Is He a Real Man?

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Jung, elegant und eloquent: Barack Obama ist auf dem Weg ins Weiße Haus – und könnte in die Weichei-Falle tappen. Denn was ihm in der Welt nützt, könnte ihm zu Hause schaden

So hätten wir ihn gern, den amerikanischen Präsidenten: eher elegant als breitbeinig, eher eloquent als rauflustig. Die Todesstrafe soll er ablehnen, ebenso Fernsehauftritte in der Verkleidung eines Bomberpiloten. Der Versuchung, sich von Gott auserwählt zu sehen, sollte er tunlichst widerstehen. Die UN soll er achten und ehren, uns Europäer sowieso, und hin und wieder darf er ruhig zugeben, dass auch die USA Fehler machen.

Voilà, der perfekte Kandidat ist da: Barack Obama. Groß, jung, schlank, gebildet. Nicht weiß, aber auch nicht richtig schwarz. Mit exotischem Namen, unerschütterlichem Bekenntnis zum amerikanischen Traum und Kritik an amerikanischen Verhältnissen. Hält den Irakkrieg für eine gigantische Dummheit. Will im Fall seines Wahlsieges mit »Schurkenstaaten« reden. Europa würde den Mann sofort wählen. »Aber Vorsicht!« warnt der französische Journalist Daniel Vernet in Le Monde. »Verratet bloß nicht den Amerikanern, dass die Europäer für Obama sind. Das könnte ihn den Sieg kosten.«

Die Sache ist ein bisschen komplizierter. Offenbar lieben ja auch Millionen von Amerikanern an Obama eben das, was Europäer an ihm schätzen. Obamas Problem besteht darin, dass genau diese Eigenschaften seinen Gegnern die größte und womöglich einzige Angriffsfläche bieten. Obama kapituliere vor Hamas und Iran, behauptet John McCain in seinen Massen-Mails an Wahlkampfspender. Obama sei gegen die Todesstrafe und verhätschele kriminelle – soll heißen: schwarze – Jugendgangs, behaupten konservative Talkshow-Moderatoren. Und bei seinen Wählern handele es sich um Café Latte schlürfende, Öko-Autos fahrende Harvard-Früchtchen.

Im amerikanischen Politjargon nennt man diese Wahlkampfwaffe den wimp factor. Frei übersetzt: die »Weichei-Falle«. Die Strategie ist nicht sehr originell, zeigt aber immer wieder erstaunliche Wirkung.

Aus Angst vor dem wimp factor unterziehen sich Präsidentschaftsanwärter alle vier Jahre einem immergleichen Ritual: Sie zeigen sich mit Cowboystiefeln, Bierflasche und Gewehr bei der Jagd oder am Steuer eines großen Pick-up-Trucks. Mit diesen Requisiten glaubt man sich bei jenen weißen männlichen Wählern beliebt zu machen, die unterhalb der 30.000-Dollar-Einkommensgrenze und außerhalb der Küstenstädte leben. Diese Zielgruppe – Anfang der achtziger Jahre unter dem Namen »Reagan Democrats«, später als »angry white males«, sprich: wütende weiße Männer, demoskopisch erfasst – macht nicht nur einen erheblichen Teil der Wählerschaft aus. Sie bildet auch die mediale Teststrecke, auf der die Kandidaten in »harte Kerle« oder potenziell unpatriotische »Schwächlinge« sortiert werden sollen. Anders gesagt: Es geht um die Frage, ob der Kandidat oder die Kandidatin als Oberbefehlshaber der Streitkräfte vorstellbar ist, ob er oder sie bereit ist, töten und sterben zu lassen für das Vaterland. Genau auf diesem Feld wird John McCain versuchen, Barack Obama zu schlagen.

Vor 150 Jahren galt als Weichei, wer sich den Backenbart parfümierte

Der wimp factor funktioniert nach einem ebenso einfachen wie altmodischen Rezept: Man porträtiert den Kontrahenten als weibisch, europäisch und elitär. Mitte des 19. Jahrhunderts mussten sich Kandidaten gegen die Unterstellung verwahren, »ihren Backenbart zu parfümieren« und »mit goldenen Löffeln von silbernen Tellern« zu essen. Gut 150 Jahre später muss sich Obama vorwerfen lassen, er achte auf seine Figur, sei zu intellektuell und eine Null in der Bowlinghalle und auf dem Schießplatz.

Die Kriterien für vermeintliche Weicheier haben sich über die Jahrzehnte nicht wesentlich geändert, wohl aber die Akteure, die sich dieser Strategie bedienen. In diesem Jahr hat zum ersten Mal eine Frau versucht, einen Mann mit dem wimp factor zu schlagen. Hillary Clintons rasante Wandlung der vergangenen Monate von der alles wissenden »Gänsemutter« (Vanity Fair) zum »slugger«, einem »Schläger« (New York Times), gipfelte in ihrer Stammtischdrohung, Iran »auszulöschen«, sollte dieses Israel angreifen. Das richtete sich zunächst weniger gegen die Iraner als vielmehr gegen Obamas Position, mit dem Regime in Teheran direkt zu verhandeln. Klingt vernünftig, in amerikanischen Wahlkampfzeiten aber auch verdächtig weich. Jedenfalls kursierte in Hillarys Beraterzirkeln lange Zeit der siegesgewisse Ausspruch, sie habe »schon immer mehr Eier gehabt« als ihr Konkurrent. Genützt hat ihr dieser Hyper-Machismo am Ende nicht. Aber Hillary Clinton hat zweifellos John McCain einige Vorlagen für dessen Kampagne gegen Obama geliefert.

Der erste Präsidentschaftskandidat, dem die Medien das Etikett »Weichei« anhefteten, war allerdings kein Demokrat, sondern ein Republikaner: George Bush senior hatte in seinem Wahlkampf 1988 mit seinem Image als manikürter Ostküsten-Zögling zu kämpfen. Die Zeitschrift Newsweek widmete ihm damals sogar eine Titelgeschichte und prägte erstmals den Begriff wimp factor. Dieses Stigma schüttelte Bush Senior ab, als er 1989 amerikanische Truppen in Panama einmarschieren ließ. Prompt wurde der wimp factor zum exklusiven Problem der Demokraten.

Auch Barack Obama liebäugelt mit einer Offensive gegen Pakistan

Denn 1988 war es vor allem Bushs Gegner Michael Dukakis gewesen, der wegen seines intellektuellen Gebarens und seiner Opposition gegen die Todesstrafe als »Schwächling« demontiert wurde. Als Lehre aus diesem Debakel schwor Bill Clinton seine Partei auf einen strengeren Law-and-Order-Kurs ein und unterzeichnete während seines Wahlkampfs 1992 demonstrativ einen Hinrichtungsbefehl in seinem Bundesstaat Arkansas. Hinzu kam seine erfolgreiche Arbeits- und Sozialpolitik.

Clinton entging der Weichei-Falle, sein Nachfolger Al Gore allerdings nicht. Er verlor den Wahlkampf 2000 auch deshalb, weil ihn sein Gegner George Bush junior als elitären Öko-Streber in die Defensive drängen konnte. Vier Jahre später scheiterte John Kerry am wimp factor, genauer gesagt an dem, was seine Anhänger für seine Stärke hielten: die Biografie eines Kriegshelden aus Vietnam, der als Kriegsgegner nach Hause kam und die Fehler und Verbrechen seines eigenen Landes öffentlich benannte. Damit schien er qua Lebenslauf die beste Alternative zu George W. Bush zu sein, der nach dem 11. September 2001 seine Attitüde adoleszenter Militanz sowie seine Unfähigkeit zur Selbstkritik als Charakterstärke verkaufte. Bloß wagte Kerry 2004 nie, offen und offensiv auszusprechen, was er 30 Jahre zuvor ausgesprochen hatte: dass die USA eben keine unfehlbare Nation sind. Und dass dieses Eingeständnis kein Zeichen der Schwäche, sondern der Souveränität ist. Für Kerry kam erschwerend hinzu, dass er Französisch spricht und mit einer Frau verheiratet ist, die mehr Geld hat als er selbst.

Die Sorge vor der »Kerrysierung« ihres Kandidaten treibt auch die Wahlkampfberater von Barack Obama um. Dabei könnte sie eine ganz schlichte Erkenntnis beruhigen: Die wimp factor-Strategie funktioniert nur dann, wenn der Betroffene sich das Ganze gefallen lässt. Wie oft schon haben sich die liberaleren unter den Amerikanern einen Präsidentschaftskandidaten gewünscht, der das Offensichtliche auch ausspricht: dass es eben kein Zeichen von »Mannhaftigkeit« ist, im Wahlkampf aufzuzählen, welche Länder man bombardieren würde; dass es kein Heroismus, sondern Realsatire ist, sich breitbeinig in der Uniform eines Bomberpiloten aufzuspreizen.

Barack Obama ist womöglich der Erste, der sich vom wimp factor nicht in die Ecke drängen lässt, der begriffen hat, dass man in diesem medialen Showdown immer in der Offensive bleiben muss. Nicht dass er keine Zugeständnisse in diesem Spiel machen würde. Wahlkampfgerecht hat er schon mit militärischen Operationen in Pakistan geliebäugelt. Und sich als bekennender Gegner der Todesstrafe zu outen ist ihm offenbar zu riskant. Aber anders als Kerry und Gore duckt er sich nicht unter den Attacken der Republikaner, sondern retourniert dank seines Charismas und seiner Eloquenz souverän. Dialogbereitschaft mit Iran sei Kapitulation? Nicht doch, sagt er, Dialogbereitschaft ist ein Zeichen der Stärke. Kritik an Amerika sei ein Zeichen mangelnden Patriotismus? Nicht doch, das ist ein Zeichen der Souveränität und der Aufbruchstimmung, also feinste amerikanische Tugenden.

Man darf nun gespannt sein, wie Obama sich hält, wenn die Attacken plumper und schmutziger werden, wenn ihn – und das wird wieder kommen – ominöse Internetgruppen aus dem republikanischen Dunstkreis als verkappten Muslim denunzieren, als Softie an der Seite einer starken Frau oder als Sprachrohr der angeblich ewig klagenden schwarzen Minderheit.

Der Rest der Welt, auch die Europäer, wird dabei nur Zuschauer sein. Dies ist ausschließlich eine Unterhaltung zwischen dem Kandidaten und seinem Wahlvolk. Und über die künftige Politik eines Präsidenten Obama sagt seine den Europäern so genehme Ausstrahlung wenig aus. In all der Obama-Euphorie ist es verlockend, zu glauben, hier sei der erste wahre Multilateralist auf dem Weg ins Weiße Haus. Das ist er mitnichten, kann er als Präsident der einzigen Supermacht auch gar nicht sein. Aber er könnte dieser Supermacht eine souveränere Stimme geben. Eine, die zuvor eine Mehrheit der Wähler davon überzeugen konnte, dass kein wimp ist, wer anerkennt, dass auch Amerika Fehler macht und verwundbar ist.

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