Power Chessboard Lebanon

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Mächteschachbrett Libanon

Von Michael Thumann

US-Präsident Bush bereist den Nahen Osten, um Frieden zu stiften – in einem Augenblick, in dem der Westen im Libanon eine neue Niederlage einstecken musste.

War er nicht gerade vor vier Monaten dort? George Bush bereist wieder den Mittleren Osten. Dies ist zweifelsohne die Lieblingsregion des US-Präsidenten auf dem krisenreichen Globus. Den Mittleren Osten hat er mit seiner ganzen Aufmerksamkeit und drei verheerenden militärischen Experimenten beglückt, in Afghanistan, im Irak und mit der Unterstützung des israelischen Sommerkriegs gegen den Libanon 2006. Von Frieden war nicht viel die Rede. Nun, ganz am Ende seiner Amtszeit, möchte George Bush endlich Frieden zwischen Palästinensern und Israelis stiften. Doch ist die Zeit dafür günstig? Dieser Versuch kommt in einem Augenblick, in dem der Westen und prowestliche Kräfte unter den Arabern gerade wieder eine neue schmerzhafte Niederlage einstecken müssen. Die Rede ist vom Mächteschachbrett Libanon.

Hier dreht sich die Geschichte. Vor nur drei Jahren feierte das Land sich selbst in der Zedernrevolution, es blühte in seinen vielen Farben auf, als die syrischen Truppen endlich das Land verließen. Syriens Niederlage war der friedliche Sieg der selbstbewussten Libanesen. Und der Westen und die meisten Araber freuten sich mit. Doch jetzt: Beirut verkehrt. Die Welt schaut zu, wie die radikale schiitische Hisbollah eben diese selbstbewussten Libanesen mit Flinten vor sich hertreibt. Ein langbärtiger Mann mit schwarzem Turban führt das große Wort. Hisbollah, die mit Syrien und Iran verbündete „Partei Gottes“, triumphiert.

Ist dieser Libanon noch die Hoffnung der arabischen Welt und des Westens? Oder eher Sinnbild für eine neue bedrohliche Epoche? Die Bedeutung des Landes liegt in seiner doppelten Vorzeigerolle. Der Libanon ist erstens eine Arena für allerlei Experimente in Demokratie und unbeschwert freier Rede. Zweitens führen hier die großen Mächte der Region und der Welt ihre Stellvertreterkonflikte. Siehe Irans Aufrüstung der Hisbollah, siehe auch den von Amerika unterstützten Sommerkrieg der Israelis 2006. Wo steht das Schlüsselland jetzt nach dem Hisbollah-Aufstand?

Freiheit und Demokratisierung im Libanon hatten von je her ein helles und ein dunkles Gesicht. Die freundliche Seite zeigten die vibrierenden Meinungsspalten der freien Zeitungen, die vielen Sprachen auf Beiruts Straßen, die Kirchen, Moscheen und Tempel auf engstem Raum, die unverblümten Talkshows und unverhüllt offenen politischen Sendungen im Fernsehen. In Beirut schlägt das Herz des liberalen Arabiens.

Das dunkle Gesicht ist dasselbe wie das helle, nur aus anderer Perspektive. Gerade weil das Land so vielfältig ist, weil seine religiösen Fraktionen zwischen 1975 und 1990 einen tragischen Bürgerkrieg geführt haben, heißt es seither: Rücksicht nehmen. Das bedeutete, das Mehrheitsprinzip der Demokratie einzuschränken. So gehorchte der Libanon seit 1990 wieder einem sorgsam ausgetüftelten Überlebenskompromiss, nach dem weder Christen noch Drusen, weder muslimische Sunniten noch Schiiten die Mehrheit haben durften. Die wichtigsten politischen Ämter des Landes waren schon vor der Wahl fest verteilt. Jede Fraktion sollte sicher sein, dass keine andere die Alleinherrschaft übernehmen kann.

Diesen Kompromiss hat Hisbollah nun zerschossen. Es reichte ihr nicht, als einzige Partei eine Miliz in Armeestärke zu haben. Sie will Staat im Staate sein, um am Ende den ganzen Libanon zu kontrollieren. Deshalb folgte auf den Versuch des prowestlichen Kabinetts, das illegale und undurchsichtige Telekom-Netzwerk der Partei zu schließen, der Hisbollah-Angriff gegen die Regierung und ihre Anhänger. Jetzt zeigte sich, wie unklug die dringende Empfehlung aus Washington war, die Hisbollah-Telefondrähte zu kappen, ohne die nötigen militärischen Mittel zu haben.

Die Schiitenmiliz – Verbündeter, aber nicht Befehlsempfänger Irans – schlug die Regierungsanhänger in offener Feldschlacht und übergab das gewonnene Territorium an die schwache libanesische Armee. Die darf nun den Schiedsrichter von Hisbollahs Gnaden mimen. Die Regierung widerrief offiziell ihre Absicht, das Telekomnetzwerk abzubauen. Egal, welcher Christ oder Sunnit von nun an Präsident oder Premier ist, die wirkliche Macht hat der Schiitenscheich Nasrallah.

Das hat nun ein weltpolitisches Nachbeben ebenso wie die Ereignisse von 2005. Damals, als Syrien sich aus dem Libanon zurückziehen musste, wendete sich der Lauf der Ereignisse gegen Damaskus und Teheran. Heute aber sind sie obenauf, und die launische Nemesis straft mit der prowestlichen Regierung in Beirut die großen arabischen Staaten Ägypten und Saudi-Arabien, die Amerikaner und die Europäer ab. Da mögen der mächtige US-Zerstörer USS Cole und die auf ihrem Niveau bis an die Zähne bewaffnete Bundesmarine vorm Libanon kreuzen. Sie können nur hilflos zusehen, wie sich die Kräfteverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten umkehren.

Diese historische Verschiebung begann im Jahr 2006. Damals war der iranische Präsident Ahmadineschad ein halbes Jahr im Amt und gelobte Israels Zerstörung. Anfang 2006 gewann die radikalislamische Hamas in Palästina die Wahlen und ergriff später in Gaza allein die Macht. Gegen die westliche Isolation sprang Ahmadineschad der Hamas als Helfer bei. Im Sommer griffen die Israelis Hisbollah an und erlebten ein Debakel. Ihre Armee blieb im Südlibanon stecken, während Hisbollah weiter Raketen iranischer Machart auf Israels Kernland schickte. Scheich Nasrallah wurde zur umtanzten Kultfigur der arabischen Straße. Der stärkste Staat im Nahen Osten hatte den Todfeinden seine wunden Stellen gezeigt.

Nebenan im Irak führten die Amerikaner vor, wie die größte Militärmacht der Welt sich selbst besiegen kann: indem sie in ein fremdes Land marschiert. Seither sind Invasionsdrohungen hohl. Und deshalb glaubt im Libanon niemand im Ernst daran, dass der US-Zerstörer vor der Küste irgendetwas auf dem Festland ausrichten könnte.

Gibt der Libanon also noch eine Hoffnung her? Man sollte dieses bunte offene Land mit seiner schönen Hauptstadt nie verloren geben. Die Libanesen sind kein Volk, das sich einer islamistischen Ideologie unterwerfen würde. Aber die jüngste Niederlage der prowestlichen Kräfte im Land schickt zwei unheimliche Botschaften in die Welt. Erstens: Es hilft der Regierung in Beirut nichts, dass sie die “volle Unterstützung” der einzigen Supermacht der Erde hat. Denn die hat sich vorerst selbst lahmgelegt.

Zweitens: Iran wird stärker. Wo immer in Nahmittelost ein Konflikt brodelt, wo Krieg, Elend und Ungerechtigkeit herrschen, dort dehnt dieses von religiösen Fanatikern beherrschte Land seine Macht aus. Genau dort, wo Amerika und Israel in den vergangenen Jahren Bomben abgeworfen haben, geht die Saat Teherans auf: im Irak, in Libanon, im Gaza-Streifen. Die schiitische Vormacht gewinnt Verbündete und Anhänger, über nationale und religiöse Grenzen hinweg. Das engt den Spielraum für pragmatische arabische Regierungen und westliche Vermittler stark ein. Es ist unwahrscheinlich, dass Bush in Jerusalem und Ramallah einen historischen Frieden vermittelt, während Gaza brodelt und der Libanon kippt. Am Ende sind diese Orte doch nur wenige hundert Kilometer voneinander entfernt und Teil eines großen Problems.

Wenn US-Präsident Bush diese Woche den Nahen Osten besucht, wird er das Gefühl haben, als säße ihm überall Mahmud Ahmadineschad im Nacken. Es ist schlimmer: Der Iraner ist ihm stets einen Schritt voraus.

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