How Far Left is Obama?

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Wie links ist Obama?

Von Werner A. Perger | © ZEIT online 22.7.2008 – 17:30 Uhr

Was die progressive Szene Amerikas über den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten denkt

Barack Obamas öffentlicher Auftritt in Berlin ist nicht zuletzt dank Angela Merkel und des Geredes um den Ort der heiligen Handlung eine Art Mega-Event geworden. Jetzt schaut alle Welt zu, auch wenn es nicht leicht ist, amerikanischen Gesprächspartnern klarzumachen, was für die Kanzlerin den feinen symbolischen Unterschied ausmacht zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule. Nun ja.

Große Erwartungen an den Besuch des charismatischen Hoffnungsträgers aus Chicago haben jedenfalls die deutschen Gegner des Irakkriegs, zu denen Angela Merkel nicht von Anfang an gehörte. Dazu kommen diejenigen, die nach acht Jahren Bush-Cheney immer noch an das Gute im Amerikaner glauben. Und schließlich die europäische Linke, vor allem die Sozialdemokratie, die in vielen Ländern aus dem letzten Loch pfeift und von sich auch gerne sagen würde: Yes, we can!

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Passend zum Besuch des Propheten eines besseren, anständigen Amerikas stellt dieser Tage die grüne Heinrich-Böll-Stiftung in ihrem neuen Themenheft die im Prinzip nicht mehr ganz neue Frage, was heute noch links sei: „What’s left: Mit wem geht die neue Zeit?“ Darin geht sie auch der aktuellen Variante dieses Themas nach, ob „der künftige amerikanische Präsident“ links sei. Eine berechtigte Frage, angesichts der Hoffnungen, die sich auf der Linken an die Kandidatur des Senators von Illinois knüpfen, auch angesichts der Ängste, die von der amerikanischen Rechten landauf, landab deswegen geschürt werden.

Man kann auch fragen: Wie links ist Obama? Wie kompliziert die Antwort ist, merkt man, wenn man darüber im linken Milieu der Vereinigten Staaten diskutiert, mit Liberals, wie sie im politischen Jargon der USA genannt werden. Sie alle verbinden mit Obama und der Chance einer größeren Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus die Hoffnung auf entscheidende politische und soziale Veränderungen. Illusionen haben sie jedoch keine.

Change, der Wandel, den Obama pauschal verheißt, hat viele Abteilungen: Gesundheitsreform, Bildungschancen, Investitionen in die Infrastruktur, Steuergerechtigkeit, Gewerkschaftsrechte, Korrekturen in der Handelspolitik, Klimaschutz und nicht zuletzt ein Ende des Irak-Engagements. Ein weites Feld mit vielen Hindernissen und Durststrecken. Die amerikanischen Linken sehen das jedoch mit einem beinahe fröhlichen Realismus, denn: Bush muss weg. Und erst dann folgt das Reich der Notwendigkeit: Ein Wahlsieger Obama wird Kompromisse eingehen müssen.

Wunsch und Wirklichkeit – das Obama-Dilemma. Auf den Punkt bringt das, stellvertretend für die meisten anderen, Todd Gitlin in New York. Der bekannte Medienkritiker und Professor an der Columbia-Universität, Eingeweihten nicht zuletzt als Wortführer der studentischen „68er“-Bewegung in Erinnerung, sieht Obama im Spannungsfeld zwischen den Erwartungen, die er als visionärer Wahlkämpfer weckt, und der begrenzten Möglichkeiten, diesen Erwartungen dann als Wahlsieger gerecht zu werden: „Im Prinzip ist er ein Mann der Linken. Aber als Präsident wird er nicht als Sozialdemokrat regieren können.“

Peter Dreier vom Occidental College in Los Angeles, der ersten akademischen Anlaufstelle Obamas nach seinem Wechsel als junger Mann von Hawaii auf das amerikanische Festland, sieht in dem Kandidaten einen „pragmatischen Linken“, entschlossen zum Kampf um Veränderungen, aber auch bereit zur Einsicht in politische Realitäten. Gegen die Wand werde Obama nicht laufen. „Wenn die Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus ausreichen, wird er als sozialer Demokrat regieren, wenn nicht, muss er im Zentrum bleiben – wie Clinton.“ Das wäre freilich ein Zwang zur Bescheidenheit, der seinen Unterstützern viel Selbstdisziplin abringen würde.

Realistisch argumentiert auch Madeline Janis, Leiterin der einflussreichsten Non-profit-Organisation in der Region Los Angeles im Kampf um Gewerkschaftsrechte und soziale Stadtentwicklung (L.A.A.N.E.). Ihre Aktivistengruppe verfügt über hohes Blockadepotenzial, wenn Stadtverwaltung, Makler, Architekten und Bauunternehmer ihre Forderungen (Sozialwohnungen als Teil urbaner Großprojekte, lebensgerechte Löhne auf den Baustellen, Zulassung von Gewerkschaften) zu ignorieren versuchen. Auf Grund ihrer jahrelangen Arbeit gilt Los Angeles heute als ein progressives Zentrum der Nation, mit 18-prozentigem gewerkschaftlichem Organisationsgrad, gegenüber 12 im US-Durchschnitt. Sie definiert ihr Konzept eines linken Pragmatismus ohne Zögern: „Wir sind pro-kapitalistisch, aber sozialdemokratisch – wir nützen die Dynamik des Kapitalismus und des Marktes, aber das Kapital hat neben den Rechten auch Pflichten, und die Regierung spielt dabei eine wichtige Rolle.“ Der amerikanische Präsident ist in ihrer Sicht im Wirtschaftsprozess nicht nur Zuschauer, sondern ein wichtiger Akteur – wie der Bürgermeister von Los Angeles, ein Latino, der sich als moderater Progressive profiliert hat und als möglicher Herausforderer für Gouverneur Schwarzenegger gilt.

In Washington schließlich warnt Emma Jordan, afro-amerikanische Juristin an der Georgetown Universität und in Fachfragen Beraterin des Obama-Teams, vor überzogenen Erwartungen: „Das Wahlprogramm der Kandidaten ist nicht mehr als eine Wunschliste, nach dem Motto: ‚Wenn ich der König der Welt bin …’ Nach der Wahl merkt jeder, dass er nicht König der Welt ist, sondern nur Präsident der Vereinigten Staaten.“ Aber immerhin: Ein Präsident Obama werde das Land nach links verschieben: „Nach acht Jahren Bush heißt das: Wir kehren zurück zur Mitte.“ Der erste Schritt sollte demnach gar nicht so schwer sein.

Dass ein Wahlsieg des Volkstribuns Obama auch auf Europa wirken wird, mit seinem Pessimismus und brüchigen Strukturen, darüber herrscht unter den US-Progressiven Einigkeit. Einer der besten Kenner der Linken, der sozialen Bewegungen und der Parteienlandschaft auf beiden Seiten des Atlantiks ist der emeritierte Georgetown-Soziologe Norman Birnbaum.

Er setzt seine Hoffnung auf genau diese tektonische Fernwirkung: „Ein Wahlsieg Obamas, nachdem er bei uns alle politischen und psychologischen Strukturen durchbrochen hat, wäre eine ernsthafte politische Botschaft an Europa und eine massive Herausforderung an die strukturelle Rigidität der europäischen Politik.“

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