In Search of Scandals

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John McCain, Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, nannte das amerikanische Rentensystem eine „absolute Schande”! Sein Berater Phil Gramm bezeichnete die Amerikaner als Jammerlappen! Viel zu kommentieren gab es vergangene Woche in der amerikanischen Blogosphäre. Dennoch fanden einige Blogger Zeit, auch zur Kontroverse um Barack Obamas angedachten Auftritt vor dem Brandenburger Tor Stellung zu beziehen.

Die Kolumnistin Diane West schreibt, sie habe gelesen, dass ein Obama-Berater die Rede als Zeichen von Obamas Interesse an europäischen Anliegen verstehe. „Kurz aufzutauchen ist keine Interessensbekundung, sondern Tourismus“, lästert Diane West im konservativen Meinungsforum Townhall. Und empört sich darüber, dass der Obama-Berater Berlin zwar als Brücke zwischen Ost und West bezeichnete und an John F. Kennedys berühmte Berliner Rede erinnerte, dabei aber Ronald Reagan vergaß, der sich für das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzte – während Kennedy in seiner Amtszeit die Errichtung der Berliner Mauer zugelassen habe.

Der linke Flügel der Blogosphäre ist derweil bereits mit der nächsten Obama-Kontroverse beschäftigt – es geht um das Titelbild des New Yorker, der diese Woche an den amerikanischen Kiosken liegt. Dort abgebildet ist eine Karikatur, die die Vorwürfe diverser rechter Hetzkampagnen gegen Barack Obama vereint. Gezeigt wird Obama, der im Weißen Haus mit seiner Ehefrau Michelle die Fäuste zusammenstößt. In der Zeichnung trägt der Kandidat einen Turban, seine Frau eine Afro-Frisur und ein Sturmgewehr. An der Wand hängt ein Portrait von Osama bin Laden, im Kamin brennt die amerikanische Flagge.

Die Suchmaschine Technorati zeigt an die tausend Blog-Einträge innerhalb weniger Stunden über diese Karikatur. Kein Wunder, war der Cartoon doch Sonntagnacht über der Aufmacher bei der Huffington Post, einem Flagschiff der politischen Blogosphäre. Während der selbsterklärte konservative Blogger Drew 458 dem New Yorker eine „Eins Plus“ ausstellt, tauchen in Demokraten-nahen Blogs häufig drei Buchstaben auf: WTF, „What the Fuck?“. Zu diesen gehört die Diskussionsplattform DailyKos, in der es gar heißt: OMFG WTF, „Oh My Fucking God, What the Fuck“, also etwa: Mein lieber Gott, was zum Teufel?

Der meistdiskutierteste Eintrag des Tages und eine der leidenschaftlicheren Diskussionen der letzten Zeit. „Stellt euch die Empörung vor, wenn diese Titelgestaltung auf der National Review erschienen wäre“, schreibt der Kos-Blogger LongTom mit Verweis auf ein Magazin der intellektuellen Rechten. „Was für einen Unterschied macht die Veröffentlichung im New Yorker? Die Zeichnung verbildlicht den Hass, die Angst und das Misstrauen von einigen wenigen Amerikanern und befeuert Hass, Angst und Misstrauen bei allen anderen?“ Der Einwand, der New Yorker werde ohnehin nur von Linksliberalen gelesen, geht unter in einer Flut von offenen Leserbriefen und Boykott-Aufrufen, bis in den frühen Montagmorgen stieg die Zahl der Kommentare auf über 2250.

Ohne F-Wörter, aber offenbar ähnlich irritiert, kommentiert Jake Tapper, der für den Fernsehsender ABC über Politik und Popkultur bloggt: „Es ist ein Rekrutierungsposter für die Rechten.“ Und: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht Leute in Chicago gibt, die gerade sehr, sehr wütend sind und sich fragen, ob sie dem New Yorker jemals wieder Interviews geben sollten.” Später ergänzt er die Stellungnahme der Obama-Kampagne: Man sei sich mit den meisten Lesern des New Yorker darin einig, die Zeichnung als „beleidigend und geschmacklos” zu empfinden.

Auf der Website des New Yorker selbst ist das Cover versteckt neben dem Inhaltsverzeichnis des neuen Magazins abgebildet. Auf der Startseite sind zwar die großen Geschichten des Heftes prominent verlinkt – dazu wird jedoch das Titelbild der vergangenen Woche gezeigt. Noch am Montagvormittag hat sich die Redaktion selbst nicht zu dem Titelbild geäußert – in redaktionseigenen Wahlkampf- und Cartoon-Blogs standen noch die Einträge der letzten Woche im Aufmacher.

Der Huffington-Post-Autor Nico Pitney bat den Zeichner der Karikatur darum, im Rückblick auf die öffentliche Entrüstung eine Stellungnahme abzugeben. „Rückblick? Entrüstung?“, habe der Zeichner noch am Sonntagabend geantwortet. „Das Magazin ist erst vor zehn Minuten erschienen, geben Sie mir zumindest ein paar Tage Zeit, um zu entscheiden, ob ich es bedaure oder nicht.

In einigen Tagen könnte die Zeichnung schon wieder kalter Kaffee sein – die Woche hat gerade erst begonnen.

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