Socialism for the Rich

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Sozialismus für Reiche

von Wolfgang Münchau

Die US-Wirtschaftspolitik trägt Mitschuld an der Finanzkrise. Die Amerikaner setzen sie bewusst ein, um Preise künstlich hochzuhalten. Um Blasen machen sie sich keine Sorgen – mit fatalen Folgen.

In den angelsächsischen Volkswirtschaften spielt das Finanzsystem eine herausragende Rolle. Die Finanzkrise ist deshalb eine ganz besondere Herausforderung für die Wirtschaftspolitik. Jedoch lautet eine der wesentlichen Fragen, die man stellen sollte: Inwieweit hat die amerikanische Wirtschaftspolitik diese Krise überhaupt erst verursacht?

Die wesentlichen Merkmale, durch die sich die angelsächsische Wirtschaftspolitik von unserer unterscheidet, ist die Priorität des Wachstums gegenüber Geldwertstabilität und außenwirtschaftlicher Stabilität. Natürlich ist Preisstabilität auch in den USA ein Ziel der Geldpolitik, aber eher ein untergeordnetes. Man akzeptiert sie zwar, aber wenn es kurzfristig zu Konflikten kommt, dann haben Wachstum und Vollbeschäftigung Vorrang.

Die US-Wirtschaftspolitik hat ebenfalls keine konkreten Zielsetzungen bezüglich des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Solange ausländische Investoren bereit sind, die amerikanische Verschuldung zu finanzieren, braucht man sich über ein Leistungsbilanzdefizit von sechs oder sieben Prozent keine Sorgen zu machen. Eine negative Sparquote wird nicht nur akzeptiert, sondern als nachhaltig postuliert. Die Amerikaner begreifen sich als Konsumenten der letzten Instanz.

Auch um Blasen braucht man sich in der amerikanischen Orthodoxie keine Sorgen zu machen. Nur wenn sie platzen, so das Mantra vieler US-Ökonomen, muss die Zentralbank wie eine Feuerwehr zu Hilfe eilen und das Feuer löschen.

Wettbewerb nur an der Oberfläche

Was die strukturellen Aspekte der Wirtschaftspolitik angeht, sind die USA in der Regulierung von Güter- und Arbeitsmärkten liberaler. Im Finanzmarkt dagegen herrscht zwar oberflächlich ebenfalls ein freier Wettbewerb – aber nur nach außen. Die Notenbank Federal Reserve und die Regierung stehen als Retter in der Not jederzeit Gewehr bei Fuß. Hypotheken werden durch die semistaatlichen Hypothekenkolosse Fannie Mae und Freddie Mac gedeckt. Zyniker sprechen dabei von Sozialismus für Reiche.

Amerikanische Ökonomen reagieren in der Regel zumeist mit Empörung auf die Behauptung, die eben genannten Aspekte hätten irgendetwas mit dieser Krise zu tun. Sie machen Politiker, Regulierer, Banker, Ratingagenturen und Hedge-Fonds für die Turbulenzen verantwortlich, aber nicht die Notenbanker und schon gar nicht sich selbst.

Man sollte angesichts dieser Sichtweise erwarten, dass man versuchen wird, diese Krise mit denselben Methoden zu überwinden, auf die man bereits bei früheren Krisen zurückgegriffen hat. Mit ihrer Zinssenkung von 325 Basispunkten hat die Federal Reserve trotz steigender Inflationsraten eindeutig bewiesen, dass sie im Konfliktfall ihren Fokus auf das Wachstum legt. Auch heute noch wird in den USA die Inflationsgefahr kleingeredet. Man hofft darauf, dass ein sinkender Ölpreis das Problem von selbst löst – und das, obwohl die neuesten Indikatoren für die Inflationserwartung auf mittlerweile mehr als fünf Prozent gestiegen sind.

Mit ihrer Niedrigzinspolitik begünstigt die Fed entweder die Inflation oder eine neue Blase in einem anderen Segment des Kreditmarkts oder sogar beides. Gleichzeitig verhindert die US-Wirtschaftspolitik durch die billigen Zinsen und durch direkte staatliche Subventionen eine notwendige und längst überfällige Anpassung der Immobilienpreise. Hier wird Wirtschaftspolitik ganz bewusst eingesetzt, um Preise künstlich hochzuhalten. Gleichzeitig versuchen Regierung und Fed, möglichst viele marode Banken und Investmentbanken mit Steuergeldern am Leben zu erhalten. Die Rettung der US-Konjunktur wird zu einem riesigen Kraftakt, der am Ende mehr Probleme aufwirft, als er löst. Nachhaltig ist eine derartige Strategie nicht.

Hinter der Praxis der amerikanischen Geldpolitik steht eine Theorie, eine aus dem Angelsächsischen stammende Lehre, die sich New Keynesianism nennt. Es handelt sich hier nicht um den in Deutschland bekannten Neo-Keynesianismus, sondern um eine relative moderne Theorie, deren technisches Modell mittlerweile bei Zentralbanken in aller Welt verbreitet ist. Es ist derart konzipiert, dass Geld und Finanzmärkte keine Rolle spielen. In diesem Modell existiert nur die reale Wirtschaft. Es ist somit auch kein Wunder, dass die auf das Modell fixierten Notenbanken die Subprime-Krise überhaupt nicht gesehen haben.

Schluss mit dem Superprivileg

Diese vorwiegend in den USA entwickelte Theorie ist heute ähnlich dominant wie der Monetarismus in den 70er-Jahren. Zu den Exponenten dieser Theorie gehört Federal-Reserve-Chef Ben Bernanke. Auch der scheidende Fed-Gouverneur Frederic Mishkin ist ein bekannter Vertreter dieser Denkschule. Das wirtschaftspolitische Establishment in den USA wird nicht ohne Weiteres eine Theorie fallen lassen, die es zum Teil selbst entwickelt hat. Aber auch diese Theorie wird irgendwann fallen, wenn sie von den Fakten nicht mehr gedeckt ist.

Darüber hinaus erwarte ich, dass die globalen Ungleichgewichte sich langfristig nicht aufrechterhalten lassen. Mit negativen Sparquoten werden die USA langfristig nicht überleben. Die USA sind gerade dabei, ein Gut zu verlieren, für das es im Deutschen keinen wirklichen Namen gibt: das “Exorbitant Privilege”, das Privileg, für immer und ewig über seine Verhältnisse zu leben, wohingegen dem Rest der Welt die Rolle bleibt, dieses Privileg zu finanzieren.

Dieses Privileg hat auch das volkswirtschaftliche Denken in den USA beeinflusst. Nur wer ein solches Privileg genießt, kommt schneller zu dem Schluss, dass Defizite aller Art unwichtig sind oder dass man sich über Blasen keine Sorgen machen sollte. Die US-Wirtschaftspolitik und deren Vordenker werden jetzt mit einer Welt endlicher Ressourcen konfrontiert, in der man seinen Dollar nicht zweimal ausgeben kann. In dieser Welt ist der Dollar nicht mehr so übermächtig, dass die USA ungestraft tun und lassen können, was sie wollen.

Mit anderen Worten: Was die Wirtschaftspolitik angeht, wird Amerika zusehends deutscher.

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