noch der Behinderung der Justizbehörden schuldig gemacht.

Journalisten, die etwas anderes verbreiteten, seien „Feinde des amerikanischen Volkes“. Die alten Eliten in Washington hätten sich gegen ihn verschworen. Das FBI (in Wahrheit eine urkonservative Institution) stehe im Sold der Demokratischen Partei.

Auf den ersten Blick scheint es sich um ein Ablenkungsmanöver zu handeln: Schaut nicht hierher – hier gibt es nichts zu sehen! Schaut gefälligst dort hinüber! Allerdings ist das Manöver viel zu plump, als dass es seinen Zweck erfüllen könnte. Man muss die Augen vor so vielem verschließen, um diese Behauptungen zu glauben.

Vor der schieren Existenz von Paul Manafort, der Donald Trumps Wahlkampfmanager wurde, nachdem er Putins Freund, dem ukrainischen Diktator Viktor Janukowitsch, geholfen hatte. Vor dem Treffen, das der Sohn des Präsidenten in der Frühphase des Wahlkampfes im Trump-Tower mit hochrangigen Vertrauten des Putin-Regimes abhielt.

Nicht zuletzt vor dem Umstand, dass Donald Trump engste Vertraute der Vereinigten Staaten vor den Kopf gestoßen hat, aber Putin in den höchsten Tönen lobt (und sich neuerdings weigert, das Wirtschaftsembargo gegen Russland aufrechtzuerhalten, auf das der amerikanische Kongress ihn verpflichtet hat).

Welchem Zweck dienen Donald Trumps Lügen also auf einer tieferen Ebene? Sie stiften Gemeinschaft. Pamela Meyer erinnert uns in ihrem Video daran, dass zum Lügen immer zwei gehören: einer, der lügt, und einer, der sich die Wolle über die Ohren ziehen lässt. Lügen ist eine „soziale Interaktion“.

Die Interaktion zwischen Donald Trump und jenen 40 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, die sich zu ihm bekennen, verläuft folgendermaßen: Trump lügt – und seine Anhänger sind wild entschlossen, ihm zu glauben. Und je dreister Trump lügt, desto entschlossener glauben sie ihm.

Wer bereit ist, jede – auch die unwahrscheinlichste – Behauptung zu schlucken, als handle es sich um die pure Wahrheit, zeigt damit, dass er zum Stamm der Trump-Leute gehört. Jene, die sich weigern, die Lügen aus dem Weißen Haus zu glauben, sind Feinde. Sie sind keine echten Amerikaner.

Sie sind schlechte Menschen und wollen dem demokratisch gewählten Präsidenten schaden. Die beste Analogie dafür ist vielleicht die Zugehörigkeit zu einer Sekte: Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an Bhagwan, der in den Siebzigerjahren eine spirituelle Massenbewegung anführte.

Bhagwan war ein Scharlatan, der nichts als Plattheiten von sich gab und seine Jünger schamlos finanziell ausnahm. Vor der Halle, in welcher der Guru seine Vorträge hielt, hing ein Schild: „Schuhe und Verstand bitte draußen lassen.“ Bhagwan unterhielt eine Mercedes-Flotte, mit der er sich vor den Augen seiner Jünger herumkutschieren ließ. Wer bereit war, auch davor die Augen zu verschließen, gehörte zu den Erleuchteten.

Auf Twitter erreicht er mehr Leute als jeder Fernsehsender

Die schlechte Nachricht lautet, dass die technischen Methoden, um Lügen zu verbreiten, immer besser werden. Donald Trump hat auf Twitter ein Publikum von ungefähr fünfzig Millionen, das noch wächst; er erreicht also viel mehr Menschen als jeder amerikanische Fernsehsender.

Auch die Möglichkeiten der Fälschung werden immer raffinierter. In einem der neuen Filme aus der „Krieg der Sterne“-Serie tritt eine jugendliche Prinzessin Leia auf, die künstlich mit dem Computer hergestellt wurde. Die Software, die man dazu benötigt, kann sich mittlerweile jeder Teenager herunterladen.

Es ist also möglich, Videoclips von jüngeren Versionen von Politikern zu produzieren und sie alles sagen (oder tun) zu lassen. Man kann sie in Pornofilme hineinkopieren oder Hetzreden gegen Amerika halten lassen. Bis die Fälschung als solche erwiesen wurde, ist der Ruf längst ruiniert.

Es würde an ein Wunder grenzen, wenn dies nicht spätestens im nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf eine – möglicherweise entscheidende – Rolle spielte. Umgekehrt ist es natürlich möglich, sich bei jeder neuen Enthüllung darauf hinauszureden, man habe dies nie gesagt oder jenes nie getan.

Es wird immer schwieriger, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden, wir treten in eine neue Ära des Zwielichts ein. Wird die liberale Demokratie diese Ära überleben?

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