Die Außenpolitik der Sarah Palin
Von Thomas Kleine-Brockhoff | © ZEIT ONLINE 16.9.2008 – 13:23 Uhr
Die Bush-Doktrin kennt Sarah Palin also nicht. Aber wie wärs mit der Palin-Doktrin? “Dont blink!” Frei übersetzt: nicht zucken, nicht zögern, lieber zuschlagen, gern auch präventiv. Ein schönes Credo
Zwei Wochen lang hatte Amerika Zeit, sich in die frisch wachgeküsste Polit-Prinzessin Sarah Palin zu verlieben. Ach je, was hat das Land sich Hals über Kopf in diese Affäre geworfen. An Palin war einfach nichts mehr falsch. Eine Stimme des Volkes. Des kleinen Mannes. Und natürlich aller Frauen. Aus der Frische Alaska kommend. Von dörflicher Rechtschaffenheit. Authentisch. Geradlinig. Unbestechlich. Echte Frauen-Power. Oh John McCain, welch genialischer Streich, diese Frau zur Vizepräsidentschaftskandidatin erhoben zu haben! Plötzlich sehen die Umfragen so freundlich aus.
Ja, unter den kontrollierten Versuchsbedingungen eines Parteitages konnte Sarah Palin glänzen. Danach haben aber McCains Mandarine die charismatische Sarah unter Quarantäne gestellt. Bloß nichts sagen lassen, bloß nicht alleine auftreten lassen. Bloß nicht der Presse zum Fraß vorwerfen. Doch irgendwann lässt es sich nicht mehr vermeiden. So tritt Sarah Palin seit dem Wochenende heraus aus der fürsorglichen Umklammerung ihrer Berater. Und siehe da: Die Grundzüge einer Außenpolitik werden sichtbar. Deren wichtigstes Kennzeichen: die uninformierte Kraftmeierei.
“Stimmen Sie der Bush-Doktrin zu?”, fragt Fernsehmann Charlie Gibson. Palin zögert. Sie weiß mit der Frage nichts anzufangen. So kontert sie, wie aus dem Lehrbuch, mit einer Gegen-Frage: “In welcher Hinsicht, Charlie?” Gibson merkt, dass sie sich windet, er will sie nicht von der Angel lassen: “Wie interpretieren Sie die Bush-Doktrin?” Wieder eine Pause. Dann: “Sie meinen seine Weltsicht.” “Nein”, widerspricht einmal mehr der Interviewer, “Bushs Doktrin aus dem Jahre 2002”. So geht das weiter. Palin entzieht sich, der Interviewer setzt nach. Dass die Gouverneurin von Alaska, die sich aus geografischen Gründen als Energie- und Russland-Expertin rühmt, keinerlei Ahnung von den Grundzügen Bushscher Außenpolitik hat, bleibt auch dem letzten Zuschauer nicht verborgen.
Anderntags schreibt der Journalist James Fallows auf der Website von The Atlantic: “Sarah Palin hat gezeigt, dass sie nicht genügend Interesse an Weltpolitik hat, um auch nur minimal gesprächsfähig über derlei Gegenstände zu sein.” Und die Reaktion? Entsetzen in Partei und Bevölkerung? Nein, es scharen sich die Truppen der Konservativen um ihre Kandidatin. Formidabel habe sie sich geschlagen, heißt es. Die Sache mit der Bush-Doktrin? Papperlapapp! Es gebe doch nicht nur eine Bush-Doktrin, sondern derer sieben, dröhnt der Kolumnist Charles Krauthammer. Wer wolle da noch mitkommen?
Okay, mag sein. Zugleich wollen wir die Windungen und Wirrnisse Bushscher Außenpolitik nicht auch noch Sarah Palin vorhalten. Was also hat sie gesagt, das erhellend sein könnte? Beispiel Georgien. Frage: Nato-Mitgliedschaft? Natürlich, meint Palin. Ob das aber nicht bedeute, die Vereinigten Staaten würden gegen Russland in den Krieg ziehen, wenn Russland Georgien nochmals besetze? “Vielleicht käme das so.” Als Nato-Partner sei man zur Hilfe verpflichtet, wenn ein Partnerland angegriffen werde dass Russland Atomwaffen besitzt, scheint nebensächlich. Beispiel Israel: Als Palin nach ihrer Ansicht zu einem möglichen Angriff Israels auf Irans Atomanlagen gefragt wird, meint sie, man solle nicht im Nachhinein kritisieren. Wie wärs mit vorher? Wenn israelische Jets den Iran erreichen wollen, müssen sie den amerikanisch kontrollierten Irak überfliegen und zwar nicht ohne amerikanische Genehmigung. Beispiel Irak: Palin verabschiedet junge Soldaten in den Irak, darunter ihren eigenen Sohn und sagt: “Ihr seid dort, um die Unschuldigen vor jenen Feinden zu verteidigen, die den Angriff auf Amerika und den Tod von Tausenden geplant und ausgeführt haben.” Will Palin behaupten, dass der Irak etwas mit den Angriffen vom 11. September 2001 zu tun gehabt hat? Nicht mal mehr Präsident Bush wiederholt diese Behauptung.
Natürlich beeilt sich McCains Team, dem Land von all den Auslandserfahrungen der Sarah Palin zu berichten: Kanada, Mexiko, Kuwait, Irak, Deutschland, Irland. Doch auch noch der kleinste Informationsbrocken lässt sich sogleich dekonstruieren. Ja, sie war in Deutschland, aber nur in einem amerikanischen Militärkrankenhaus, nämlich während einer Besuchsreise des Pentagons, die sie auch nach Kuwait führte. Im Irak, so stellt sich nun heraus, war sie nicht, sie hat nur in den Irak hereingeschaut, nämlich von einem kuwaitischen Grenzposten aus. Und Irland, nun ja, das war eine Zwischenlandung zum Tanken. Die Kanadareise ist gesicherte Erkenntnis, aber den Mexiko-Besuch gilt es noch näher zu untersuchen. Wie auch das Gerücht, Palin habe überhaupt erst als Gouverneurin im Jahre 2007 einen Reisepass beantragt.
Mancher darf sich nun rühmen, den steilen außenpolitischen Aufstieg der Sarah Palin vorhergesehen zu haben. Im Juni 2007 befanden sich Belegschaft und Freunde des Weekly Standard auf Kreuzfahrt vor Alaska. Es war eine Art Gruppenausflug der Neokonservativen. Als das Schiff vor der Hauptstadt Juneau festmachte, erschien Sarah Palin, und manchem schien es, als könne sie eine der Führungsgestalten der neokonservativen Bewegung werden. Ein Jahr später ist es soweit. Die Neokons haben Palin mit außenpolitischen Beratern ausgestattet. Dabei soll es sich nicht um “Mentoren” handeln. “Wir wollen sie nicht in eine Professorin für Außenpolitik verwandeln”, sagt der frühere Marine-Minister John Lehman, aber doch in eine Kandidatin, die in ein paar Wochen die Fernsehdebatte besteht.
Bis dahin wird das Land vielleicht mehr über die außenpolitischen Ansichten der Kandidatin erfahren haben. Das hat Amerika auch nötig. Nur zu Erinnerung: McCain liegt in den Umfragen knapp vorn. Er ist 72 Jahre alt und hat ein Krebsleiden überlebt.
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