White Offenders, White Victims – and What Else?

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#MeToo ist sicher bedeutend für die Debatte über sexuelle Gewalt. Aber es gibt auch einiges an der Bewegung, das für Irritationen sorgt

Warum irritiert die #MeToo-Debatte, was macht das Reden darüber so schwierig? Das musste ich, selbst erklärte Feministin, mich fragen, als vor kurzem eine jüngere Frau bei einem Abendessen nach einer Tagung das Gespräch mit mir über #MeToo abbrach. Ich hatte einige kritische Dinge gesagt und gefragt. Sie, eine Aktivistin und Feministin, schaute mich an, als würde ich die Täter entschuldigen wollen oder sogar selbst dazugehören.

Ich war betroffen. Hatte ich ihr, wie nicht selten über ältere Frauen in diesem Zusammenhang geäußert wird, zu wenig zugehört? War ich eine Catherine Deneuve, die mit dem Reden über die Gefahr eines erstarkenden Puritanismus den Schmerz und Mut von Opfern von Gewaltfällen außer Acht ließ? Mit einer Attitüde, die besagte: „Lasst uns allen doch einfach die Freiheit, zu flirten!“ und „Ist doch halb so schlimm!“?

Sprachrohre von #MeToo sind weiße Prominente

Es mag irritieren, dass wir in Deutschland zum ersten Mal etwas von #MeToo gehört haben, als Mitte Oktober letzten Jahres eine weiße Schauspielerin, Alyssa Milano, auf Twitter andere Frauen aufrief, ihre Erfahrungen als Opfer sexueller Übergriffe unter diesem Hashtag zu twittern – obwohl #MeToo schon viel früher begann, nämlich mit der schwarzen Aktivistin Tarana Burke, die 2006 #MeToo ins Leben rief, um jungen Mädchen aus benachteiligten Verhältnissen, die Opfer von sexueller Gewalt wurden, mit Empathie zu begegnen.

Es mag auch befremden, dass die Sprachrohre von #MeToo und ähnlichen Bewegungen in anderen Ländern weiße Prominente sind – wie auch die Männer, denen öffentlich sexuelle Belästigung oder sexuelle Gewalt vorgeworfen wurde: Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Mark Halperin oder hier in Deutschland Dieter Wedel.

Es wirft ebenso Fragen auf, dass genau die Bereiche der Öffentlichkeit, in denen es den Akteuren um Prominenz und Sichtbarkeit geht, auch diejenigen sind, die im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit von #MeToo stehen. Was ist mit sexueller Belästigung, die in anderen sozioökonomischen Kreisen stattfindet, zum Beispiel die Belästigung von Fabrikarbeiterinnen in Detroit oder von Frauen, die in der Gastronomie arbeiten?

Fälle von Vergewaltigung mit Belästigung gleichgesetzt

An #MeToo mag auch verwundern, dass das öffentliche Reden über sexuelle Belästigung, insbesondere im Arbeitsumfeld, nicht neu ist. Bereits 1991 sagte die Juraprofessorin Anita Hill über die konkreten Details ihrer früheren Belästigung durch den ihr vorgesetzten Juristen Clarence Thomas aus. Dass Clarence Thomas trotzdem zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt wurde, machte die Anhörung zu einem letztendlich leeren Medienspektakel. Wäre es anders gekommen, so bräuchten wir heute #MeToo nicht.

Es mag auch verwirren, dass Fälle von Vergewaltigung und anderen Formen der sexuellen Gewalt sowie Fälle von unglücklichen Dates und schlechter Kommunikation über Sex unter dem Zeichen von #MeToo nebeneinandergestellt werden. Es mag uns Sorge bereiten, dass Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs junger Männer, zum Beispiel durch Kevin Spacey, alte Vorurteile wachrufen, die Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzen.

Es mag auch problematisch sein, dass der #MeToo-Diskurs eine Tendenz zeigt, Männer im Allgemeinen als aggressive Täter zu sehen und Frauen und Jugendliche als passive Opfer. Folgt man der Politikwissenschaftlerin Wendy Brown, so spricht dieses Muster Frauen ihre politische Handlungsfähigkeit ab.

Was kann #MeToo leisten?

Kann die Bezeugung von Belästigungsfällen auf Twitter und Facebook eine Alternative sein, die an die Stelle von politischer Organisation und der Ausarbeitung konkreter politischer Forderungen treten kann, wie sie nach dem Women’s March am 21. Januar 2017 und am 20. Januar 2018 in Washington formuliert wurden? Und gehört die Enthüllung von Taten, die 20 oder 30 Jahre zurückliegen, zum Kampf gegen sexuelle Belästigung heute? Ist hier eine Form der öffentlichen Anhörung und womöglich auch Versöhnung jenseits der Gerichte nötig? Was kann #MeToo hier leisten, oder braucht es andere Formen und Foren?

So bedeutend #MeToo für die Betroffenen wie für die öffentliche Debatte über sexuelle Gewalt ist, so viel Irritation lässt die Bewegung also entstehen.

Am 23. April findet um 18 Uhr an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Aula des Hauptgebäudes) eine Diskussion zum Thema statt. (Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Universität) wird die Diskussion um 18.15 Uhr einleiten. Die Amerikanistin Birte Christ moderiert. Verena Lueken („FAZ“) spricht über #Aufschrei, Elisabeth Schäfer-Wünsche (Amerikanistin aus Bonn) über queere Reaktionen auf #MeToo, Die Gießener Politikwissenschaftlerin Jutta Hergenhan berichtet über französische Reaktionen, und ich werde mich selbstkritisch über Kritik an der Bewegung äußern.

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