Im Scheinwerfer der Krisen
Von Thomas Kleine-Brockhoff | © ZEIT ONLINE 23.9.2008 – 11:04 Uhr
Der eine erratisch und planlos, der andere konventionell bis zur Langeweile: Die Krisen haben uns die Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama nähergebracht
Die Strategie des Kandidaten John McCain beruht darauf, dem Wahlvolk beizubringen, wie risikoreich es sei, Amerika in turbulenten Zeiten einem jungen und unerfahrenen Politiker auszuliefern. Dann schon lieber die ruhige Hand des alten Fahrensmannes John McCain. Die Strategie des Kandidaten Barack Obama beruht darauf, dem Wahlvolk beizubringen, wie risikoreich es sei, Amerika nach acht Jahren Bush-Desaster einem alternden Washington-Profi ohne neue Ideen zu übergeben. Dann schon lieber der Esprit und der Veränderungswille des jungen Charismatikers Barack Obama.
In schwerer See zeigt sich, wer Führungsqualitäten hat. Sogar dann, wenn Politiker nicht im Amt sind, sondern nur im Wahlkampf. Denn wo Wahlkämpfer nicht mehr vom Skript ablesen können, scheint ihr wahres Wesen durch. Krisen sind Charaktertests. Von Georgien bis Wall Street. Und da offenbart sich: Die Kandidaten sind nicht, wer sie behaupten zu sein. John McCain entpuppt sich keineswegs als der Weise von Arizona. Stattdessen erscheint er als spontan, sprunghaft und völlig unberechenbar. Risikobereit bis zur Verantwortungslosigkeit. Populistisch ohne jeden Skrupel. Einer, der aus der Hüfte schießt. Barack Obama zeigt sich keineswegs als der große Veränderer des Jahres 2008. Stattdessen präsentiert er sich als bedächtig und methodisch, langsam und vorsichtig. Er ist konventionell und bis zur Langeweile berechenbar. Gegen die Parteilinie lehnt er sich nicht auf.
Beginnen wir mit John McCain und mit der vergangenen Woche. Am Montag behauptet er, die Wirtschaft sei stark und die Fundamentaldaten seien gut. Am Dienstag meint er, die Fundamentaldaten seien zwar in Ordnung, aber die Wirtschaft in der Krise. Er schlägt eine überparteiliche Kommission vor, die der Krise auf den Grund gehen soll, erwähnt diese Kommission aber seither nicht mehr. Er wendet sich gegen eine Stützaktion für den Versicherungsriesen American International Group (AIG). Als die Bundesregierung dann eine Hilfsaktion für AIG bekannt gibt, zeigt er sich einsichtig und meint, sie sei unvermeidbar gewesen. Inzwischen hat sich seine Haltung nochmals verändert.
Am Donnerstag fordert er, den Chef der Finanzmarktkontrolleure, Christopher Cox, zu feuern, einen Mann, an dem McCain öffentlich zuvor noch nie Kritik geübt hatte und den er als Präsident auch gar nicht feuern könnte. Kurz darauf nennt er Cox einen guten Mann und erwähnt die Rücktrittsforderung nicht mehr. Als die Regierung Bush am Freitag ihre Stützaktion für den ganzen Finanzmarkt bekannt gibt, lobt McCain den Plan. Er selbst kündigt am selben Tag neue Gesetzesvorlagen zur Regulierung der Finanzmärkte an, obwohl er als Deregulierer landesweit seit Jahrzehnten bekannt ist. Am Sonntag der nächste Salto: Nun kritisiert er den Rettungsplan der Regierung. Newsweek nennt McCain deshalb Uncle Ziggy, Onkel Zick-Zack. Mit McCain bekomme der amerikanische Wähler, was er nicht wünsche: Ungewissheit.
Ach, wenn es doch nur Ungewissheit wäre! John McCain will durchmarschieren, durchregieren, den Knoten durchschlagen. Den Truppenaufbau im Irak befürwortet er trotz des Risikos. Beinahe ein halbes Jahr hat er Zeit, sich einen Vize-Präsidentschaftskandidaten zu suchen. Als sein innerer Kreis gegen seinen eigenen Kandidaten rebelliert (Joe Lieberman), da findet er binnen einer Woche und auf der Basis eines einzigen Interviews eine Alternative. Eine Frau, die beim Wähler große Ernte verspricht und doch eine Höchstrisiko-Auswahl darstellt. Genauso in der Georgien-Krise. Als der normale Zeitungsleser noch wissen will, wer mit dem Schießen begann, kennt John McCain schon den Schuldigen, als er sagt: Wir sind alle Georgier. In Wahrheit ist John McCain ein Ruck-Politiker.
Anders als Barack Obama, der vorsichtig bis zum Überdruss ist. Zur Georgien-Krise findet er tagelang seine Stimme nicht und überlässt McCain das Feld und die Initiative. Dass der Truppenaufbau im Irak funktioniert hat, ist ihm bis heute kaum einen Kommentar wert. Als er seinen Kandidaten für das Amt des Vize-Präsidenten wählt, geht er hochsystematisch vor und schließt all jene aus, die irgendwem in der Partei wehtun könnten. Bis heute ist Obama nicht dadurch aufgefallen, dass er sich in irgendeinem Politikfeld von der Orthodoxie seiner Partei abgesetzt hätte (was John McCain ein Dutzend Mal getan hat). Der Post-Parteipolitiker, als der er sich gibt, ist erstaunlich parteikonform.
Die Krise an der Wall Street ist ein Geschenk für Obama. In der vergangenen Woche, da Amerika wie eine bankrotte Bananenrepublik aussah, hätte Kandidat Obama das Kommando übernehmen können. Doch er attackierte kaum. Stattdessen wies er auf den überparteilichen Charakter der Krise hin und vermied Festlegungen über den staatlichen Rettungsplan. Obama gab sich, als sei er schon Präsident. Als McCain am Freitag seinen eigenen Plan bekannt gab, meinte die Obama-Kampagne, sie könne nichts sagen, erst müsse das Team von Bush den eigenen Plan vorlegen. Der Lieblingsgrund der Demokraten, warum ihr Mann Beißhemmungen habe, ist dieser: Obama sei zu nett, zu unschuldig, zu ehrlich und zu wahrhaftig. Ein bisschen Rassismus und die religiöse Rechte täten ein Übriges. Tatsächlich ist aber auch die Frage relevant, die Christopher Hitchens in Slate präsentiert: Warum ist Obama so fad und flach, so zurückhaltend und feige? Ja, warum nur?
Den Krisen sei Dank. Sie haben uns Amerikas Präsidentschaftskandidaten näher gebracht, als denen lieb war.
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