Ein Präsident in Zeitnot
von Christoph von Marschall
17.05.2013
Um Barack Obama türmen sich immer mehr Skandale auf, es droht ein Machtvakuum. Hat er aus den Erfahrungen seiner bisherigen Amtszeit gelernt?
Ist Barack Obama am Ende, nur vier Monate nach Beginn der zweiten Amtszeit? Es wäre eine Albtraum für Amerika und seine Verbündeten, wenn die Supermacht in Lähmung verfiele, bis in drei Jahren und acht Monaten ein neuer Präsident antritt. In Syrien, im Iran, in Israel, Palästina und Korea hängen Krieg und Frieden, Leben oder Tod davon ab.
Auch innenpolitisch stehen die USA am Scheideweg: Kann Obama seinen ohnehin eher langsamen Reformkurs fortsetzen, samt Sanierung der Staatsfinanzen und Abbau der Verschuldung? Oder versinkt das Land in parteipolitischer Blockade? Der Schatten hängt ebenso über seinem Berlinbesuch: Kommt da ein Strahlemann oder eine lahme Ente?
Die Vorwürfe, die ihn bedrohen, sind kompliziert – so kompliziert, dass es selbst vielen Amerikanern schwerfällt, sich ein Urteil zu bilden.
Es ist noch nicht ausgemacht, wer die Schurken und wer die Opfer sind. Hat Obamas Regierung den Tod von vier US-Diplomaten in Bengasi zu verantworten oder konstruieren die Republikaner einen Skandal? Steckte das Weiße Haus hinter der Praxis der Steueraufsicht, konservative Gruppen besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen, wenn sie Steuerbefreiung als politische Organisationen beantragten? Und war der Zugriff auf Telefondaten von Journalisten ein Angriff auf die Pressefreiheit oder ein zulässiges Mittel bei der Aufklärung von Geheimnisverrat?
Haben die Vorwürfe gegen Obama Substanz?
Das Vertrackte für Obama: Es kommt derzeit kaum darauf an, ob die Vorwürfe Substanz haben. Es dauert Wochen, die Details aufzuklären. Die Zeit gibt ihm niemand. Am aktuellen äußeren Eindruck entscheidet sich, ob man ihn als Antreiber oder Getriebenen wahrnimmt. Ähnliches gilt für die Außenpolitik, etwa in Syrien. Es klingt vernünftig, Beweise für einen angeblichen Chemiewaffeneinsatz abzuwarten, ehe er, wie für diesen Fall angedroht, militärisch reagiert. Aber auch dafür fehlt die Zeit. Er wirkt schwach, wenn er scheinbar passiv zusieht, während das Morden weitergeht und Bilder kursieren, wie Kämpfer ihren Gegnern Organe aus dem Leib reißen.
Obama muss durchgreifen, um die Dynamik zu ändern. Er entlässt den Leiter der Steuerabteilung. Er verspricht ein neues Gesetz zum Schutz journalistischer Quellen. Er verschärft die Rhetorik in Sachen Syrien. Das ist im Übrigen die größte Versuchung eines Präsidenten in solchen Lagen: das Militär loszuschicken, um die Aura von Stärke zurückzuerlangen.
IRS-Skandal setzt Obama weiter unter Druck
Vor wenigen Wochen noch lobten US-Medien Obamas Stärke. Im Streit um Budget, Steuern und Schulden hat er sich gegen die Republikaner durchgesetzt. Er zwingt ihnen auch die Einwanderungsreform auf. Nun sehen sie ihn im freien Fall. Theoretisch kann sich die Wahrnehmung ebenso rasch wieder zu seinen Gunsten drehen, sofern er richtig reagiert.
Da ist jedoch das warnende Beispiel vom Frühsommer 2010. Obama hatte vieles erreicht: Gesundheits- und Finanzreform, Abrüstungsvertrag mit Russland. Dann zwang ihn eine Mobilisierungskampagne der Tea Party in die Defensive. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis er wieder dominierte. Hat er daraus gelernt? Ein ähnlich langes Machtvakuum könnte jetzt erschreckende Folgen haben.
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