Who Owns the Internet?

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Wem gehört das Internet?

Von Michael Naumann

23.1.2010

Google kämpft gegen China, aber noch laufen (fast) alle Kabel in den USA zusammen. Michael Naumann kommentiert.

Die amerikanische Weltmacht Google hat einer anderen Weltmacht, der Volksrepublik China, und ihren polizeilichen Internetüberwachungsbehörden den moralisch-medialen Kampf angesagt: Sollten weitere Zensurmaßnahmen und Datenspionage die Suchmaschine google.cn behindern, so erklärte die Firma Mitte Januar, werde man die Seite schließen. Ihr elektronischer Marktanteil im Reich des chinesischen Wachstumsriesen beträgt freilich nur etwas mehr als 30 Prozent – wenig im Vergleich zu Baidu, der (parteitreuen) Suchmaschine. Google.cn-Nachrichten verweisen selbst auf staatliche Agenturmitteilungen. Deren Relevanz gleicht derjenigen der seligen Prawda . So hatten es die Google-Fürsten ursprünglich mit Pekings Führung vereinbart.

Vorausgegangen war der eher symbolischen Androhung eine Konferenz von Internetbetreibern im amerikanischen State Department. Hillary Clinton sprach von »ernsten Vorwürfen« gegen China, die man prüfen wolle. Dass Google die Freiheit des Internets zum globalen Bruch internationaler Urheber- und Nutzungsrechte nutzte, dürfte kein Thema gewesen sein – die juristische Bewertung dieses Sachverhalts liegt derweil in den Händen amerikanischer Gerichte. (Immerhin hat die kalifornische Aktiengesellschaft sich bei der chinesischen Regierung dafür entschuldigt, ohne weitere Genehmigungen digitale Kopien chinesischer Bücher en masse ins Netz gestellt zu haben.)

Doch hinter dem ungewöhnlichen Konflikt »Suchmaschine gegen Kommunistische Partei Chinas« verbirgt sich ein grundsätzliches Problem: Wem gehört eigentlich das Internet?

Wer hätte schon vor einem Jahrzehnt gefragt: Wem gehört eigentlich die Luft der Welt? Heute wissen wir zumindest eins: Sie ist gefährdet und mithin schützenswert als wichtigstes Eigentum des ganzen Planeten. Sie gehört keinem einzelnen Staat, sondern allem, was lebt auf dieser Welt. Wir wissen allerdings auch: Das Internet ist der Sauerstoff des globalen Welthandels. Und es gehört kraft seiner technischen Grundlagen immer noch mehrheitlich seinen Erfindern – den Amerikanern. Denn solange das kabelgebundene Internet angewiesen ist auf etwa 13 streng bewachte Zentralserver (root server), so lange ist das Medium politisch kontrollierbar wie jeder andere Kommunikationsknotenpunkt auch. Diese Server werden vom Pentagon, von der Nasa, aber auch von privaten, zumeist amerikanischen Firmen betrieben; sieben stehen in den Vereinigten Staaten, die anderen sechs verteilen sich auf den Rest der Welt.

Jede Nation verdankte die Vergabe ihrer dort gespeicherten Internetdomäne (wie zum Beispiel »de« für Deutschland oder »cn« für China) dem kalifornischen Informatik-Professor Jon Postel, einem Althippie mit Pferdeschwanz. Er konnte im Auftrag des Pentagons bis 1998 walten, wie er wollte. Dann erlag er einem Herzinfarkt, angeblich als Folge seiner Entmachtung. Denn seitdem entscheidet eine privatrechtliche, internationale Organisation (ICANN) über die Vergabe und technische Administration der internationalen Domänen. Sie gehorcht allerdings amerikanischem Recht. Anders gesagt: Das scheinbar übernationale Gebilde »Internet« unterliegt einer Art Monroedoktrin. Einen prinzipiellen Eingriff in seine technischen Systemgrundlagen wird Washington ebenso wenig dulden wie die Platzierung von Atomwaffen auf Kuba.

Im amerikanischen Kongress kursieren seit einigen Monaten Gesetzentwürfe, die, einmal verabschiedet, Barack Obama das Recht gäben, mit einer »nationalen Antwort« auf gravierende Hacker-Bedrohungen aus dem sogenannten Cyberspace zu reagieren. Es bedarf keiner Fantasie, sich vorzustellen, dass derlei Bedrohungen nicht nur militärischer oder terroristischer Natur sein müssen.

Als im Herbst 2008 die internationale Finanzwelt an einem einzigen Wochenende wie ein Schneeball im Sommer zu schmelzen drohte, wäre eine globale Internetschließung aller Banken, Börsen und Kreditkartenserver theoretisch möglich gewesen: Die Welt hätte ihren Handel vorübergehend eingestellt.

Die technischen Voraussetzungen für eine weltweit wirksame Internetblockade sind vorhanden; denn die wichtigsten Zugänge zum Internet liegen dort, wo es erfunden wurde. Freilich gliche eine solche Maßnahme dem Einschlag eines gewaltigen Kometen. Die Welt, und mit ihr Amerika, würde, bis auf wenige Internet-Inseln, buchstäblich verstummen. Und weil das so ist, herrscht in der Welt des Internets eine ähnliche Logik vor wie im Zeitalter der nuklearen Abschreckung: Wer als Erster den Sauerstoff des Internets abdreht, erstickt als Zweiter. Aber vorher würde sich Hollywood der Sache annehmen.

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