An Obama for Germany

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In Berlin regieren Funktionäre und Langeweile. Begeisternde Persönlichkeiten würden beide leicht besiegen.

Was haben Barack Obama und Guido Westerwelle gemeinsam? Beide sind Jahrgang 1961 – und ihre Auftritte der vergangenen Tage kann man jeweils bei Youtube abrufen. Leider enden hier die Gemeinsamkeiten. Der US-Präsidentschaftskandidat Obama sammelt gerade eine Volksbewegung in den USA, begeistert die Jugend, bringt Leidenschaft in die Politik eines Landes zurück, das sich deprimiert von seinen Volksvertretern abgewandt hatte. Obamas Rhetorik reißt mit, Westerwelles immergleiche Sprüche langweilen. Obwohl für einen Spitzenpolitiker immer noch relativ jung, ist der FDP-Chef doch ein uralter Bekannter in der deutschen Politik. Als Chef der Jungen Liberalen stand er schon Mitte der 80er-Jahre und damit vor Kurt Beck, Frank-Walter Steinmeier, Angela Merkel oder Christian Wulff auf der bundespolitischen Bühne. Nur Oskar Lafontaine ist noch länger als Westerwelle eine Fernsehfigur.

Was Westerwelle fehlt, ist Ausstrahlung, man kann auch von Charisma sprechen. Obamas Aufstieg fasziniert auch hierzulande deshalb viele Menschen, weil diese Kombination aus physischer und geistiger Präsenz den derzeit aktiven deutschen Politikern fast komplett abgeht. Die Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Helmut Kohl haben ihre große Zeit hinter sich, aber ein gewisses Charisma kann man ihnen nicht absprechen. Schröder war noch einer, der für jedermann sichtbar kämpfte – nicht nur hinter den Kulissen, wie die amtierende Politikergeneration. Und ein großer Polarisierer wie der 1988 gestorbene CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat auf der Bühne öffentlich geschwitzt wie ein Stahlarbeiter.

Kühle Manager der Macht

Es geht hier nicht um Nostalgie. Wir haben uns die Politiker gewählt, die wir gern wollen: Managerinnen und Manager der Macht, die nicht allzu aufgeregt agieren. Für das Bohren der dicken Bretter, von denen Max Weber mit Blick auf die Politik sprach, haben sie das richtige Augenmaß. Weber sprach aber auch von Leidenschaft. Angela Merkel und Kurt Beck betreiben mit ganzer Kraft und Leidenschaft Politik. Aber sie vermitteln nichts von dieser Leidenschaft.

Die Deutschen haben sich Politiker gewählt, die sie offenkundig langweilen. Deswegen sind wir hin- und hergerissen von Figuren wie dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, deshalb die Sehnsucht nach “unbefleckten” Idolen wie dem Dalai Lama oder dem Papst. Uns ist die solide Merkel zwar lieber als Blender wie Sarkozy oder Silvio Berlusconi. Aber mit den umstrittenen Figuren schwindet zugleich das Interesse an Politik insgesamt.

Es gibt in Deutschland ein großes politisches Vakuum. Das Interesse an Politik ist in Zeiten der Großen Koalition gering wie lang nicht. Vielen ist einfach egal, wer sich da gerade über was streitet. Die “Spiegel”-Nummer, die Merkel auf dem Titel zeigte, hat sich von allen Ausgaben 2007 am schlechtesten verkauft. Und selbst wenn es spannend ist wie in Hessen, geht ein Drittel der Wahlberechtigten nicht zur Wahl. Bezieht man die Wähler von FDP und Linken ein, die zum großen Teil gar nicht wollen, dass sich ihre Parteien um Koalitionen und damit um Macht bemühen, nähert sich der Anteil der Bürger, die von Politik als ewiger Suche nach Kompromissen wenig halten, der 50-Prozent-Marke.

Die Entfremdung zwischen der Berliner politischen Welt und den Bürgern nimmt zu. Das hat sich zuletzt an der Schulpolitik gezeigt: Erst nachdem der Ärger über die an den Bedürfnissen von Schülern und Eltern vorbei gekürzte Gymnasialzeit fast den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch gestürzt hatte, kam das Thema in der Bundespolitik und in den Talkshows an. Im Berliner Raumschiff merkt man oft erst spät, was die Menschen beschäftigt.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat vergangene Woche erfragt, welche Koalition sich die Deutschen wünschen. Für keine denkbare Koalition gab es auch nur eine relative Mehrheit. Ein Bündnis von Union und FDP hatte mit 36 Prozent noch die meisten Befürworter, aber ebenso viele Gegner. Alle anderen Kombinationen einschließlich der Großen Koalition hatten mehr Gegner als Anhänger, am unbeliebtesten mit nur 18 Prozent Befürwortern und 65 Prozent Gegnern wäre eine rot-rot-grüne Konstellation. Das Ergebnis ist auch für die Politiker deprimierend: Es gibt weder eine vorherrschende politische Strömung noch klare Lager. Damit verschwinden jahrzehntealte Gewissheiten etwa darüber, wie man Wahlkämpfe organisiert.

Mangel an Orientierung

Es gibt zwar eine Stimmung für mehr Sozialstaat, aber es gibt keinen Linksruck im Sinne einer Strömung, die zielsicher zu einer Linkskoalition führt. Ebenso wenig gibt es eine Strömung in Richtung einer bürgerlichen Mehrheit. Es gibt also eine doppelte Lücke, in die ein deutscher Obama stoßen könnte – einen Mangel an faszinierenden Persönlichkeiten und einen Mangel an politischer Orientierung.

Darf man sich eine solche politische Figur überhaupt wünschen? Könnte es nicht sein, dass ein jugendlich wirkender Typ von ganz weit rechts auftaucht und der deutschen Politik mit Nationalpopulismus mehr schadet als nutzt? Diese Gefahr besteht theoretisch seit Langem, aber die Rechtsextremen haben bisher nie ein vorzeigbares Gesicht gefunden.

Obama jedenfalls steigt über die Mitte auf. Auch wenn die politischen Systeme völlig anders sind und die US-Vorwahlen spektakuläre Aufstiege begünstigen: Ein schneller Aufstieg starker Persönlichkeiten ist auch bei uns möglich. Obama kommt ja nicht aus dem Nichts, er hatte erst eine lokale Basis in Chicago und ist in einem großen Bundesstaat politisch verankert.

Eine Persönlichkeit, die es schafft, Menschen zu begeistern und gute Berater um sich zu sammeln, könnte in jeder deutschen Partei binnen wenigen Jahren einen Landesvorsitz erstreiten und einen Platz auf der Bundesbühne einnehmen. Wer sich selbst und andere begeistern kann, eine gefestigte Persönlichkeit mit Überzeugungen ist und kein PR-Produkt, kann die graue Diktatur der Funktionäre leicht knacken.

Der Job eines Barack Obama ist zu besetzen. Das deutsche Volk nimmt Bewerbungen dankbar entgegen.

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