Much is Unrealistic

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Die Begeisterung für Obama könnte sich als übertrieben herausstellen, sagt Karsten Voigt, Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit

ZEIT online: Herr Voigt, Sie sind Sozialdemokrat. Für wen schlägt ihr Herz im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Doch sicher eher für den Demokraten Barack Obama?

Voigt: Als Regierungsvertreter bin ich neutral. Aber natürlich stehen mir Barack Obama und sein Programm persönlich näher als das der Republikaner. Trotzdem ist die Sache nicht so einfach. Zwar hatte ich dem jetzigen Amtsinhaber George W. Bush gegenüber immer eine kritische Einstellung, dennoch habe ich die deutsche Diskussion stets für völlig überzogen gehalten. Sie war voll von Vorurteilen. Jetzt sehe ich mich häufig in der Situation, dass ich vor überzogenen Erwartungen im Hinblick auf Barack Obama warnen muss. Ich fürchte, dass bestimmte unrealistische Erwartungen zu neuem Frust und Enttäuschung führen können, wenn sie nicht erfüllt werden.

ZEIT online: Wäre Ihnen Hillary Clinton als Kandidatin lieber gewesen?

Voigt: Am Anfang war ich unentschieden. In Bezug auf ihre Programme unterscheiden die beiden sich ja auch nicht sehr. Aber die Art und Weise wie Clinton ihren Wahlkampf geführt hat, hat meine Sympathie sinken lassen. Dass sie mit der Niederlage bis ganz zuletzt nicht umgehen konnte, das hat mich enttäuscht. Die Vorwahlen an sich fand ich sehr interessant. In beiden Lagern haben sich schließlich die Kandidaten durchgesetzt, die ursprünglich nicht die Favoriten waren und auch die, die anfangs weniger Geld hatten. Auch das widerspricht unserem gängigen Klischee, dass der Wahlkampf in den USA über das große Geld entschieden werde. Stattdessen hat nun das kleine Geld der vielen einzelnen Spender den Ausschlag gegeben und das Engagement von Hunderttausenden, die von Tür zu Tür gegangen sind. Was wir erlebt haben, war ein wirklich urdemokratischer Prozess.

ZEIT online: Obama wird oft mit John F. Kennedy verglichen. Ist das gerechtfertigt?

Voigt: Für mich ist er eine Mischung aus John F. Kennedy und Martin Luther King. Seine Rhetorik erinnert an King, aber wie er von Erneuerung spricht, das lässt an Kennedy denken. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass auch das Clinton-Paar im Wahlkampf von Bill Clinton solche Erwartungen geweckt hat. Frau Obama könnte übrigens ebenfalls eine interessante First Lady werden. Sie ist eine sehr eigenständige Persönlichkeit und hat ihre eigene Auffassung.

ZEIT online: Welche Erwartungen an Obama halten Sie für unrealistisch?

Voigt: Na, zum Beispiel könnte es durchaus Situationen geben, in denen auch Obama nicht beim UN-Sicherheitsrat nachfragt, ob er US-Truppen irgendwohin schicken darf. Wenn die Deutschen das nicht sehen, sind sie unrealistisch. Im Kongress würden auch wenige Leute verstehen, wenn Obama etwas anderes machen würde. In der amerikanischen Verfassung gibt es im Gegensatz zum Grundgesetz keinen Passus, der Völkerrecht über nationales Recht stellt. Vielmehr gibt es einen engen Zusammenhang von nationaler Souveränität und Demokratie. Dem Kongress fällt es deshalb schwer, Zuständigkeiten an internationale Organisationen zu delegieren. Deswegen wird es auch immer schwierig sein, im US-Kongress eine Mehrheit für den Internationalen Strafgerichtshof oder internationale Klimaschutzabkommen oder Ähnliches zu bekommen. Das würde sich auch unter Obama höchstens graduell ändern.

Übrigens haben viele Amerikaner – und zwar Republikaner und Demokraten – den Wahlsieg von Angela Merkel mit ähnlich unrealistischen Hoffnungen verbunden, wie dies nun auf deutscher Seite mit Obama geschieht. Dann mussten sie feststellen, dass vieles sich nicht wesentlich änderte. Zum Beispiel hat Merkel Russland zwar kritisiert, aber die enge Zusammenarbeit fortgesetzt. Auch bei uns gibt es in bestimmten politischen Fragen eben einen Konsens über die Parteigrenzen hinweg, wenn man mal von der Linkspartei absieht. Zum amerikanischen Konsens gehört zum Beispiel, dass man die Weltmachtrolle will. Auch ein gewisser missionarischer Zug wird aus der Außenpolitik nie verschwinden, weil Amerika für die Amerikaner immer auch eine Idee ist, nicht nur eine Macht.

ZEIT online: Wird der neue US-Präsident die Deutschen bei Auslandseinsätzen stärker in die Pflicht nehmen?

Voigt: Sowohl John McCain als auch Obama werden in der Afghanistan-Frage Druck auf die Deutschen ausüben, auch im Hinblick auf ein mögliches militärisches Engagement im Süden. Das wird kein Wohlgefallen in der deutschen Politik auslösen. Beide versprechen ja, dass sie mehr auf die Europäer zugehen wollen. Aber das machen sie doch nicht, weil sie uns so nett finden, sondern weil sie sich davon Entlastung versprechen. Da werden wir uns entscheiden müssen, wie wir uns dazu verhalten wollen.

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