Black Power im Weißen Haus
von Thomas Klau
Ein Präsident Barack Obama gilt als Beleg einer Zeitenwende in den USA. Doch der weitaus größere Umbruch wäre eine First Lady Michelle Obama.
Als die Vereinigten Staaten geboren wurden, waren Kaiser und Könige als Staatsoberhäupter die weltweite Norm, nicht Präsidenten; und so gab es in den Anfangsmonaten der Republik eine ernsthafte Debatte darüber, ob der Präsident zum Zweck der symbolischen Gleichstellung nicht mit “Majestät” angeredet werden sollte. Dafür plädierten nicht nur Sonderlinge oder Monarchie-Nostalgiker. Auch der zweite US-Präsident, der großartige Gründervater John Adams, zählte zu den Befürwortern dieser heute eigentümlich anmutenden Anrede.
Will man die USA und ihr politisches System verstehen, lohnt es, den Blick auf diese Gründerjahre zu richten. Die Vereinigten Staaten sind ein junges Land, weil dort europäische Siedler oder Siedlernachfahren vor 120 Jahren noch Eroberungskämpfe gegen sogenannte Eingeborene führten. Sie sind zugleich die älteste große Republik des Erdballs – einer der ganz wenigen Staaten, dessen Regierungsinstitutionen auf eine über 200-jährige Geschichte zurückblicken können
Vieles, was das politische System der USA noch heute prägt, ist aus dem politischen Kontext des späten 18. Jahrhunderts tradiert. Dazu gehört auch der quasi monarchische Respekt, der trotz des Verzichts auf die Majestätsanrede das Amt und die Person des Präsidenten und seine Familie umgibt. Es gibt kaum eine andere Republik, die auch dem Ehepartner des Staatsoberhaupts so viel Aufmerksamkeit, Platz und Ehrerbietung zubilligt wie die USA.
Erste Dame der Gesellschaft
Diese Tradition hat sehr konkrete Folgen. Sie ist eine der Erklärungen dafür, dass auch harte politische Gegner und kritische Journalisten dem Präsidenten mit ausgesuchtem Respekt begegnen und auch dann am gesellschaftlichen Leben mit ihm teilhaben, wenn der Amtsinhaber Recht und Sprache verbiegt, um die Folter von Gefangenen zu legitimieren. Sie ist auch einer der Gründe für den Umstand, dass sich auf die potenzielle First Lady schon vor der Wahl viele Blicke richten. Denn wie in einer Monarchie ist die Gattin des Staatsoberhaupts unangefochten und für jeden sichtbar die erste Dame der Gesellschaft. Ihr Geschmack, ihre Gardinenwahl, ihr Kleidungsstil sind auch in angesehenen Zeitungen legitime Themen der Berichterstattung.
Das alles macht deutlich, welch enormen Bruch der Einzug Michelle Obamas, der Frau des demokratischen Kandidaten Barack Obama, ins Weiße Haus bedeuten würde. In einiger Hinsicht wäre er eine noch größere Revolution als der parallele Amtsantritt ihres Mannes. Die USA sind es mittlerweile gewohnt, dass ein schwarzer General ihre Streitkräfte kommandiert, und es ist immerhin diesem Präsidenten zu verdanken, dass eine schwarze Frau das Amt des Außenministers übernahm. Doch ein hohes Amt zu bekleiden ist das eine. Etwas anderes ist es, wenn ein Angehöriger einer lange brutal unterdrückten, noch immer deklassierten Minderheit eine Stellung übernimmt, die gesellschaftliche Prominenz so pur verkörpert wie keine andere, weil sie eben kein Amt im eigentlichen Sinne ist. Präsident ist ein Job, den man macht, und erst dann eine Stellung, die man bekleidet. First Lady macht man nicht, man ist es – wer das verkennt, scheitert wie Hillary Clinton, als sie in ihrem ersten Jahr im Weißen Haus mit ihrer Arbeit an der Gesundheitsreform versuchte, über den Unterschied hinwegzugehen.
Michelle Obama ist anders als Condoleezza Rice eine schwarze Frau, die die Blessuren ihrer Hautfarbe und den anderen Blick auf die USA, der daraus entstand, bei allem Charme nur mühsam hinter der Maske des guten Benehmens und des taktvollen Umgangs mit der Selbstzufriedenheit der weißen Mehrheit verbirgt. Man ahnt, dass sie nicht vergisst, dass die Prominenz und der Erfolg einzelner sozialer Überflieger – das TV-Genie Oprah Winfrey, die Außenministerin Rice und ihr Amtsvorgänger Colin Powell – leicht den Blick auf die Wirklichkeit verstellen, in der die Mehrheit der amerikanischen Schwarzen lebt – und auf die Geschichte, die sie geerbt haben.
Die Selbstzelebrierung der USA als Vaterland der Freiheit ignoriert, dass Russland seine Bauern früher aus der Leibeigenschaft entließ als Amerika seine Sklaven, dass die Freiheit der Schwarzen in einem blutigen Bürgerkrieg erkämpft werden musste und dass noch Michelle Obama, Rice und Powell in einem Amerika geboren wurden, in dem die Staatsgewalt schwerste Diskriminierung duldete oder organisierte. Und heute? Ja, es gibt viele große Erfolge. Aber fast 4 von 100 schwarzen Bewohnern der US-Hauptstadt sind HIV-infiziert. Und einer von acht schwarzen Amerikanern im Alter zwischen 20 und 30 sitzt im Knast.
Für einen beträchtlichen Teil der weißen Mehrheit ist es ein Vergehen am ersten amerikanischen Gebot des bedingungslosen Patriotismus, wenn Michelle Obama wie vor einigen Monaten erklärt, sie sei zum ersten Mal stolz auf ihr Land. Die First Lady in spe muss seitdem einen erheblichen Teil ihrer Zeit damit verbringen, diese Äußerung als missverständlich abzutun, und ihr Gatte Barack pflegt den Flaggenkult, als ob davon der Einzug ins Weiße Haus abhängt – womit er ganz richtig liegt.
Doch die schwarze Minderheit weiß, was Michelle Obama meinte. Die Schwarzen seien eben verbittert, höhnen Konservative – eine Todsünde gegen das zweite amerikanische Gebot des bedingungslosen Optimismus. Aus europäischer Sicht nimmt sich die angebliche Verbitterung allerdings wie ein wohltuend klarer Blick auf die Realität des Landes aus.
Mit Michelle Obama würde eine Frau Einzug ins Weiße Haus halten, die wie kaum eine andere in der Lage wäre, den Blick der Mehrheit auf die Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft und Geschichte zu lenken. Etwas Besseres kann den USA, kann auch uns Europäern nicht passieren. Die Welt wäre dankbar, und die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten würde gestärkt, wenn eine First Lady Michelle Obama bei aller Rücksicht auf Wiederwahl und weiße Mehrheit die Ehrlichkeit nicht vergessen würde, die Amerika seiner schwarzen Minderheit weiter schuldig ist.
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