Erdogan’s True Objective in the Conflict with Trump

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Erdogans wahres Ziel im Konflikt mit Trump

Von Boris Kálnoky

Liest man derzeit die regierungsnahen türkischen Medien, kann man den Eindruck gewinnen, dass die USA am Ende sind. Oder zumindest, dass die türkische Regierung das denkt und ihre Nahost-Politik an der Prämisse amerikanischer Schwäche ausrichtet. Die USA wollten „testen“, wie sehr sie noch Großmacht sein können im Nahen Osten, schreibt Cemil Ertem, ein Berater von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Der Beitrag erschien in der englischsprachigen Online-Ausgabe der regierungstreuen Zeitung „Sabah“, war also für westliche Augen gedacht. Ertem formuliert süffisant: „Man sollte ihnen die Gelegenheit dazu geben“, auf die harte Weise zu erfahren, dass „die Welt nicht mehr die alte Welt ist“.

Die Rede ist von der Krise um den in der Türkei unter fragwürdigen Terrorvorwürfen inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson. Zwei Jahren war er in Haft. Die Trump-Regierung hatte hinter den Kulissen versucht, seine Freilassung zu erreichen.

Der Pastor kam am 25. Juli zwar aus dem Gefängnis, steht aber seither unter Hausarrest. Die USA drohten Sanktionen an und verfügten am Mittwoch, Vermögenswerte des türkischen Innen- sowie des Justizministers einzufrieren.

Ertem formuliert mehr oder minder die Sicht der Regierung – die Sicht Erdogans – in dieser Frage. Demzufolge geht es gar nicht um Brunson, sondern um Macht. Die USA seien jedoch offenbar zu dumm, um „zu verstehen, dass die Welt nicht mehr die bipolare Welt“ des Kalten Krieges ist, sondern eine multipolare Welt, in der sich die Kräfteverhältnisse ständig änderten.

Die Frage sei, wie lange die USA in dieser veränderten Welt ihre Vormachtstellung behalten können. Die Antwort ist Ertem zufolge: „nicht lange“. Und das Ende ihrer Dominanz werde für die USA umso schneller kommen, je mehr sie versuchten, Druck auf die Türkei auszuüben.

Ursprünglich hatten die Türken den Pastor wahrscheinlich einfach deshalb festgenommen, weil er Amerikaner ist – als eine Art Geisel, um Washington dazu zu bewegen, den in den USA lebenden Prediger und Erdogan-Feind Fethullah Gülen auszuliefern. Die Drohung des von den Sanktionen betroffenen Innenministern Süleyman Soylu am Donnerstag stützt diese These: Soylu erklärte, die Türkei werde Gülen aus den USA „holen“.

Tatsächlich spricht aber einiges dafür, dass es inzwischen tatsächlich auch um die Vormachtstellung im Nahen Osten geht. Trumps Drohungen und Sanktionen fielen zeitlich zusammen mit einem Besuch des US-Generals und Nato-Oberkommandeurs Curtis Scaparrotti in Ankara, um über Syrien zu sprechen. Dort verfolgen die Türkei und die USA vollkommen gegensätzliche Interessen.

Den einzig echten Rivalen sieht Erdogan im Iran

Die alleinige Vormachtstellung in Syrien und im Nahen Osten beansprucht die Türkei langfristig für sich. Es ist ein ehrgeiziger Anspruch in einer Region, in der Russland, der Iran, Israel und die USA zu dominieren versuchen. Ankara will sie langfristig alle übertrumpfen. Ob die Türkei das kann, hängt wesentlich davon ab, ob sie die Fähigkeiten und Absichten der anderen Akteure korrekt einschätzt.

Erdogans Ziel ist zugleich defensiv und offensiv. Defensiv in dem Sinne, dass er die Entstehung eines potenten Kurdenstaates auf dem Gebiet der gescheiterten Staaten Irak und Syrien verhindern will. Offensiv in dem Sinne, dass er nach alter Größe strebt: Die Türkei will in der Region, die einst das Osmanische Reich war, wieder so viel Einfluss haben wie nur irgend möglich. „Größtmögliche Macht und Einfluss in der Region“, so formulierte es Erdogans damaliger Außenminister Ahmet Davutoglu schon 2001.

Aus türkischer Sicht ist wahrscheinlich einzig der Iran ein ernst zu nehmender langfristiger Rivale um Hegemonie in Syrien und im Irak. Die USA sind – wie Ertem es ausführt – auf dem absteigenden Ast, weil ihr Anteil an der Weltwirtschaft zurückgeht, sie immer höher verschuldet sind und ihre Währung im Welthandel immer mehr an Bedeutung verliert.

Die Russen sind zwar präsent, aber wer weiß wie lange noch, etwa wenn Putin eines Tages nicht mehr an der Macht sein sollte. Moskau ist weit weg, Russland ist nicht reich, nur militärisch kann es Einfluss nehmen, und das ist teuer. Aber der Iran, das ist der ewige mächtige Nachbar, mit dem sich schon die Osmanen jahrhundertelang herumschlugen. Der Iran beherrscht heute informell den Irak, mit Ausnahme des nordirakischen Kurdengebiets. Der Iran gibt auch in Syrien den Ton an und im Libanon.

Den größten Interessensgegensatz gibt es aber zwischen der Türkei und den USA. Denn die USA bauen auf die Kurden, ihre einzigen verlässlichen Verbündeten in der Region, und die Türkei bekämpft sie. Die USA wollen eine starke kurdische Präsenz in Syrien, die Türkei möglichst gar keine oder nur ein kurdisches Vasallengebilde unter türkischer Kontrolle.

Die Türkei hat die Kurdenprovinz Afrin und angrenzende Gebiete in Nordsyrien erobert, in einer anderen Region, in Idlib, unterhält sie zwölf Militärstützpunkte. Dort sind Kämpfer zahlreicher Milizen, die – gestärkt von Ankara – gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad kämpfen. Mit russischer und iranischer Hilfe haben Assads Truppen jedoch den Rest Syriens zurückerobert, außer den Teilen im Nordosten, in denen die Amerikaner und Kurden stehen.

Assad hat angekündigt, jetzt das türkisch dominierte Idlib „befreien“ zu wollen, und die Türkei hat ihrerseits gedroht, ihre Offensive auf den von den Amerikanern und Kurden gehaltenen Teil Syriens ausweiten zu wollen. In Ankara geht man davon aus, dass Moskau und Teheran nichts dagegen hätten, wenn die USA in Syrien eine Niederlage erleiden.

Es ist ein Spiel mit hohem Risiko. Der nächste Schritt – ein syrischer Angriff auf Idlib oder ein türkischer Angriff auf die Kurdengebiete im Nordosten – kann verhängnisvoll werden für Ankaras machtpolitische Ambitionen. Zumal die Türken in Afrin in einer ähnlichen Lage sind wie die Amerikaner im Irak nach dem Sieg gegen Saddam Hussein im dritten Golfkrieg: Fast jeden Tag gibt es Anschläge gegen die Besatzer, jede Woche mehr Verluste.

Aber auch wirtschaftlich geht Erdogan mit seinem harten Kurs gegen die USA ein hohes Risiko ein. Obwohl die Strafmaßnahmen gegen die beiden türkischen Minister ökonomisch unbedeutend sind, brach die Landeswährung Lira ein – aus Angst vor weiteren US-Sanktionen.

Der Auswärtige Ausschuss des US-Senats hat bereits einen Gesetzentwurf verabschiedet, der es den US-Vertretern bei der Weltbank und bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung untersagen würde, weiteren Krediten an die Türkei zuzustimmen. Das wäre ein schwerer Schlag für die Türkei.

Es gilt also, sich nicht zu verrechnen. In diesem komplexen Kalkül wollen die Türken russische S-400-Luftabwehrraketen kaufen und die Russen ein Atomkraftwerk in der Türkei bauen lassen. Zugleich verspricht Ankara, islamische Extremisten aus Idlib zu entfernen, um keinen Vorwand für eine syrische Offensive zu liefern.

Die Russen unterstützen – vielleicht als Gegenleistung – vorerst keinen syrischen Angriff auf Idlib. Die Türken ihrerseits haben vorerst aufgehört, mit einer weiteren Offensive gegen kurdische Gebiete um die Stadt Manbidsch zu drohen

Es fühlt sich an wie die Stille vor dem Sturm. Nur eines ist sicher: Die Türkei fühlt sich stark genug, mit Geduld und langem Atem jede Schwäche der anderen Akteure zu nutzen, um den nächsten Vorstoß zu wagen in ihrem Drängen nach Macht und Einfluss in der Region. Erdogan sucht nach Zeichen amerikanischer Schwäche. Trump ist entschlossen, solche Zeichen nicht zu liefern.

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