Old is Beautiful

<--

Old is beautiful

Josef Joffe

»Curiouser and curiouser« – seltsamer und seltsamer –, rief Alice, als sie durch ein tiefes Loch ins Wunderland stürzte, wo keines der vertrauten Naturgesetze funktionierte. Fiele sie heute ins Wunderwahlland Amerika, würde Alice genauso verblüfft ausrufen: Wieso bleibt John McCain, dieser vorbestimmte Loser, dem Glückskind Barack Obama so dicht auf den Fersen?

Über das »unheimliche Durchhaltevermögen des John McCain« echauffiert sich das Pro-Obama-Blatt New Republic. Verflogen ist der »Siegessäulen-Bonus«. Ende Juli kehrte der schwarze Senator mit neun Punkten Vorsprung aus Berlin zurück; vergangenen Samstag meldete Gallup ein Gleichauf. Rasmussen, das Institut, das mit den größten Stichproben (rund 3000) arbeitet, verkündete am Dienstag ebenfalls ein Unentschieden: 44 zu 44 Prozent. Bei der »Wie tendieren Sie?«-Frage steht es gar 47 zu 46 für McCain.

Während Alice durch ihr Loch segelt, würde sie berätselt aufzählen: Obama ist jung und cool, McCain alt und abgegriffen. Der 71-Jährige ist zwar ein »Parteifreund« (die Steigerung von »Todfeind«) von George W., aber doch Republikaner. Und die haben dem Land den Irakkrieg, die Rezession und den tuberkulösen Dollar hinterlassen. Hätte Alice US-Geschichte gelernt, würde sie auch diese gegen McCain aufbieten: Nur einmal seit Roosevelt hat es eine Partei geschafft, das Weiße Haus dreimal hintereinander zu erobern; das war unter Bushs Vater. Nach zweimal Reagan.

McCain redet manchmal Unsinn, zum Beispiel, dass der Irak an Pakistan grenze. Seine Attacken werden schärfer, wie zum Beispiel in einem TV-Spot, in dem die Großpolitikerinnen Britney Spears und Paris Hilton in einer Reihe mit Obama auftauchen. Die Botschaft: Der Mann ist genauso ein Leichtgewicht – berühmt, weil er berühmt ist.

Und doch hat der Alte aus Arizona inzwischen die höheren Sympathiewerte. Er kriegt drei Punkte mehr auf der »Ich finde ihn ganz gut«-Skala als Obama. Was ist los? Wird hier Rasse zur Waffe? Beweisen lässt sich diese Theorie nicht. Nur acht Prozent der weißen Wähler geben zu Protokoll, dass die Hautfarbe der Kandidaten der »entscheidende Faktor« sei. Was dann? Hier sind zwei plausiblere Thesen. Erstens: Obama rutscht in die Arroganz-Falle (so wie im Vorwahlkampf die »unvermeidliche« Hillary Clinton 2007); er tut so, als wäre er schon Präsident, indem er etwa über sein Übergangsteam plaudert. Zweitens: Er verliert den Heiligenschein, weil er seit diesem Sommer immer öfter nach rechts rückt – zuletzt, als er ein klassisches Republikaner-Projekt befürwortete: Ölbohrungen vor der Küste.

Möglich, dass der Wähler nun wie Alice denkt: Seltsamer und seltsamer. Wenn auch Obama nur so ein typischer Politiker ist, nehmen wir doch lieber den Mann, den wir seit 26 Jahren aus dem Kongress kennen – und nicht diesen jungen Spund, der erst drei Jahre im Senat hinter sich hat und in dieser Zeit 120-mal mit »Enthaltung« votiert hat.

Jedenfalls beginnen sich Obamas Freunde zu sorgen. »Dass alle Daten für ihn sprechen«, mault die New Republic stellvertretend für das Anti-Bush-Lager, »heißt noch lange nicht, dass er den Sieg nicht verpatzen kann.«

About this publication