In den USA geht die Angst vor der Rezession um. Wer immer ins Weiße Haus einzieht, kann schnell scheitern oder ein wirklich großer Präsident werden
Als Hillary Clinton am letzten Samstag ihre Niederlage offiziell einräumte und zur Unterstützung von Barack Obama aufrief, fand sich auf Seite eins der Washington Post folgender Aufmacher: „Öl auf Rekordhoch, hohe Arbeitslosenrate, sinkende Aktienmärkte.“ Es sei bisher, so fuhr die Zeitung fort, der schlimmste Tag in diesem an schlechten Wirtschaftsnachrichten so reichen Jahr gewesen.
In Amerika geht die Angst vor der Rezession um. General Motors und Ford wanken dem Abgrund entgegen, der Dollar befindet sich im freien Fall, die Arbeitslosigkeit steigt. Vierzig Millionen Amerikaner sind nicht krankenversichert, die Mittelschicht ist abstiegsgefährdet, die Infrastruktur zerfällt und das Bildungssystem bedarf dringend der Erneuerung. Zu vieles wurde in den Jahren des Booms aufgeschoben oder schlicht verdrängt. Stattdessen senkte die Regierung Bush die Steuern auf Pump. So ist es kein Wunder, dass sich auch das Staatsdefizit während der Amtszeit George W. Bushs explosionsartig vergrößert hat.
Bei der Krise der amerikanischen Finanzmärkte handelt es sich auch nicht um einen der üblichen zyklischen Abschwünge. Das gesamte, auf billigen Krediten aufgebaute Wachstumsmodell, das sich in den vergangenen dreißig Jahren in den USA entwickelt hat, steht zur Disposition. Eine ganze Epoche droht zu Ende zu gehen.
Die Fakten sprechen auch nicht dafür, dass die Talsohle schon erreicht ist. Es waren ja nicht nur Teile des Immobilienmarktes auf Luft gebaut, sondern auch der Privatkonsum der amerikanischen Verbraucher, der mit hoher Privatverschuldung einherging. Wenn die privaten Kredite nun den Subprime-Hypotheken folgen und der Konsum wegbricht, ist eine rezessive Entwicklung unausweichlich.
Auf den nächsten amerikanischen Präsidenten warten also allein in der Innenpolitik gewaltige Aufgaben, und er wird vor allem schlechte Nachrichten zu verkünden haben. Angesichts solch düsterer Perspektiven war es eigentlich verwunderlich, dass sich eine so große Zahl von Bewerbern um die Kandidatur bewarb und mit welcher Leidenschaft, ja Verbissenheit die Vorwahlen auf Seite der Demokraten ausgetragen wurden.
Rechnet man dann noch die Kriege im Irak und in Afghanistan und die Krisen in Pakistan, im Nahen Osten und auch die sich zuspitzende Situation um das Atomprogramm des Irans hinzu, dann wird klar, dass der nächste amerikanische Präsident fast unmöglich zu bewältigende Aufgaben vor sich liegen hat. Gegenüber dem nächsten amerikanischen Präsidenten könnte sich Sisyphos als glücklicher Mann erweisen. Zu allem Überfluss wird die alleinige Weltmacht USA in den kommenden Jahren auch noch ihren relativen Abstieg zu verdauen haben. Im Verhältnis zu den aufsteigenden Mächten China, Indien und Brasilien, aber auch gegenüber einem durch die extrem hohen Öl- und Gaspreise begünstigten Russland werden Macht und Einfluss der USA eher abnehmen.
Eine Prognose kann man also schon heute wagen: Wer immer auch ins Weiße Haus einziehen wird, wird entweder sehr schnell scheitern und nach nur einer Amtszeit wieder abgewählt werden, oder er wird ein wirklich großer Präsident werden. Die Größe der Herausforderungen lässt kaum Alternativen zu.
Legt man diese Herausforderungen nun als Maßstab an die beiden Kandidaten an, spricht mehr für den Demokraten Barack Obama als für John McCain, obwohl der Kandidat der Republikaner eindeutig der erfahrenere Politiker ist. Warum?
Weil man aufgrund der größeren Erfahrung mit John McCain bereits heute davon ausgehen kann, dass er eher für die Fortsetzung der bisherigen Politik im Inneren wie in der Außenpolitik stehen wird als für einen grundsätzlichen Wandel.
Gewiss, John McCain würde ohne jeden Zweifel den Stil ändern, vor allem in der Außenpolitik. Er würde multilateraler agieren als der jetzige Präsident und er würde versuchen, auf die Partner der USA zuzugehen, sie einzubinden. In der Substanz verspricht er aber Kontinuität und nicht Wandel. Genau dies wird nicht ausreichen.
Barack Obama verspricht Wandel. „Yes, we can!“ heißt seine inspirierende Botschaft. Ob er dieses Versprechen einhalten kann, darf angezweifelt werden. Selbstverständlich kann er scheitern – oder auch nicht. Genau das ist die entscheidende Differenz zwischen Obama und McCain: Bei McCain weiß man mit hoher Wahrscheinlichkeit, was kommen wird. Obama hingegen kann scheitern, grandios sogar, er könnte aber auch zu einem der ganz großen amerikanischen Präsidenten werden.
Doch auch ein Präsident Obama wird nicht alles anders machen können. Er wird in die Zwänge, die Tradition und Interessen amerikanischer Politik eingebunden bleiben. Hier droht Europa so manche Enttäuschung, wenn man dies nicht begreift und den eigenen Erwartungen an ihn zugrunde legt. Zumindest vertritt Barack Obama jedoch den Anspruch auf einen grundsätzlichen Wandel amerikanischer Politik.
Aber egal, wie die Präsidentschaftswahlen in den USA am Ende ausgehen werden, die europäischen Regierungs- und Staatschefs wären schon heute gut beraten, nicht bloß abzuwarten, sondern sich zusammenzusetzen und europäische Vorschläge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, zum Welthandel und der Doha-Runde, dem Klimaschutz, zur Zukunft der Nato und zu den drängendsten geopolitischen Krisen vorzubereiten.
Dies gilt vor allem für das deutsch-französische Duo, zumal Frankreich im Juli die EU-Präsidentschaft übernimmt. Selten wird sich die amerikanische Politik durch ihre Freunde und Partner als beeinflussbarer erweisen, als nach den Präsidentschaftswahlen im November. Amerika wird dann Hilfe und Rat brauchen und suchen. Es wird Freunde suchen, welche die gewaltige globale Verantwortung mit zu tragen bereit sind. Auf Berlin werden da einige höchst unangenehme Entscheidungen zukommen.
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