The Subway: New York’s Mirror

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Mehr als zehn Jahre bin ich regelmäßig mit der Subway von der Upper East Side zur Grand Central Station gefahren, um ins Axel-Springer-Büro an der 5th Avenue zu kommen. Es ist der beste und vernünftigste Weg, sich in New York City zu bewegen. Denn die Straßen von Manhattan sind so verstopft, dass das Fahren mit dem Taxi oder allein die Suche nach einem leeren „Yellow Cap“ zum Albtram werden. Und: Die Subway ist natürlich billiger.

Kein Wunder also, dass vom Tellerwäscher bis zum Börsenmakler fast alle New Yorker täglich in die Schächte unterhalb der Hochhäuser hinabsteigen und sich wie Ölsardinen in den Waggons drängeln.

In den ersten Monaten hatte ich ein beinahe „romantisches“ oder „abenteuerliches“ Bild von der Subway. Kannte ich doch noch die T-Shirts, auf denen stand: „Ich überlebte die Subway.“ Sie stammten aus der Zeit, in der die Subway mit Graffiti bemalt (beschmiert?) war und in der viele Menschen Angst hatten, nach 20 Uhr „unter Tage“ zu gehen.

Später mischte sich eine Art Ernüchterung ein. Vor allem zu den Hauptverkehrszeiten (7 bis 9 Uhr und 17 bis 20 Uhr) nahm ich leere Augen, Anonymität oder manchmal auch Feindseligkeit wahr. Alles Anzeichen eines harten Überlebenskampfes in der Stadt, die niemals schläft und in der alles auf der Jagd nach dem Dollar ist.

Die „New York Times“ nahm jetzt die Insassen eines Subway-Waggons unter die Lupe. Sie wählte die Q-Line, die von Brooklyn nach Manhattan führt. Einer der typischen Pendler-Züge. Denn die meisten Menschen, die in Manhattan arbeiten, leben in den anderen, preiswerteren Boroughs wie Queens, Bronx, Harlem oder Brooklyn. Der Q-Train ist also ein wunderbarer Spiegel des Normal-Bürgers in der Mega-Stadt New York.

Ein Donnerstagmorgen, 8 Uhr 27 an der DeKalb Avenue in Brooklyn. „Closing doors. Attention please…“, ertönt es aus dem Lautsprecher in dem Subway-Waggon. Ein Ruck und der Zug fährt an.

128 Menschen sitzen zusammengepfercht in dem Wagen. 99 von ihnen sind bereit, sich fotografieren und befragen zu lassen. Vier Passagiere schlafen, acht haben sich mit einem iPod von der Umwelt isoliert. Die anderen lehnen die Umfrage genervt ab.

• Ältester Passagier: 69 Jahre.

• Jüngster Passagier: 3 Jahre.

• Kürzeste Wohnzeit in New York: 1 Woche

• Längste Wohnzeit in New York: 69 Jahre.

• Berufsstände: 73

• Häufigste Berufe: Student (6), Architekt (4).

• Weitere Berufe: Anwalt, Arzt, Beamte, Fitness-Trainer, Designer, Praktikant, Sekretärin, Computer-Programmierer, Putzfrau, Turnschuh-Verkäufer, Psychologe, Banker, Finanz-Analyst, Journalist….

• Menschen, die in New York geboren wurden: 34.

• Geburts-Nationen: USA, Russland, Barbados, Trinidad/Tobago, Kolumbien, England, Ukraine, Ecuador, Haiti, China, Frankreich, Guatemala, Australien, Grenada, Bangladesch, Japan, Türkei, Indien, Dominikanische Republik, Spanien, Jamaika, Nigeria. (Kein Deutscher dabei – aber das ist sicher nur Zufall).

Menschen und ihre Geschichten:

Nadia Gavrylchenko (30) aus Russland. Sie kam mit ihrer Familie nach New York, als sie zehn Jahre alt war. Sie heiratete einen Ukrainer, hat einen Sohn (6) und fährt mit der Subway täglich zur Arbeit (Büro-Managerin). „Ich habe versucht, woanders zu leben. Aber New York ist und bleibt Zuhause.“

Susan Gross (33), gebürtige New Yorkerin und Scheidungsanwältin. „Ich bin keine New Yorkerin, ich bin Brooklynite. Das Leben in den einzelnen Stadtteilen ist so unterschiedlich, dass man betonen muss, wo man lebt.“ Damit liegt sie richtig. Manhattan beispielsweise ist inzwischen zur exklusiven Insel der Millionäre mutiert.

Carla Cravens (32), Amerikanerin aus Dallas, seit einem Monat in New York, Innen-Designerin. „In Texas muss man lange Strecken mit dem Auto fahren und die Immobilien-Preise sind irre hoch. Da ist es einfach sinnvoll, nach New York zu ziehen. Ich liebe das Leben in der Stadt. Kein Auto – und einen Job habe ich auch sofort gefunden.“

Nathaniel Long (30), Amerikaner aus Ohio, Online-Verkäufer und freiberuflicher Schriftsteller. Er studierte Journalismus: „Doch in Ohio gab es keine Jobs.“ Deshalb ist er in New York und arbeitet nachts an seiner Leidenschaft: Schreiben über die Hip-Hop-Szene in Brooklyn.

Arber Camargo (37), Kolumbianer und Ingenieur, kam vor fünf Jahren in die USA und nach New York. „Familienangehörige waren schon vor mir hier. New York ist gut zu mir. Ich gehe nicht nach Kolumbien zurück.“

Nachdem ich diese Geschichte gelesen hatte, sah ich eine Story in der „New York Post“ über den meistgehassten Baseball-Spieler New Yorks: John Rocker, Ex-Star der Boston Red Sox (Erzfeind der New York Yankees).

Rocker wurde zum meistgehassten Sportler New Yorks, nachdem er Subway-Fahrer so beschrieben hatte: „Irgendein Kid mit pinkem Haar neben einer Figur mit Aids neben einem Typen, der gerade zum vierten Mal aus dem Knast entlassen wurde, neben einer 20-jährigen Mutter mit vier Kindern….“

Vielleicht sollte er erst mal selbst mit der Subway fahren. Punk.

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