We’re Losing the Fight For Our Mind

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Wir verlieren den Kampf um unsere Köpfe

Erst Kinder in Käfigen, dann Grönland: Donald Trump eskaliert immer weiter, bis die Menge der Monstrositäten nicht mehr zu bewältigen ist – und die mediale Mäßigung trägt zur Verwirrung bei.

Nein, dieser Trump, jetzt will er Grönland kaufen, was für ein Irrwitz. Sagt sogar ein Treffen mit der dänischen Premierministerin ab, weil sie noch nicht einmal verhandeln will. Unfassbar! Zweieinhalb Jahre ist der US-Präsident im Amt, und noch immer haben weder redaktionelle Medien noch die sozialmediale Öffentlichkeit ein Mittel gefunden gegen Trumps Strategie der ständigen Eskalation.

Wir fallen alle zusammen immer und immer wieder herein, die Politik, die Medien und Sie, das Publikum. Und ich auch. Dabei ist es eigentlich mein Job, die digitale Gegenwart zu verstehen, die Muster zu identifizieren und zu erklären. Trumps Gebaren zeigt, wie leicht manipulierbar die Öffentlichkeiten der liberalen Demokratien sind – und nicht nur durch ihn.

An mir selbst habe ich die Wirkung des Grönland-Stunts nachvollziehen können. Eigentlich war ich noch dabei, eine Trumpsche Ungeheuerlichkeit einzuordnen. In der letzten Woche hatte die Trump-Regierung vor Gericht verloren, weil sie ernsthaft behauptete, Flüchtlingskinder bräuchten keine Seife und kein sauberes Bett. Seife! Betten! Dann kam die Grönland-Episode, und meine Beklemmung und mein Entsetzen über die faschistische, rassistische, vollkommen unmenschliche Behandlung der Kinder wichen einem anderen Gefühl. Ich habe versucht, dieser Ersetzung hinterherzuspüren.

Das Spektakuläre sticht das Schlimme

Trumps Grönland-Aktion hat bei mir eine Irritation ausgelöst, die wiederum aus zwei wesentlichen Komponenten bestand: Einerseits wurde meine Einschätzung bestätigt, dass Trump eine schwere Störung zu haben scheint. Andererseits habe ich mich – ja, doch: durch die Abstrusität unterhalten gefühlt. Der für die Verarbeitung des Weltgeschehens zuständige Teil meines Gehirns war regelrecht erleichtert. Denn eine Ungeheuerlichkeit, die mich wütend, aber hilflos fühlen ließ, wurde durch eine leicht verarbeitbare Groteske ersetzt. Besser hätte es für Trump in meinem Kopf gar nicht laufen können.

Leider habe ich festgestellt, dass ich kaum mehr als eine Trump-Detonation gleichzeitig verarbeiten kann. Inzwischen erinnere ich mich spontan kaum mehr an die schlimmsten Trump-Taten. Zwei, drei bekomme ich vielleicht zusammen. Dabei weiß ich genau, dass ich seit Ende 2016 wenigstens drei Dutzend Mal dachte: Um Gottes Willen! Woran ich mich aber erinnere: Spektakularität.

Das Spektakuläre sticht das Schlimme. Keine neue Erkenntnis, dass Trump einen wahren Monstrositätenhagel niederprasseln lässt, in dem die einzelne Großmonstrosität in der Masse untergeht. Es handelt sich um eine erprobte, rechtsextreme Kommunikationsstrategie, weiter zu eskalieren, bis die schiere Menge der Monstrositäten unbewältigbar wird. Und trotzdem fällt es mir noch immer zu schwer, eine Priorisierung vorzunehmen.

Ist das eine katastrophale Lüge oder eine missverständliche Formulierung? Ist das eine menschenverachtende oder nur eine symbolisch schwierige Tat? Ist das eine Provokation, auf die ich hereinfallen und mich aufregen soll oder ein Schritt in die Barbarei?

Vorzeigebeispiel politischer Verdrängungs-PR

Leider geht es nicht nur mir selbst so. Ich sehe in redaktionellen Medien ähnliche Verwerfungen, in sozialen Medien ohnehin. Im ständigen Nachrichtenstrom einer hypervernetzten Welt ist extrem aufwendig, das Wichtige und das Interessante sinnvoll zu unterscheiden, Stahl ist ein Funbad. Grönland ist überall Gesprächsthema, ganz oben auf den Nachrichtenseiten, dabei ist es ein leicht erkennbares Vorzeigebeispiel politischer Verdrängungs-PR, eine neue Form des so genannten Agenda-Cutting. Unabhängig davon, ob Trump es ernst meint oder nicht und wirklich geistig gesund ist oder nicht.

Diese Ablenkungspropaganda wirkt hervorragend zusammen einerseits mit der hohen Bereitschaft Trumps zur Lüge und andererseits mit der noch immer vorhandenen, medialen Tendenz zur Mäßigung. Die bürgerliche Medienlandschaft hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Objektivierung und Mäßigung hoch gehalten. In der Tagesschau wurde nicht gesagt: “Eine Bombe zerfetzte und verstümmelte 30 Kinderkörper”, sondern: “Am Morgen kam es zur Explosion einer Autobombe vor einem Kindergarten. Die Behörden gehen derzeit von mehr als 20 Opfern aus.” Man kann über Vorzüge und Nachteile dieser medialen Mäßigung diskutieren – aber in der sozialmedial geprägten Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts driftet sie leicht in die Verharmlosung ab.

Unter Schock gerät die Frage nach dem Warum in den Hintergrund

Kleinkinder werden durch die Regierung Trump von ihren Eltern getrennt und unter monströsen Bedingungen in Käfige gesperrt. Die Planung dafür stammt von einem Mann namens Stephen Miller, der in vielen Medien (auch SPIEGEL ONLINE) Bezeichnungen bekommt wie “erzkonservativ”. In der Einleitung zu einem Artikel hieß es, Miller sei “ein knallharter Konservativer, für den offenbar nur das weiße Amerika zählt”. Rassist. Das schmerzlich fehlende Wort lautet: Rassist. Ein Beispiel, wie die nachrichtlichen Mäßigungs-Praktiken des 20. Jahrhunderts nachwirken und dabei merkwürdige bis problematische Blüten produzieren.

Im Effekt überlagern sich spektakuläre, aber egale Nachrichten mit monströsen, aber zurückhaltend ausformulierten Nachrichten. Und ich falle selbst darauf herein, immer wieder. Manchmal auch, weil ich darauf hereinfallen will: das Unbewältigbare abschütteln, indem es mit neuen Trump-Monstrositäten überlagert wird.

Das Dauerweltgeschehen, die ständigen Nachrichteneinschläge bewirken, dass der Kontext automatisch weniger wichtig wird. Die essenzielle, aber oft schwierig zu beantwortende Frage nach dem Warum gerät in den Hintergrund. Das führt zur Vereinzelung der nachrichtlichen Geschehnisse und zur Überforderung selbst für engagierte, sachkundige, digital versierte Beobachter.

In seinem Buch “Die große Gereiztheit” spricht der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen vom “einfachen Gesetz der Dekontextualisierung”. Er sieht einen “Schock der direkten Gegenwart, der totalen Präsenz des Ereignisses”. Man vergisst in diesem Schock offenbar allzu leicht, nach den Hintergründen zu fragen.

Über die Funktion der Öffentlichkeit

Allerdings ist es eben nicht nur Trump, der manipulativ redaktionelle wie soziale Medien hacken kann. Auch zwei amerikanische, demokratische Kongressabgeordnete bewiesen, dass sie sich darauf verstehen. Trump hatte von Israel gefordert, die beiden Demokratinnen nicht einreisen zu lassen. In der Tat verwehrte Israel ihnen die Einreise, weil Rashida Tlaib und Ilhan Omar den BDS unterstützen, eine aus meiner Sicht eindeutig antiisraelische, antisemitische Bewegung.

Man kann geteilter Meinung sein, wie strategisch clever dieser Schachzug der israelischen Regierung war. Aber die Entkontextualisierung hat in Verbindung mit einem antiisraelischen Bias vieler westlicher Medien dazu geführt, dass Tlaib und Omar das Einreiseverbot als außergewöhnliche Unfasslichkeit inszenieren konnten. Quer durch soziale und redaktionelle Medien.

Die EU hat zum Beispiel 2014 Einreise-Verbote gegen 150 Personenausgesprochen, darunter viele russische Duma-Abgeordnete. Im Februar 2019 sollte die Liste noch einmal erweitert werden. Das Nicht-Einreisenlassen von politischen Funktionsträgern ist vielleicht keine schöne, aber doch keine seltene Sanktionsmethode. Und doch implizierten Tlaib und Omar falsch, ihnen sei die Einreise wegen ihres muslimischen Glaubens verwehrt worden.

In gewisser Weise haben die beiden Demokratinnen Trump mit seinen eigenen Manipulationsmethoden geschlagen, wenn auch nur auf dem international recht leichtgängigen Feld des Israel-Bashings. Nur Narren können das für eine positive Entwicklung halten, auch ganz unabhängig von der Haltung zum Komplex Israel. Denn die Öffentlichkeiten in liberalen Demokratien müssen wichtige Funktionen erfüllen, als politischer Verhandlungsraum zwischen Wahlen ebenso wie als Korrektiv durch öffentliche, nachhaltige Empörung.

Der rechten Manipulation der Sorte Trump die (vermeintlich) linke Manipulation der Sorte Tlaib und Omar entgegenzusetzen, das ist wie Bekämpfung der Pest durch die absichtliche Infektion mit Cholera. Wir sind dabei, den Kampf um unsere Köpfe zu verlieren.

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