Socialism, George W. Bush Style

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Sozialismus à la George W. Bush!

Von Joschka Fischer | © ZEIT ONLINE 22.9.2008 – 10:15 Uhr

Amerika erlebt einen Niedergang seiner Macht, und die Finanzkrise ist nur ein Zeichen dafür. Europa muss mehr Verantwortung übernehmen

In wenigen Wochen jährt sich zum 19. Mal jene Nacht, in der die Mauer fiel und der Kalte Krieg zu Ende ging. Die USA standen in den Jahren danach allein auf dem Gipfel globaler Macht. Ein neues, amerikanisches Jahrhundert zeichnete sich damals ab, bestimmt und gestaltet allein von der Weltmacht USA.

Heute, nur 19 Jahre später, sind wir Zeugen des Niedergangs amerikanischer Macht. Dieser Niedergang lässt sich im Wesentlichen auf eine Mischung aus Hochmut und Blindheit der handelnden Akteure in den USA zurückführen.

Als einstweiliger Höhepunkt dieses Machtzerfalls erweist sich gegenwärtig die schwere Krise des amerikanischen Finanzsystems, die sich in ihrem Ausmaß nur noch mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 vergleichen lässt.

Staat und Bürger der USA lebten seit längerer Zeit schon auf Pump, angetrieben von einer Politik des billigen Geldes seitens der Zentralbank. Irgendwann musste die Anpassung an die harte ökonomische Realität jedoch kommen.

Zudem war mittels sogenannter „neuer Finanzinstrumente“ eine Schattenwirtschaft im Banken- und Finanzsystem geschaffen worden, welche die existierenden Kontrollen und gesetzlichen Beschränkungen erfolgreich außer Kraft setzte. Die Märkte hatten sich verselbstständigt und die ungezügelte Herrschaft der Gier erwies sich, nicht zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus, als ein Programm zur Selbstzerstörung.

Gewiss, dieser Prozess begann nicht erst mit der Wahl George W. Bushs zum 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Aber seit dieser Präsident und mit ihm die Neokonservativen in der Republikanischen Partei im Jahr 2000 die Regierung übernommen hatten, ging es Schlag auf Schlag Richtung Niedergang.

Unter der Überschrift „Für ein neues amerikanisches Jahrhundert“ setzten Bush und die Neokonservativen auf eine Politik amerikanischer Überlegenheit im Alleingang. Das Ergebnis lässt sich wahrhaft sehen:

Amerika hat seine moralische Glaubwürdigkeit durch Guantánamo und Folter verloren; Iran ist heute dank des Irakkriegs zur regionalen Vormacht im Nahen Osten geworden; die amerikanische Militärmacht ist durch diesen unnötigen und falschen Krieg überdehnt; Bush hat von Clinton einen ausgeglichenen Staatshaushalt übernommen und seitdem einen riesigen Schuldenberg aufgehäuft; China ist heute Amerikas größter Gläubiger; der Dollar ist in seiner Rolle als dominante globale Reservewährung ernsthaft gefährdet; dem amerikanischen Finanzsystem droht der Kollaps. Und als einzige Antwort auf diese für die Weltwirtschaft existenzbedrohende Krise bleibt der republikanischen Regierung in Washington nur noch die Verstaatlichung!

Wenn die Realität die Gags der Kabarettisten müde und alt aussehen lässt, dann wird es meistens bitterernst. Das Mutterland der Marktwirtschaft verstaatlicht sein Finanzsystem und die Immobilienkredite! Und das alles geschieht unter einem republikanischen Präsidenten! Wenn die Lage nicht so ernst und gefährlich wäre, könnte man darüber ja durchaus lachen.

Tatsächlich aber gibt es nichts zu lachen, denn der Ausfall des globalen Wachstumsmotors USA wird die Weltwirtschaft mit nach unten ziehen. Damit wird auch die Gefahr innerer Spannungen und sozialer Konflikte zunehmen, die auf die Außenpolitik übergreifen können.

Man mag und bisweilen muss man die USA wegen ihrer Außenpolitik hart kritisieren. Aber als Ordnungsmacht können sie heute weder durch Russland noch China ersetzt werden. Und leider schon gar nicht durch ein gespaltenes und blockiertes Europa. Ein Niedergang amerikanischer Macht wird sich also auch in der internationalen Politik negativ bemerkbar machen, da die USA nicht mehr in bisherigem Umfang als Ordnungsmacht wirken können.

Historisch bestand immer ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und politischen Spannungen bis hin zu Kriegen. So hat die Krise von 1929 direkt in den Zweiten Weltkrieg geführt. Diese Gefahr einer globalen heißen Konfrontation besteht heute Gott sei Dank nicht, da die Abschreckungspotenziale dies verhindern. Auch eine Einschränkung des freien Welthandels wird bei circa 6,6 Mrd. Menschen – 1929 etwas mehr als 2 Mrd. – und völlig neuen Kommunikationstechnologien nur noch Verlierer produzieren. Die Zunahme regionaler oder gar globaler Spannungen schließt dies aber mitnichten aus.

Addiert man die negativen Konsequenzen des Zerfalls amerikanischer Macht, so muss man hoffen, dass es sich dabei nur um eine zeitweilige Schwächephase und nicht um den Beginn des endgültigen amerikanischen Niedergangs handelt. Wir Europäer allerdings sollten endlich aufwachen, uns politisch zusammenschließen und auf härtere Zeiten und mehr Verantwortung vorbereiten.

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