The Black Hole of the Global Economy

<--

Kommentar

Das schwarze Loch der Weltwirtschaft

Explodierende Öl- und Gaspreise, ein beschleunigter Klimawandel, drohende Hungerkatastrophen – all das hat

dieselbe Ursache: Die Energieversorgung der wachsenden Weltbevölkerung stößt an Grenzen. Schlimmer noch: Strategien zum Umsteuern existieren nicht einmal im Ansatz.

Wäre die Weltwirtschaft angeklagt in einem Indizienprozess wegen schwerer und fahrlässiger Körperverletzung, dann sähe es für die Angeklagte derzeit nicht gut aus. In den Schwellen- und Entwicklungsländern können Hunderte Millionen Menschen kaum noch ihre Grundnahrungsmittel bezahlen, weil die Preise für Reis, Weizen, Mais und Soja in den vergangenen Jahren explodiert sind. In Washington stellt ein Institut der US-Regierung fest, dass der Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in diesem Jahrzehnt weit schneller gestiegen ist als bislang vermutet. Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris warnt vor weiter anziehenden Ölpreisen und mahnt, dringend Alternativen zu entwickeln, um den heutzutage wichtigsten Energieträger zu ersetzen.

Die Weltwirtschaft ist allerdings nicht angeklagt – allein schon deshalb nicht, weil es eine “Weltwirtschaft” im Hinblick auf den Konsum von Energieressourcen und Rohstoffen nicht gibt. Zwar existiert ein globaler Markt, der heute für alle Akteure mehr oder minder frei zugänglich ist. Es gibt aber keinerlei gemeinsame Basis oder Strategie der Staaten dafür, diesen Markt langfristig zu erhalten und ihn zum Nutzen möglichst

vieler Menschen weiterzuentwickeln, anstatt ihn durch ökonomische und ökologische Exzesse absehbar zu schwächen. Die wichtigste Gemeinsamkeit, die alle Akteure dieses Marktes verbindet, ist der Drang nach kurzfristig profitablem Wachstum.

Ziele von Reich und Arm unvereinbar

Die reichen Industriestaaten des Westens sowie Japan trachten danach, rund 200 Jahre nach Beginn der industriellen Revolution ihren Reichtum und den enormen Lebensstandard ihrer Bevölkerungen mindestens zu erhalten, ihn möglichst auszubauen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wiederum sind heute eng untereinander wie auch mit den westlichen Märkten verbunden; mit viel Elan versuchen sie, zum

volkswirtschaftlichen Reichtum der Industriestaaten aufzuschließen. Die Ziele der reichen und der vergleichsweise armen Länder schließen sich jedoch gegenseitig aus, betrachtet man sie unter dem Aspekt der Energieversorgung. Es ist unmöglich, dass jeder der heute rund 6,7 Milliarden Menschen die gleiche Menge an fossilen, kohlenstoffhaltigen Energierohstoffen verbraucht, wie sie heutzutage die rund

eine Milliarde hoch privilegierte Bürger in den Industriestaaten konsumieren.

Die Versorgung mit Energie ist das Fundament für die menschliche Existenz. In Europa hat sich mittlerweile weithin die Sichtweise durchgesetzt, dass die Energieversorgung sicher, bezahlbar, aber auch ökologisch tragfähig sein muss. Zumindest der letzte Anspruch wird heute weltweit nicht erfüllt. Die globale Energieversorgung, die vor allem auf den fossilen Quellen Erdöl, Kohle und Erdgas basiert, zerstört die

relative Stabilität des Klimas; die Folgen für die Wetterbildung, für Böden, Wälder und Meere, für Menschen, Tiere und Pflanzen sind unabsehbar. Keine Klimapolitik hat diese Gefahr bislang gebannt.

Aber auch der zweite Punkt, die Bezahlbarkeit von Energie, erscheint heute bei Weitem nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor wenigen Jahren. Auch in reichen Staaten wie Deutschland leiden immer mehr Haushalte mit geringen Einkommen unter den stetig steigenden Energiekosten.

Noch ungleich härter trifft es die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern: Die Infrastruktur in den rückständigen Staaten ist veraltet, der spezifische Energieverbrauch – die Energieintensität – zum Beispiel für Mobilität oder für die Erzeugung von Strom liegt dort deutlich höher als in Europa.

Entsprechend stärker belasten steigende Energiepreise die Unternehmen und Privathaushalte dieser Länder. Der Ölpreisanstieg der vergangenen Jahre macht den Effekt sämtlicher Milliardensummen für die Entwicklungshilfe zunichte. Das wirft die armen Länder in ihrem Ringen um Wettbewerbschancen und Modernisierung wieder zurück. Zugleich belasten Staaten mit veralteter Energietechnologie das Klima bei der Erzeugung der gleichen Wirtschaftsleistung deutlich stärker als die reichen Länder.

Nach der reinen Lehre der Marktwirtschaft müsste sich das Energieproblem über die Gesetze von Angebot und Nachfrage leicht lösen lassen: Höhere Energiepreise führen zu einer Ausweitung des Angebots, der Markt kommt zurück ins Gleichgewicht, die Preise sinken. Zumindest kurzfristig aber funktioniert dieser Mechanismus am Energiemarkt nicht. Energieversorgung ist ein langfristiges, komplexes

Geschäft. Die Branche hat den Anstieg des Energiebedarfs in den vergangenen Jahren komplett unterschätzt. Tausende Milliarden Euro oder Dollar müssen in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Hohe technologische Hürden gilt es zu überwinden, sei es bei der Erschließung von Öl- und Gasressourcen oder bei der Abtrennung und unterirdischen

Einlagerung von Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken.

Zu Rückschlägen führt bislang auch der Umstieg auf eine ökologische Energieversorgung. Biodiesel und Ethanol schienen eine schnell verfügbare und wirtschaftlich sinnvolle Alternative zu Benzin und Diesel zu bieten. Heute ist klar: Der Anbau von

Agrarpflanzen als Rohstoff für Biosprit steht in Konkurrenz zu einem wachsenden Nahrungsmittelbedarf, die Lebensmittelpreise steigen, Hungerkrisen in den armen Ländern sind die Folge. Eine rasche Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion wäre die marktwirtschaftlich logische Folge. Doch auch hier wirken die hohen Energiepreise bremsend – die Transportkosten für Agrarprodukte steigen ebenso wie

die Preise für die Herstellung von Kunstdünger aus Erdöl. Nicht zuletzt dezimieren die verstärkte Rodung des Regenwaldes und ein Ausbau der Palmölproduktion in tropischen Regionen die Artenvielfalt. Durch den fortschreitenden Verlust von Waldflächen wird zudem ein wichtiges natürliches Korrektiv für die Bindung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre zerstört.

Es gibt heute keine befriedigende Antwort darauf, wie eine weiter wachsende Weltbevölkerung ökologisch und ökonomisch sicher mit Energie versorgt werden kann. Auf der einen Seite wachsen die Risiken für Klima und Biodiversität, auf der anderen Seite steigt die Abhängigkeit vieler Länder von wenigen Staaten

mit reichen Reserven.

Die Atomkraft erlebt in der öffentlichen Debatte in Europa derzeit zwar eine Renaissance. Doch die Stromgewinnung aus Kernspaltung ist eine extrem kapitalintensive Hochtechnologie, die heutzutage gerade einmal sechs Prozent zur Deckung des globalen Energiebedarfs beiträgt – mit sinkender Tendenz.

Niemand hat in den vergangenen Jahrzehnten an freien Energiemärkten in den Neubau von Atomkraftwerken investiert. In Asien, vor allem in China wurde der Ausbau der Atomkraft politisch forciert. Auch der gern zitierte Neubau eines großen Atomkraftwerks in Finnland hat ein politisches Motiv: Das

Land will seine Energieabhängigkeit von Russland senken. Großbritannien will zwar den Neubau von Reaktoren genehmigen, diesen jedoch nicht finanziell unterstützen. Es wird spannend sein zu sehen, wann der erste Versorger auf der Insel ein neues Atomkraftwerk baut – und ob das jemals geschieht.

Kohle besitzt den großen Vorteil, weltweit gut verfügbar zu sein. Ihre Preise haben sich, verglichen mit dem Öl- und Gaspreis, zuletzt eher moderat entwickelt. Doch ohne eine Abscheidung des Kohlendioxids (CO2) aus dem Rauchgas und dessen sichere unterirdische Einlagerung bietet die Kohle keine ökologisch vertretbare Option für die künftige Energieversorgung. Ob die CO2-Abtrennung technologisch, aber auch kommerziell funktioniert, wissen wir vermutlich frühestens in zehn Jahren. Bis dahin aber leben auf der Welt zwischen einer halben und einer Milliarde zusätzliche Energieverbraucher.

Die erneuerbaren Energien könnten künftig das Fundament der Energieversorgung bilden – aber nur dann, wenn sie grundlastfähig werden, wenn Windkraft, Sonnenkollektoren und Erdwärme die Kohle- und Atomkraftwerke ersetzen können. Nach heutigem Stand der Technik können sie das nicht. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste künftig eine Vielzahl kleiner Ökokraftwerke über modernste Software so miteinander

vernetzt werden, dass “virtuelle Kraftwerke” mit der Leistung heutiger Großanlagen entstehen. Zugleich müsste die grenzüberschreitende Infrastruktur der Energiewirtschaft völlig neu erfunden werden. Anstatt wachsende Mengen von Öl, Gas oder Kohle zu importieren, könnte Europa künftig aus großen

Solarkraftwerken in Nordafrika Strom oder Wasserstoff beziehen, ebenso aus großen Windparks oder

Gezeitenkraftwerken in Skandinavien.

Um solche Projekte in Angriff zu nehmen, muss Energiepolitik massiv aufgewertet werden. Die zentralen Fragen der Energieversorgung müssen höchste politische und wissenschaftliche Priorität genießen, und zwar untrennbar verbunden mit allen Aspekten des Klimaschutzes. Eine sichere und zugleich CO2-neutrale Energiewirtschaft sollte alle nur denkbaren wirtschaftlichen und steuerlichen Privilegien genießen, die Erforschung neuer Versorgungstechnologien sollte vom Staat massiv gefördert werden.

Zwischen den Megatrends teure Energie, Klimawandel, drohende Hungerkatastrophen gibt es eine einfache Schnittmenge: Wir nutzen heute die falschen Energien – und wir nutzen Energie auf eine falsche Weise.

About this publication