GEISTESZUSTAND DES PRÄSIDENTEN : Ist Donald Trump verrückt?
• VON FRAUKE STEFFENS , NEW YORK
Etliche Psychiater in den Vereinigten Staaten machen sich Sorgen um den Geisteszustand von Präsident Donald Trump. Dessen Verhalten ist zwar grenzwertig. Doch spiegelt es vor allem die Gesellschaft wider, die ihn an die Macht befördert hat.
„Uns geht es gut, aber dem Land nicht,“ sagte NBC-Moderator Joe Scarborough, als er und seine Partnerin Mika Brzesinski im vergangenen Juni Opfer von Donald Trumps Wut wurden. Amerikas Präsident hatte Scarborough als „Psycho-Joe“ beschimpft und über ein Treffen mit ihm und Brzesinski gesagt: „Sie blutete stark von einem Face-Lifting“. Die Empörung war groß – der Moderator deutete an, was viele Amerikaner dachten: War der Präsident verrückt geworden?
Die Attacke auf die beiden Journalisten ist in der Rückschau beinahe eines der harmloseren Beispiele für Trumps impulsive und verletzende Art, auf vermeintliche Feinde zu reagieren. Zwischen dem Vorfall und dem anstehenden einjährigen Jahrestag seiner Präsidentschaft liegen Verteidigungsversuche für marschierende Neonazis in Charlottesville, zahllose persönliche Attacken auf Gegner und die impulsiven Drohungen gegen Nordkorea. Vielen Amerikanern, die Trump nicht gewählt haben, macht seine Unberechenbarkeit schlicht und einfach Angst – und es ist kein Wunder, dass immer wieder über seinen Geisteszustand spekuliert wird.
Anhaltspunkte für psychische Probleme
„Der gefährliche Fall des Donald Trump“ heißt eine neue Aufsatzsammlung, in der sich 27 Psychiater und Psychologen der Frage nähern, ob Trump möglicherweise eine Persönlichkeitsstörung hat. Dass ein solches Buch nicht lange auf sich warten lassen würde, war klar: Zu viel Munition liefert Trump tagtäglich denjenigen, die ihn für „verrückt“, psychisch instabil oder geisteskrank halten.
Die Autoren finden in seinem sprunghaftem Verhalten, dem dauernden Selbstlob, den gut dokumentierten Lügen und Trumps Umgang mit Kritikern Anhaltspunkte für psychische Probleme, zum Beispiel für Soziopathie und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Judith Lewis Herman von der Harvard Medical School und Bandy X. Lee aus Yale sind die Herausgeber – im Vorwort schreiben sie, sie wollten das Land davor warnen, „dass jemand, der mental so instabil ist wie Donald Trump, nicht mit der über Leben und Tod entscheidenden Macht der Präsidentschaft ausgestattet sein sollte“.
Ferndiagnosen sind schnell getroffen, und sie sind umstritten. Die „Goldwater-Regel“ besagt nicht umsonst, dass die Mitglieder der „American Psychiatry Association“ Personen des öffentlichen Lebens nicht ohne eingehende persönliche Untersuchung diagnostizieren sollen. Diese ethische Selbstbeschränkung hat ihren Grund, da die Bezeichnung als psychisch krank aus dem Mund einer medizinischen Autorität schnell zur politischen Waffe werden kann. So weisen Kritiker von Lees und Hermans Buch darauf hin, dass die darin schreibenden Mediziner meist den Demokraten nahe stünden.
Trotzdem glauben viele aus der Zunft, dass es ihre Pflicht ist, auf problematische Verhaltensweisen des Präsidenten hinzuweisen. Fast 800 Menschen, die im psychologischen und psychiatrischen Bereich tätig sind, erklärten vor kurzem in einem Aufruf, dass sie sich Sorgen um Trumps geistige Gesundheit machten und es ihre Pflicht sei, die Öffentlichkeit zu warnen.
An Politikern, die Trump für gestört erklären, fehlt es ebenfalls nicht. „Ich glaube, er ist verrückt“, sagte der demokratische Senator aus Rhode Island, Jack Reed, im Juli zu seiner republikanischen Kollegin Susan Collins aus Maine. Die antwortete, sie mache sich ebenfalls Sorgen – das Gespräch wurde zufällig mitgeschnitten und landete in der Öffentlichkeit. Senator Bob Corker, Trump-Kritiker aus Tennessee, sagte kürzlich, der Präsident habe bislang nicht die Kompetenz und Stabilität gezeigt, die man in diesem Amt brauche.
Absetzung wegen Geisteskrankheit ist möglich
Tatsächlich gibt es die Möglichkeit, einen Präsidenten abzusetzen, der psychisch nicht mehr geeignet für das Amt ist. Der 25. Verfassungszusatz autorisiert den Vizepräsidenten und die Mitglieder des Kabinetts, in einem solchen Fall gemeinsam mit dem Kongress zu handeln. Theoretisch können sie den Präsidenten auch nur zeitweilig von seinen Pflichten entbinden. Das 25. Amendment wurde 1967 verabschiedet, als Konsequenz aus dem Mord an John F. Kennedy vier Jahre zuvor. Es war dazu gedacht, eine reibungslose Absetzung zu ermöglichen, falls der Präsident unfähig ist, sein Amt wahrzunehmen. Der Weg dahin kann zum Beispiel über eine medizinische Expertenkommission führen, die vom Kongress berufen wird. Die Amtsenthebung auf der Basis dieses Verfassungszusatzes ist kein klassisches Impeachment-Verfahren – das basiert auf einer politischen Entscheidung und wird im Kongress durchgeführt.
Doch für beide Verfahren sind die Hürden hoch. Die Amtsenthebung aus Gründen der mangelnden psychischen Eignung würde einen medizinischen Nachweis voraussetzen. Einzelmeinungen, dass Donald Trump eine Persönlichkeitsstörung habe oder „verrückt“ handele, reichen dafür nicht. In einem politischen Impeachment-Verfahren wiederum würde es eher um die Amtsführung gehen – und das unabhängig von Trumps Gesundheitszustand. Ein möglicher Grund wäre ethisches Fehlverhalten im Amt, wie es etwa Bill Clinton vorgeworfen wurde.
Eine Persönlichkeitsstörung oder psychische Krankheit führt zudem nicht automatisch dazu, dass jemand nicht Präsident sein kann, geben Kritiker zu Bedenken. Einer Studie der Duke Universität zufolge sollen etwa die Hälfte der 37 ersten amerikanischen Präsidenten Anzeichen einer solchen Störung gezeigt haben. Die Mediziner glauben etwa, bei Abraham Lincoln und Thomas Jefferson posthum Symptome von Depressionen und Angststörungen feststellen zu können.
Gut angepasste Narzissten
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass bestimmte Persönlichkeitsstörungen die Eignung eines Menschen für sein Amt beeinträchtigen. Donald Trump zeigt aus der Sicht vieler Beobachter Züge eines Narzissten, vielleicht einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Experten für diese Störung weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass Menschen mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur oft exzellent in unser leistungs- und anerkennungsorientiertes System passen und darin sehr erfolgreich agieren. Der Mangel an Empathie, die Überbetonung der eigenen Wichtigkeit, Lügen zum eigenen Vorteil und ein verzerrtes Verhältnis zur Realität – all diese Verhaltensweisen kann man Donald Trump zuschreiben, allerdings eben nicht nur ihm, sondern vielen erfolgreichen Führern von Unternehmen, Organisationen und Staaten.
Der Psychiater Allen Frances etwa argumentiert, dass nicht Trump verrückt sei, sondern die Gesellschaft, die ihn hervorgebracht hat: „Trump verrückt zu nennen, erlaubt uns, uns nicht mit der Verrücktheit unserer eigenen Gesellschaft befassen zu müssen“, schreibt Frances in seinem neuen Buch „Twilight of American Sanity“ (etwa: „Das Zwielicht amerikanischer Normalität/Gesundheit“). Die Argumentation hat einiges für sich: Rassismus ist in dem Sinne „krank“. Die ethische Leere der republikanischen Partei, die einen bekennenden Sexisten an die Macht gebracht hat und in der viele die bloße Tatsache eines schwarzen Präsidenten rächen wollten, kann man als „krank“ bezeichnen. Ein System, das sich Hunderttausende obdachlose Kinder und drogenabhängige Bürger leistet und das Schwarze überproportional häufig für die kleinsten Vergehen einsperrt, ist nicht „gesund“. Das schließt nicht aus, dass der Präsident eine Persönlichkeitsstörung haben könnte – es lenkt aber den Blick weg von den Ferndiagnosen auf individueller Ebene.
Donald Trump ist aufgrund einer Entscheidung der republikanischen Partei und vieler Wähler an die Macht gekommen. Dass man ihn mittels medizinischer Diagnosen loswerden könnte, ist nicht nur sehr unwahrscheinlich, es ist aus Sicht vieler seiner Gegner auch gar nicht wünschenswert. Statt über den Geisteszustand des Präsidenten zu spekulieren, wollen viele ihn lieber politisch besiegen – und wenn es die gesamte Amtszeit dauert. „Man würde der Demokratie und der medizinischen Zunft einen Bärendienst erweisen, wenn man eine politische Entscheidung auf dieser Ebene jemals als medizinisches Urteil ausgibt“, schrieben die Psychiater Peter D. Kramer und Sally L. Satel vor kurzem in der Zeitung „New York Times“. Und sie fragten: „Haben die Leute etwa nicht das Recht, einen ausgesprochenen Narzissten zu ihrem Präsidenten zu wählen?“
Trumps wohl dokumentierte Lügen, seine herabwürdigenden Aggressionen gegenüber Kritikern, sein offensichtlicher Sexismus und Rassismus, all das ist für viele seiner Anhänger in Ordnung, weil sie selbst so denken. Und es gilt einigen als Teil von Trumps Mission, das Establishment in Washington aufzumischen. Die Republikaner in der Regierung und im Kongress entschuldigen Trumps Verhalten unterdessen mal als impulsiv, mal als unerfahren und versuchen vor allem, ihre eigenen Ziele mit diesem Präsidenten durchzusetzen. Solange sie glauben, dass ihnen das gelingen kann, wird es auch keinen ernsthaften Versuch eines Amtsenthebungsverfahrens geben – sei es eine Prozedur nach dem 25. Verfassungszusatz oder ein Impeachment-Verfahren aus anderen Gründen. So lange die Republikaner es wollen, wird Trump also ihr Präsident bleiben – dass die Demokraten ihn allein des Amtes entheben könnten, ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress fast ebenso unwahrscheinlich.
Es mag wichtig sein, auf problematische Persönlichkeitsanteile des Präsidenten hinzuweisen – seine Gegner müssen sich aber in erster Linie mit Trumps aus ihrer Sicht problematischen politischen Entscheidungen auseinandersetzen. Eine vorzeitige Amtsenthebung ist dabei eher eine ablenkende Phantasie.
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