(TRANSLATORS NOTE: While this article appeared four months ago, I feel it expresses a distinctively European view of the coming election, especially for those convinced that Change We Can Believe In may be on the horizon).
Politics begins with the observation of reality. One can only change and improve reality after identifying the prevailing conditions, examining them closely, and experimenting with and modifying them until their potential for further development can be recognized and traced.
Long-term and intensive contemplation of reality is necessary when it concerns changing domestic and above all socio-political policy. Only through intensive observation and listening can we hope to hear when the flea of change sneezes, so to speak. If this holds true for to the domestic and socio-political policy front, it should also hold true for the foreign policy arena, but with one qualitative difference: observation and listening are somewhat more difficult. Whoever sees foreign events from too far a distance may fall victim to a national or continental European determined narrowing of viewpoint.
Whoever wants to avoid sinking into the superficiality and blurriness of foreign conditions must watch and learn in greater detail. One has to take the pulse where it beats: on the actual spot. Todays pulse beats primarily in Washington and Moscow and conflating the impressions one gets from visiting America and Russia produces the material from which world politics in the coming years will be made.
We in Europe cast a purely European glance at the American presidential election now reaching its climax. That means we confuse the problems we have in our relations with the U.S. with those problems the Americans have with themselves. Therefore, we think the Iraq war will be a decisive factor in the U.S. elections. The majority of Europeans are against that war. We think we know that America has lost the war in Iraq without winning the peace. We Europeans think that whoever didnt win the peace must also lose the election.
But in America, the clocks tick differently. There, whoever isnt solidly behind the boys in Iraq will lose the election. America is at war. The Americans arent a warrior people, but they are a people with warriors. To give them the cold shoulder means to lose the presidency. The Iraq question will have no meaning in the election because neither candidate will withdraw support for the troops. The hope that a Democratic victory in November will lead to a quick end to the war in Iraq speaks volumes about the naiveté with which many Europeans view America. The same goes for the idea that a Democratic victory would mean the beginning of improved relations between the U.S. and the European Union.
A Democratic president will mean Europeans will be asked for greater allegiance to the United States and increased participation in the fighting in Afghanistan. But Europeans have reached the limits of their military capacity and can only react negatively to demands for more troops. Their already predictable we cant will lead a Democratic White House to publicly conclude that the world cant count on the Europeans. Trans-Atlantic concerns that the U.S. will tend towards protectionism a tendency already apparent - will become increasingly visible and will obviously be directed toward Europe. The bottom line: Europeans dream of a genial post-Bush era but the reality is its unlikely to be genial.
Europeans traveling to Moscow currently get a more richly colored picture than do those who observe it from a distance. A younger and less experienced president has replaced Putin. Many Europeans seem to think dealing with him will be easier and smoother than dealing with his predecessor. This impression is deceptive. Whoever heard the new Russian president refer to European treason in the question of Kosovo knows that Europes recognition of the breakaway republic will remain an open wound in Russian-European relations for many years. While we may see minute changes in the new presidents foreign policy, the basics will remain the same.
Anyone given the opportunity, as I will be, to sit down and talk with Bush, Putin and Medvedev, to engage in give-and-take debate with them for three weeks, would come to one conclusion: elections change the world far less than we think. Mostly, it all remains the same.
Wahlen verändern die Welt nur wenig
VON JEAN-CLAUDE JUNCKER
Politik fängt mit der Beobachtung der Wirklichkeit an. Man kann die Wirklichkeit nur dann verändern und verbessern, wenn man sich die bestehenden Verhältnisse vor Augen führt, sie unter die Lupe nimmt, sie so lange kehrt und wendet, bis man ihre potenzielle Weiterentwicklung spüren und erahnen kann.
Die lange und intensive Betrachtung der Wirklichkeit ist notwendig, wenn es um innenpolitische und vor allem um gesellschaftspolitische Veränderungen geht: Nur intensives Zuschauen und Zuhören erlaubt es, das Niesen zukünftiger Transformationsflöhe zu hören. Was in der Innen- und Gesellschaftspolitik das Grundmuster politischer Methode sein sollte, stimmt in der Außenpolitik allemal. Mit einem qualitativen Unterschied allerdings: Das Betrachten und das Zuhören sind etwas schwieriger. Wer aus zu großer Entfernung auf die Dinge der sonstigen Welt sieht, der wird Opfer der nationalen oder kontinental-europäisch bedingten Verengung des Blickwinkels.
Wer nicht in der Oberflächlichkeit ferner und getrübter Observation der Verhältnisse andernorts versinken möchte, muss sich genauer umsehen und informieren. Er muss den Puls dort fühlen, wo er schlägt: vor Ort. Der Puls der Zeit schlägt zurzeit vor allem in Washington und Moskau, denn das Zusammenführen der Eindrücke, die man bei Amerika- und Russlandreisen gewinnt, ergibt den Stoff, aus dem in den nächsten Jahren Weltpolitik gemacht wird.
Wir in Europa werfen auf den amerikanischen Wahlkampf, der sich auf den Höhepunkt zu bewegt, einen strikt europäischen Blick. Das heißt: Wir verwechseln die Probleme, die wir im Umgang mit den USA haben, mit den Problemen, die die Amerikaner mit sich selbst haben. Ergo denken wir, dass die Irakfrage wahlentscheidende Bedeutung in den USA hätte. Wir in Europa sind mehrheitlich gegen den Irakkrieg. Wir glauben zu wissen, dass die Amerikaner den Krieg im Irak verloren und den Frieden nicht gewonnen haben. Wir in Europa denken, dass derjenige, der den Frieden nicht gewonnen hat, die Wahl verlieren muss.
Doch in den USA ticken die Uhren anders. Dort wird derjenige die Wahl verlieren, der sich nicht mit den US-Boys im Irak solidarisiert. Amerika befindet sich im Krieg. Die Amerikaner sind kein Soldatenvolk. Aber sie sind ein Volk mit Soldaten. Wer ihnen die kalte Schulter zeigen würde, der würde die Präsidentschaftswahl ohne jeden Zweifel verlieren. Die Irakfrage wird mithin keine wahlentscheidende Bedeutung haben können, weil kein Präsidentschaftskandidat den amerikanischen Soldaten die Unterstützung entziehen wird. Die Hoffnung, ein Sieg der US-Demokraten im November führe dazu, dass das Kriegsblatt im Irak über Nacht gewendet würde, spricht Bände für die naive Amerika-Betrachtung vieler Europäer. So, wie es auch europäischem Wunschdenken entspricht, einen möglichen Wahlsieg von Clinton/Obama oder Obama/Clinton zum Auftakt verbesserter US-EU-Beziehungen zu apostrophieren.
Jeder demokratische US-Präsident wird die Europäer vor allem in der sich dramatisch entwickelnden Afghanistanfrage zum Rütlischwur drängen und von ihnen ein gesteigertes Engagement am Hindukusch einklagen. Die Europäer haben jedoch die Grenzen ihrer militärischen Kapazität fast schon überschritten und werden auf zusätzliche Truppenanforderung nur negativ reagieren können. Ihr heute schon absehbares non possumus wird im eventuell demokratisch bestellten Weißen Haus zu öffentlich geäußerten Schlussfolgerungen führen, dass auf die Europäer kein Verlass ist. Die transatlantische Spannungsdichte wird dadurch noch sichtbarer werden, dass egal wer im November das Rennen um das Weiße Haus für sich entscheidet die US-amerikanischen Vorzeichen heute schon auf einen Anstieg protektionistischer Tendenzen stehen, die sich in allen Fällen vornehmlich gegen Europa richten werden. Fazit: Die Europäer träumen von einer leutseligen Nach-Bush-Ära, doch leutselig wird diese nicht werden.
Auch der europäische Moskau-Reisende gewinnt zurzeit ein farbenreicheres Bild als dasjenige, das sich aus entfernterer Beobachtung ergibt. Ein an Jahren junger Präsident folgt einem an Erfahrungen reichen Präsidenten. Viele in Europa denken, das Neben- und Miteinander mit dem Neuen würde einfacher und reibungsfreier als das Auf und Ab mit Putin. Dieser Eindruck täuscht. Wer den neuen russischen Präsidenten über den europäischen Verrat in der Kosovo-Frage hat reden hören, ihn hat sagen hören, dass die Anerkennung eines unabhängigen Kosovo für lange Jahre eine offene Wunde in den europäisch-russischen Beziehungen bleiben wird, der merkt: Der neue russische Präsident wird die Außenpolitik allenfalls in Nuancen verändern. Die Grundlinien der Politik bleiben.
Wer wie ich in weniger als drei Wochen mit Bush, Putin, Medwedjew neun Stunden lang hat reden und kontrovers debattieren können, kommt zu folgendem Schluss: Wahlen verändern die Welt weit weniger, als wir denken. Das Meiste bleibt beim Alten.
This post appeared on the front page as a direct link to the original article with the above link
.