“Ölkrise verändert die Globalisierung”
Von Philip Faigle
Vor vier Jahren war der US-Ökonom Jeremy Rifkin sicher: Steigt der Ölpreis über 50 Dollar pro Fass, ist die Weltwirtschaft in Gefahr. Heute sieht er sich noch immer im Recht. Warum?
Zaghafte Thesen sind die Sache von Jeremy Rifkin nicht. Der Ökonom und Autor zahlreicher Bestseller liebt es, das Weltgeschehen mit großen Schritten zu vermessen. Allein in den letzten zehn Jahren hat er schon das “Ende der Arbeit” prophezeit, den “Marktkapitalismus” beerdigt und das Zeitalter der “Netzwerkökonomie” ausgerufen. Mit solcher Wortgewalt stieg der Amerikaner zu einem gefragten Berater von Regierungen auf – und im Ansehen mancher Ökonomen ab. Ende der Achtziger kürte ihn das Time Magazine zum „meistgehassten Mann in der seriösen Wissenschaft“.
Für Wirbel sorgte auch seine These von vier Jahren: Ein steigender Ölpreis kombiniert mit einem anhaltend schwachen Dollar werde die USA in eine schwere Krise stürzen, sagte Rifkin damals voraus und warnte vor einem „perfekten Sturm“, der die Wirtschaft umwehen werde, spränge der Ölpreis über die 50-Dollar-Marke. Nun kostet das Öl binnen Jahresfrist nahezu das Doppelte, zeitweise stieg der Kurs auf eine Rekordmarke von über 135 Dollar pro Fass, und die Konjunktur in Europa und den USA scheint nahezu unbeschadet. Daher die Frage: Herr Professor Rifkin, sind Sie von der Realität überholt worden?
„Keineswegs“, sagt der Ökonom heute, vier Jahre später, im Gespräch mit ZEIT online. „Mit dem Überschreiten der 50-Dollar-Marke hat eine neue Ära begonnen”. Seither steuere die Weltwirtschaft auf eine Phase knappen Öls zu, der Konjunkturmotor würge ab. Schon jetzt büße die Konjunktur an Dynamik ein, gingen Fluggesellschaften wegen hoher Kerosinpreise in die Knie, demonstrierten LKW-Fahrer in den USA gegen den Preisanstieg von Diesel und Sprit. Hinzu komme, dass der hohe Ölpreis den Konsum in den USA dämpfe. Während die Löhne stagnierten, stiegen die Kosten für Heizung, Strom und Gas und ließen den US-Konsumenten weniger Geld in der Tasche. Kurz gesagt: Der Ökonom sieht sich mit seiner 50-Dollar-Wette weiter im Recht.
Rifkin führt noch ein zweites Argument ins Feld: die Nahrungskrise in den Entwicklungsländern. In den hundert ärmsten Ländern verschärfe der hohe Ölpreis derzeit Hunger und Armut. Weil die gestiegenen Energiepreise die Produktion und den Anbau von Lebensmitteln verteuerten, seien heute Millionen Menschen mehr von Hunger und Tod bedroht als noch vor sechs Monaten. “Diese Menschen stehen am Rande eines möglichen Unglücks”, sagt Rifkin. “Was wir dort erleben, ist eine dramatische, atemberaubende soziale Ausgrenzung eines großen Teiles der Menschheit”. Mit einer “stabilen” Weltwirtschaft habe das nichts zu tun.
Doch was ist mit dem Argument, dass die Industrieländer heute weit weniger Öl für dieselbe Leistung bräuchten als noch vor einigen Jahrzehnten? Hilft das nicht zumindest den Industriestaaten, Engpässen gelassener entgegen zu sehen?
Tatsächlich sei es “eine gute Nachricht”, dass viele Unternehmen aus den beiden Ölschocks der Siebziger Jahre gelernt hätten, sagt Rifkin. Viele Unternehmen in den westlichen Industrienationen bräuchten heute weniger Öl, um Autos, Maschinen oder Medikamente herzustellen. Dennoch nähme weltweit nur eine relativ kleine Zahl von Firmen das Thema ernst genug. Andere begännen erst jetzt zu handeln. “Es muss schneller gehen”, sagt Rifkin. Denn der hohe Preis für Öl, Benzin und Gas verändere gerade die Regeln der Globalisierung.
Das Argument des Ökonomen ist nicht neu und geht so: Bislang gab es für westliche Unternehmen Anreize, ihre Produktion in Niedriglohnländer zu verlagern, weil Energie billig und der Transport von einem Land ins andere relativ günstig war. Wenn die Kosten für Kerosin und Benzin nun aber steigen, lohnt sich die internationale Arbeitsteilung immer weniger. Weswegen die Schwellenländer mit ihren billigen Arbeitsmärkten weniger Kapital anlocken können als bisher.
Es bedeutet aber auch, dass Arbeitskosten unwichtiger und Energiekosten wichtiger werden. So würden die Chancen neu verteilt: “Es werden die gewinnen, die ihren Energieverbrauch senken und ihren CO2-Ausstoß minimieren. Verlieren aber werden jene, die das nicht tun und gefangen sein werden in der Falle von steigenden Gas- und Ölpreisen”, sagt Rifkin.
Treffen wird das nach Ansicht des Ökonomen vor allem die Schwellenländer wie China und Indien, wo die Fabriken weit mehr Öl schlucken als in den westlichen Industrienationen. Für diese Staaten werde es daher „keinen Weg geben, weiter zu wachsen, wenn sie sich auf die alten Energiequellen verlassen: Uran, Gas, Kohle“. Denn parallel zum Ölpreis würden auch die Preise für andere konventionelle Energiequellen ansteigen.
„Indien und China müssen ihre Energie effizienter einsetzen und eine dritte industrielle Revolution einleiten“, sagt Rifkin. Andernfalls drohten ein Kampf um die verbliebenen Ressourcen und internationale Konflikte, wie die Welt sie zuletzt in den Anfängen der Industrialisierung erlebt habe.
Gibt es denn eine Chance, dass der Ölpreis zumindest zwischenzeitlich wieder sinkt? Vielleicht, sagt Rifkin, jedoch nicht auf ein Niveau, das der Markt über Jahrzehnte gewohnt war. „Der Ölpreis wird womöglich auf 80 oder 90 Dollar sinken, aber nicht mehr unter 50 Dollar.“ Denn es seien keinesfalls nur die erdölfördernden Länder, die derzeit den Preis treiben. Etwa, weil sie den schwachen Dollarkurs durch höhere Preise ausgleichen wollen. „Eine solche Argumentation übersieht das größere Szenario“, sagt Rifkin. „Wir konsumieren seit Jahren dreimal so viel Rohöl, wie wir entdecken. Tatsache ist, dass wir uns auf den Punkt zubewegen, an dem die Hälfte des Öls aufgebraucht sein wird, dem sogenannten Peak Oil, sagt er.
Wie lange es braucht, bis das “Endspiel”, wie Rifkin es nennt, ausgespielt ist, hänge unter anderem davon ab, wann der Höhepunkt der Erdöl-Förderung erreicht ist. Hierzu gebe es noch immer keine gesicherten Erkenntnisse. Sicher ist sich der Ökonom nur, dass der Welt eine lange Phase knappen Öls bevorsteht: “Ich glaube, dass wir die Bedeutung dieses Moments noch nicht verstanden haben.”
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